Die Alliierten Luftangriffe vom März 1944
Bomben auf Steinenbronn
Autor: Paul E. Schwarz
Dass die Markung von Steinenbronn im März 1944 zweimal angegriffen wurde, ist zweifellos der Nähe Stuttgarts zuzuschreiben. Während es sich bei den Bombenwürfen vom 2. März 19441 zweifelsfrei um Abweichfehler vom Zielraum Stuttgart handelte, ist bei dem schweren Hauptangriff vom 15./16. März 1944 ein taktischer Plan nicht auszuschließen, zumal zur gleichen Zeit die Nachbarorte Ober- und Unteraichen, Leinfelden, Echterdingen, Musberg, Schönaich und Waldenbuch ebenfalls gezielt bombardiert wurden. Der Verlautbarung des damaligen Polizeipräsidiums Stuttgart zufolge soll der Abschuss eines sog. Markierers oder Beleuchters über Vaihingen dazu beigetragen haben, dass das Zentrum des Angriffs vom Stadtinnern nach Südwesten verlagert wurde, so dass die nachfolgenden Maschinen ihre Ziele in diesem Raum suchten. (…)
Am 15. März 1944, einem Mittwoch, war der Himmel bewölkt. Bis zur Nacht hatte sich eine geschlossene Wolkendecke gebildet. Das Leben in Steinenbronn ging seinen gewohnten Gang. … Da gellten in die Nachstille hinein, etwa um 23.15 Uhr, die Sirenen. Fast gleichzeitig mit dem Alarm hörte man aus der Ferne das Knallen der Flugabwehrkanonen vom Flakgürtel um Stuttgart.
Wenige Minuten später kam das Brummen der Flugzeuge immer näher und schwoll zu einem donnernden Getöse an, das jetzt übertönt wurde durch die hellen Einschläge der Stabbrandbomben und Phosphorkanister. Zwischendurch dröhnte das ohrenbetäubende Krachen und dumpfe Knallen der Detonationen von schweren Sprengbomben. Diese fielen glücklicherweise in der Mehrzahl nordostwärts des Ortes auf die Felder, zerstörten aber durch ihren Luftdruck viele Fensterscheiben der nahegelegenen Häuser und ließen noch die Erde in den Luftschutzkellern erbeben.
Nach den Beobachtungen der meisten Augenzeugen erfolgten die Bombenwürfe in zwei Wellen. Viele Bewohner machten sich, als die Einschläge etwas abebbten, sofort, noch mitten im Bombenhagel der etwas schwächeren zweiten Phase, an die Brandbekämpfung. Glücklicherweise wurde niemand dabei ernstlich verletzt.
Als dann die Bombeneinschläge aufhörten und die Einwohner aus ihren Kellern kamen, bot sich ihnen ein schauerliches Bild: Überall auf den Straßen und in den Gärten flackerten die Brandbomben. Aus vielen Dächern, vor allem aus den Scheunen, quoll dichter Rauch und schlugen schon helle Flammen heraus. Die Brandherde weiteten sich in Sekundenschnelle zu Flächen- und Großbränden aus.
Jeder schaute natürlich zuerst nach seinem Anwesen und, falls er dies unversehrt vorfand, nach dem nächsten Nachbarn. Aber immer wieder wurden neue Brandherde entdeckt. Wo das Feuer rasch Nahrung fand, vor allem in den noch mit Heu und Stroh gefüllten Scheunen, waren die Löscharbeiten meist vergeblich und hoffnungslos. Zuallererst musste das Vieh aus den brennenden Ställen gerettet werden. Vom Feuer scheu gewordene Kühe waren kaum mehr zu bändigen und rannten brüllend durch die Straßen. (…)
Die Feuerwehr von Steinenbronn war die ganze Nacht unermüdlich im Einsatz. Später kamen noch die Feuerwehren von Böblingen, Dagersheim und Weil im Schönbuch dazu. Sogar ein Löschzug aus Backnang, der zufällig vorbeifuhr, beteiligte sich an den Löscharbeiten. Es herrschte großer Wassermangel, so dass die Bauern zum Teil mit Gülle löschen mussten. Über dem ganzen lodernden Flammenmeer stand der Brand der Kirche, aus der wie aus einer Riesenfackel die Flammen aus dem glühenden Stumpf des Turmes in den Nachthimmel schlugen. (….)
