Die Peterskirche in Gültstein
Autoren: Joachim Kresin, Andrea Gackenheimer
Wehrkirchen hat man gerne an den Rand des Dorfes, möglichst in erhöhter Lage, gebaut. Ihr Aussehen wurde von wehrtechnischen Notwendigkeiten bestimmt, um der Bevölkerung Schutz vor Feinden sowie umherziehendem Gesindel zu bieten. Aufgrund solcher Streitigkeiten wurde die damalige Kirchenanlage im Jahre 1165 zerstört.
Als die Pfalzgrafen von Tübingen mit Welf VII. in eine Fehde gerieten, zog dieser sengend und brennend durch das Gebiet der Pfalzgrafen. Nachdem er die Burg Hildrizhausen zerstört hatte, kam er nach Gültstein und schleifte hier die wehrhafte Kirchenanlage (…).
Aus dem 12. Jahrhundert hat sich ein Rundbogenportal mit Zickzackfries an der Westseite des Kirchenschiffs erhalten, das 1990 freigelegt, dann aber wieder verputzt wurde. Dass diese noch vor die Zerstörung durch Welf VII. zurückgeht ist unwahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Die Kirche wurde in der Folge immer wieder als Wehrkirche ausgebaut und hatte damals schon die heutigen Ausmaße. Der Turm mit seinen Schießscharten und einer Mauerstärke von bis zu 2 Metern hatte seinen Eingang im ersten Obergeschoss. Dadurch konnte sich der Turm einer Belagerung am längsten widersetzen. Er endete vermutlich in einer Plattform, die zur damaligen Zeit üblich war und zur Beobachtung diente. Von hier aus konnte der heilige Bezirk von oben mitverteidigt werden. Der heilige Bezirk umfasste das Kirchengebäude mit dem Altarraum und den Friedhof. Er war von einer sehr hohen Kirchhofmauer umgeben, auf der wohl ein Wehrgang entlanglief. Die schwächste Stelle der Befestigungsmauer, das Tor, war auch in Gültstein besonders ausgebaut. Über dem Tor befand sich nämlich bis zum Brand 1784 ein Wächterhäuschen. Durch das Abtragen der Kirchhofmauer 1786 wurde der Kirchenanlage viel von ihrem wehrhaften Charakter genommen. …
Die Peterskirche in Gültstein ist eine typische Chorseitenturmanlage. Nördlich des spätgotischen Polygonalchors mit seinen schlanken Strebepfeilern steht der noch aus romanischer Zeit (12. Jh.) stammende Turm. Die Schießscharten weisen auf die ehemalige Funktion als Wehrkirche hin.
Der Große Brand
„Am Donnerstag, den 8. Juli 1784, um 12 Uhr, entstand in Johannes Mayer, Becken, Haus eine so heftige Feuersbrunst, dass in Zeit kaum 4 Stunden 62 Hauptgebäude nebst Kirche, Rat- und Schulhaus gänzlich eingeäschert worden sind“. Wodurch der Brand ausbrach konnte nie geklärt werden. Die Frau des Bäckers, die im Ort als heimliche Trinkerin galt, wurde verdächtigt, nicht sorgsam genug auf das Herdfeuer geachtet zu haben. (…) Der Bäckermeister selbst konnte sich den Brandausbruch nur durch Brandstiftung erklären.
Jedoch wurde ein Brandstifter nie gefasst, und so versuchte man, die Schuld einer höheren Gewalt zuzuschreiben. Der Kirchenkonvent hatte sich mit einem Vorwurf zu beschäftigen, den ein Gültsteiner Pfarrer Haas machte: Der verheerende Brand sei kein Wunder, er habe ja zugelassen, dass in der Kirche getanzt werde. Es stellte sich heraus, dass der Vikar mit einem Herrenberger Freund tatsächlich in der Kirche auf der Orgel musiziert hatte. Natürlich nicht Tanzmusik, geschweige denn, es wäre dazu getanzt worden. (…)
Wiederaufbau
Mit dem Wiederaufbau des Dorfes wurde Landoberinspektor Groß beauftragt. (…) Zwei Jahre später war das Dorf trotz vieler Schwierigkeiten im wesentlichen wieder aufgebaut. Was noch fehlte war die Kirche. (…)
Der von Bauinspektor Groß erstellte Plan … wäre einem Neubau gleichgekommen und fand keinen Gefallen bei den Ortsvorstehern. (…) Am 4. März 1786 wurde deshalb „per majora mit 32 einstimmigen votis beschlossen: dass die Kirche … nach dem alten Fundament und also ohne eine Verlänger- und Veränderung derselben vorzunehmen,“ wiederaufgebaut werden sollte. (…)
Die Bauarbeiten konnten im August 1786 beginnen. Mit zeitgemäßen Veränderungen wurde die alte Kirche von Handwerkern aus Gültstein und der Umgebung wieder aufgebaut. (…) Bereits am 25. November 1787 wurde die Kirche durch den Herrenberger Dekan Fleischmann eingeweiht.
Bauliche Änderungen von 1786 bis heute
Als Steinbruch für den Kirchen- und den Rathausneubau benützte man, um ihrer „außerordentlichen Höhe willen“, die alte Kirchhofmauer. Sie wurde bis auf eine Höhe von 8 Schuh (ca. 2,40 m) abgerissen. Anstelle des Wächterhäuschens wurde das heutige Südportal mit seinem Lamm Gottes in einem Rokokoschild und den zwei seitlichen Artischocken errichtet.
Auf den steinernen Rumpf des romanischen Turmes wurde von Zimmermann Andreas Hartmann aus Oberjettingen ein „hölzerner Stock“ aufgesetzt, der vier abgezogene Ecken, sog. Frankenspieße, erhielt. Jede Seite der Glockenstube versah man mit zwei Schallöffnungen. (…)
Nach der Wiederherstellung der Kirche wurde der Turm einschließlich Glockenstube, das Schiff und der Chor weiß verputzt, wobei die Ecken des Schiffes mit 55 cm breiten roten Lisenen versehen wurden. Diese Auffassung entsprach der barocken Fassung um 1760, jedoch ohne den damaligen schwarzen Begrenzungsstrich. Seitdem hat das Kirchenäußere mehrere verschiedene Anstriche erhalten; seit 1989 zeigt sich das Schiff wieder wie vor dem Brand.
Umbau zum protestantischen Predigtraum
Um mehr Helligkeit zu erreichen, schuf man 1786 an der Nordseite zwei neue Fenster. (…) Das Schiff erhielt nun ein Vollwalmdach. (…) Am spätgotischen Chor (zw. 1481 und 1521 erbaut) musste das Sterngewölbe und die Spitzbogenfenster, deren Maßwerk vollständig zerstört worden war, wieder instand gesetzt werden. Im Chor fand eine neue Orgelempore mit zwei Emporenständen Platz, während im Schiff die sich heute noch dort befindliche Empore eingebaut wurde. (…) Die Empore erhielt keinen Bilderschmuck wie vor dem Brand und zeigt sich noch heute in den damaligen Farben. Auch die tulpenförmige Kanzel, die als Ort der Wortverkündung ihren Platz auf der rechten Seite des Chorbogens bekam, wurde in den gleichen Farben gehalten. (…) Vor dem Altar fand der neue Taufstein seinen Platz im Schiff. Als Zeichen empfangener Taufgnade stand er so inmitten der Gottesdienstgemeinde. Die Anordnung von Kanzel, Altar und Taufstein in einer Linie entsprach dem damaligen Idealtyp eines protestantischen Predigtraums, wie man ihn heute noch z.B. in Mönchberg sieht (1748 ebenfalls von Landesoberbauinspektor Groß erbaut). In Gültstein wurde diese Anordnung 1956 gebrochen, indem man den Taufstein aus der Mittelachse des Schiffes nach Süden versetzte. Im Jahre 1949 brach man die Orgelempore ab und setzte die Orgel auf ein Chorpodium herunter. Dadurch gewann der Chor gewaltig an räumlicher Wirkung. Das heutige Erscheinungsbild wurde bei der letzten großen Chorrenovierung 1980 geschaffen.
Während die Schlusssteine des filigranen Sternrippengewölbes farbig gefasst sind, präsentiert sich heute das übrige Gewölbe in schlichtem Grau. Dies entspricht bei weitem nicht der ursprünglichen Ausmalung vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Eine Putzuntersuchung brachte 1980 die für die Spätgotik typische Gewölbeausmalung in Art und Weise der Secco-Malerei zutage: Rankenmalereien um die Gewölbefänger und Schlusssteine sowie Flammenmalereien um alle übrigen Schnittpunkte. Bedauerlicherweise wurden diese Malereien bei der Renovierung weder freigelegt noch nach Originalbefunden rekonstruiert. (…)
Rekonstruktionszeichnung von Kirche und Kirchhof vor dem Brand 1784. (Die Peterskirche in Gültstein – 1091-1991, Herrenberg 1991, S. 64)
Quelle: Die Peterskirche – Gebäude; Ausstattung; Aspekte kirchlichen Lebens. In: Die Peterskirche in Gültstein – 1091-1991. – Hrsg.: Ev. Kirchengemeinde Gültstein, Herrenberg 1991
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der Kirchengemeinde Gültstein
Literaturhinweis:
Adolf Schahl, Die Bau- und Kunstgeschichte der Ev. Pfarrkirche in Gültstein. In: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten, 7+8/1983, (Geschrieben 1969)
Die 80 Seiten starke Broschüre „Die Peterskirche in Gültstein 1091-1991“ ist für 5,00 Euro beim Ev. Pfarramt Gültstein, Cranachstr. 4, 71083 Herrenberg, Tel: 07032/71395, erhältlich.