Nach amtlichen Feststellungen wurden außer der Kirche 12 Wohnhäuser und 30 Scheunen zerstört. Fast die gleiche Zahl an Gebäuden wurde mehr oder weniger stark zerstört. Außerdem gingen zahlreiche Nebengebäude … verloren. In den Ställen verbrannte meist auch das Kleinvieh, das aus den schnell um sich greifenden Flammen nicht mehr gerettet werden konnte. (…)
Menschen sind bei dem Angriff gottlob nicht ums Leben gekommen. Etliche haben aber kleinere Verletzungen und Rauchvergiftungen erlitten. Viele Feuerwehrleute mussten wegen Augenschäden, …, behandelt werden.
Zu dem Angriff auf den ganzen Raum Stuttgart waren 863 Bomber von England aus gestartet. (…)Einer der bei dem Angriff abgeschossenen englischen Bomber explodierte über Steinenbronn. Das Leitwerk und die Bombenaufhängung lagen hinter der Kirche. Der weitere Absturzweg ging in nördliche Richtung über den Wald, wo in der Nähe des Bettelwegs nach Musberg die Rumpfteile des Flugzeugs und einige tote Besatzungsmitglieder gefunden wurden.
Auch ein deutsches Jagdflugzeug stürzte ab und schlug im Waldteil Häule, rechts der B 27, beim Fußweg zum Bahnhof auf. Der Pilot, der offenbar noch abzuspringen versucht hatte, wurde rechts der B 27 am Weg zur Schlechtenmühle tot aufgefunden.
In den abgebrannten Häusern des Ortes schwelte und glostete es noch tagelang weiter. Über der Ortsmitte lag noch wochenlang ein starker Brandgeruch. (…)
Im folgenden, vom Steinenbronner Heimatforscher Paul Schwarz veröffentlichten Augenzeugenbericht schildert Alfred Haisch seine Erlebnisse in der Bombennacht vom 15. auf 16. März 1944. Zur gleichen Zeit wurden auch die Nachbarorte Schönaich und Waldenbuch, Ober- und Unteraichen, Leinfelden, Echterdingen und Musberg bombardiert.
Augenzeugenbericht von Alfred Haisch: "Die Leute haben das mit den Wassereimern gelöscht"
Ich war damals 15 Jahre alt, war bei der Lufthansa in Echterdingen als Lehrling.
Der Angriff war in der Nacht etwa um 11 Uhr. Ich war bereits im Bett. Die Sirenen haben geheult, dann ist man aufgestanden wie üblich. Mein Vater hat die Tür zum Souterrain aufgemacht, die hinausgegangen ist in den Garten. Etwas später sind auch die Nachbarn in den Keller gekommen, und so hat man sich im Keller versammelt. Bald darauf hat man schon die ersten „Christbäume“ gesehen. Sehr schnell sind daraufhin auch die ersten Bomben gefallen. Bei uns ist in der Nähe, hinter dem Haus von Albert Wacker, Gärtner, eine große Sprengbombe gefallen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie das Ding geheult hat. Es war eine fürchterliche Explosion. Das ganze Haus hat gewackelt, und dann hat man gehört, wie hüben und drüben das Dach herunterrutscht. Da waren wir natürlich schon arg erschrocken. Bald darauf haben wir nachgeschaut, ob es auch brennt. Mein Vater hat heruntergeschrien: „Da oben brennt’s!“ Daraufhin haben wir das Haus abgesucht, aber im Haus war nichts. Die Brandbomben waren alle in den Hof gefallen und auch losgegangen. Da hat man eben im ersten Moment das Feuer gesehen. Gebrannt hat hier draußen kein Wohnhaus. In der Nachbarschaft hat nur die Scheune von Robert Rieth gebrannt. Dann ist der Angriff allmählich schwächer geworden. Die Flieger hat man nicht mehr so gut gehört, die waren schon weiter weg. Und dann sind die Leute zusammengesprungen, und man hat mit Eimern Wasser getragen und gelöscht. Nachdem das meiste am Haus Rieth gelöscht war, sind wir in den Flecken hineingesprungen. Diejenigen, die Verwandte hatten, bei denen es gebrannt hat, sind dorthin gerannt und haben versucht zu helfen, so gut man eben konnte. Im alten Löwen (Gasthaus) war die Scheuer abgebrannt. Und dann hat es hineingebrannt über die Veranda in die Küche. Die Leute haben das mit den Wassereimern gelöscht, mit dem wenigen, was man hat tragen können. Dann hat man die Decke aufgerissen, dass man an das Feuer herankam. So hat man das verhältnismäßig leicht fertiggebracht, auch mit wenig Wasser.
Nachher war ich beim Gottlob Schuldt in der Tübinger Straße. Da war die Scheuer nebenan von seinem Schwager Hermann Herzog abgebrannt. Das hat man nicht mehr verhindern können, das ist zu schnell gegangen in den Scheuern. Da waren manchmal mehrere von den Stabbrandbombem losgegangen, und bei dem vielen brennbaren Material, das in einer Scheune ist, da kann man mit einem Eimer Wasser nichts ausrichten. Die Scheuer war abgebrannt und die Männer sind oben auf der Bühne gestanden und haben den Boden aufgerissen. Im aufgeschütteten Weizen ist man dringestanden, der war siedend heiß, und hat auch in die Decke mit den Wassereimern und den Luftschutzspritzen, die man zur Hand hatte, hineingespritzt. Auch dieses Haus hat man, wenn auch mit leichten Schäden auf dem Dach und an den Wänden gegen die Scheuer, retten können.
Dann war ich noch weiter draußen im Weiler Weg bei meinem Onkel Paul Schuldt, wo es auch brannte. Die Scheuer war heruntergebrannt, sämtliche Balken brannten noch. Da ist man mit Leitern am Giebel hinauf, und von innen hat man Löcher geschlagen, dass man hineinkam. Auch dieses Haus hat man mit Wassereimern und mit den Luftschutzspritzen retten können. Viele Häuser hat man überhaupt nicht löschen können, es war niemand da, zu wenig Leute, zu wenig Wasser; die sind dann, wie die anderen, abgebrannt.
Die Phosphorbomben waren die schlimmsten. Die Leute haben beim löschen großen Mut bewiesen und sind beherzt sofort drangegangen, aber oft nicht mit der genügenden Sachkenntnis in der Behandlung solcher Bomben. Ich habe den Mut der Bürger bewundert, wie sie noch während des Angriffs aus den Kellern herausgegangen und den vielen
Brandbomben zu Leibe gerückt sind. So war es z.B. bei den Geschwistern Schuldt in der Tübinger Straße. Gottlob Schuldt hatte einen steifen Fuß als Kriegsverletzung vom Ersten Weltkrieg. Der Mann war gar nicht im Keller, sondern hat in einem Gartenhäuschen gestanden und gewartet, was passiert. Als er gehört hat, wie die Brandbomben auf sein Haus gefallen sind, ist er sofort hineingegangen. Der Mann war Schuhmacher. In seiner Schusterstube war eine Brandbombe am Brennen. Die hat er gelöscht. Dann war eine zweite in der Kammer, die hat er auch gelöscht. Und die dritte war in einem eisernen Ofen in der Wohnstube. Auch dieses hat der Mann gelöscht. Bloß die Scheuer, die ist abgebrannt, die hat er nicht löschen können“.Quelle: Steinenbronn – Neues von Gestern und Vorgestern. Herausgeber: Heimatverein Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar 1997, S. 88-89.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins Steinenbronn.
Erstveröffentlichung: Steinenbronn – Neues von Gestern und Vorgestern. Herausgeber: Heimatverein Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar 1997, S. 81 97
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Heimatvereins Steinenbronn.
Der Autor, Paul E. Schwarz (1917-2009), Regierungsdirektor a. D. beim Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, war gebürtiger Steinenbronner und hat sich als Heimatforscher um seine Gemeinde sehr verdient gemacht. Er veröffentlichte 46 Arbeiten zur Steinenbronner Ortsgeschichte, war langjähriger Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister in Steinenbronn. Er ist auch Ehrenbürger der Gemeinde Steinenbronn.
Referenz
↑1 | An dem Luftangriff auf Stuttgart am 2. März 1944 waren 557 Bomber beteiligt. Er galt offenbar den Betriebsanlagen der Firma Bosch, an denen schwere Schäden verursacht wurden. Um Steinenbronn fielen in dieser Nacht zahllose Brand- und Phosphorbomben. Am Tag danach mussten Schüler die Blindgänger der Phosphorbomben bergen und in Körben in den Ort zu tragen. |
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