Das Rathaus von Weil im Schönbuch
Autor: Walter Hahn
Gleich zwei Jubiläen gab es 1988 in Weil im Schönbuch zu feiern: die erste urkundliche Erwähnung der Gemeinde vor 800 Jahren und der 300. Geburtstag eines Hauses. Es ist das 1688 bis auf die Grundmauern abgebrochene und in seiner heutigen Form wieder aufgebaute ehemalige Mönchshaus, der Rathaus-Altbau. Kräftig und stark steht das behäbige Gebäude neben der Kirche, und manchen Sturm mussten die alten dicken Grundmauern schon über sich ergehen lassen. Die Geschichte dieses Hauses ist eng mit der geschichtlichen und kommunalen Entwicklung der Gemeinde verbunden. Wechselte der Besitzer, so wechselte auch das Geschick des Dorfes.
Um 1188 schenkt Pfalzgraf Rudolf I. von Tübingen seinen ihm aus einer Erbteilung zustehenden Teil des Dorfes dem von ihm neu gegründeten Kloster Bebenhausen. Eines Tages sind die Mönche im Dorf, um ihren neue Besitz „Mediam Villam Wyl“ in Augenschein zu nehmen. Ihren Grundsätzen treu, erworbene Güter im Eigenbau zu bewirtschaften, entsteht westlich der Kirche der Mönchshof, geschützt von Mauern und Bretterzäunen. Der Hofverwalter, ein Laienbruder, wohnt im Mönchshaus. Der Klosterhof entwickelt sich in den nächsten 200 Jahren zu einem Verwaltungszentrum (Klosterpflege) für die klostereigenen Dörfer und Besitzungen in der nördlichen Schönbuchlichtung. Dazu zählen Altdorf, Breitenstein, Neuweiler, Steinenbronn und Weil im Schönbuch.
Das Kloster ist durch Jahrhunderte ein strenger Herr. Manche Verwünschung wird den Mönchen nachgesandt, wenn sie sich im Dorf blicken lassen. Der Laienbruder Caltenbronner muss 1403 einem misshandelten Breitensteiner die Arztkosten bezahlen.
Am Sonntag, dem 9. April 1559, die Einwohner feiern gerade Kirchweih, wird das Dorf, einschließlich Mönchshof, durch Brandstiftung vollständig zerstört. Der Wiederaufbau dauert einige Jahrzehnte. 1606 zieht der Bebenhäuser Klosterverwalter, der Pfleger, in das Mönchshaus, und aus dem „Kloster-Zehendhof“ wird der „Kloster-Pfleghof“. Er klagt: „An Gemächern sind nur vorhanden eine Stube, eine Gastkammer, ein kleines Schreibstüblein und eine Kuchen. In diesen Räumen musste ich mich samt meinem Haushalt, wie man sich wohl vorstellen kann, recht beschwerlich behelfen. Besonders in Zeiten, wenn mich fremde Personen und Verwandte überfallen.“
Das Rathaus von Weil im Schönbuch. Der Altbau war einst der Pfleghof des Klosters Bebenhausen. (Bild: Susanne Schmidt)
Der Pfleger bittet um eine Erweiterung des Baues. Der geistliche Baumeister Nicolao Frischlin wird beauftragt, sich von der Notwendigkeit des Gesuchs zu überzeugen und schickt 1607 folgenden Bericht nach Stuttgart: „Während meiner Gegenwart zog ein schweres Gewitter vorüber. Das Dachwerk dieser Behausung ist äußerst schadhaft. Das Regenwasser floss nicht nur in Küche und Kammer, sondern drang sogar durch die Stubendecke, sodass wir vom Tisch und dem Nachtimbiss entweichen mussten.“ Die Pflegbehausung wird erweitert, aber eine grundlegende Renovierung verzögert sich. 1688 dann ist das Pfleghaus so schadhaft, dass es abgebrochen werden muss. Kaum ist es wieder bezugsfertig, melden sich die ersten Gäste an: französische Dragoner unter General Nebry.
Der mit dicken Mauern und spanischen Reitern befestigte Pfleghof ist auch vor nächtlichen Übergriffen der Einheimischen nicht sicher. Er ist eine Trutzburg, die den Dorfgenossen wie ein Dorn im Auge sitzt. Was sie tagsüber zwangsweise an Großem und Kleinem Zehnten in die Speicher abliefern müssen, versuchen sie nachts wieder zu holen. Der Pfleger berichtet: „Während meines hiesigen Aufenthalts habe ich schon wiederholt wahrnehmen müssen, dass nächtlicherweise diebische Leute sich über die Mauer schleichen. Von ihnen wurde allerhand, besonders aber solche Dinge fortgetragen, die nicht gut einzuschließen sind, sondern im Freien, aber im geschlossenen Pfleghof gelassen werden müssen. Bis jetzt konnten die Diebe noch nicht erkannt werden.“
Informationstafel auf dem Weiler Marktplatz mit einer Rekonstruktion des Dorfzentrums um das Jahr 1719.
1807 wird das Klosteroberamt Bebenhausen aufgelöst, und damit geht auch die Klosterpflege-Herrlichkeit in Weil im Schönbuch zu Ende. Die bereits erwähnten Klosterorte kommen zum neugebildeten Oberamt Böblingen, das in dem Gebäude ein Kameralamt, das spätere Finanzamt, einrichtet, das 1843 nach Sindelfingen verlegt wird. Danach erwirbt die Gemeinde 1844 den ehemaligen Pfleghof um 7500 Gulden. Aus dem Verwaltungsgebäude wird nun das Rathaus. Die baufälligen Wirtschaftsgebäude und die Pfleghofmauer werden abgetragen.
1928 wird der Sitzungssaal neu gestaltet. Er enthält eine Kassettendecke, eine Lärchenholzvertäfelung und eine kunstvoll geschnitzte Säule mit den Zunftzeichen der verschiedenen Berufsstände nach den Plänen von Professor Felix Schuster, Stuttgart. Der Drudenfuß in der Säule soll die Ratsherren vor Zauber- und Hexeneinfluss bewahren. Der dem Marktplatz zugewandte Ochsenkopf sollte ursprünglich in den Sitzungssaal schauen. Auf die Beschwerde eines Ratsherren, er lasse sich nicht die ganze Zeit von einem Ochsen anglotzen, wird die Säule gedreht.
1945, am 21. April, wird das Rathaus Zeuge der Kämpfe zwischen deutschen und französischen Soldaten auf dem Marktplatz. Einschusslöcher und Brandspuren eines explodierenden Panzers sind zehn Jahre später am und im Gebäude noch sichtbar. Im Bereich des späteren Durchbruchs zum kleinen Saal steht 1967 noch ein zentnerschwerer Kachelofen, der im Gemeinderat etliche Fürsprecher für seinen Verbleib findet. Die Diskussion findet ein rasches Ende, denn beim Einziehen der Decke donnert der Ofen ins Erdgeschoss und löst sich in seine Bestandteile auf. Zum 300. Geburtstag des Hauses gibt es dann Nachwuchs: Im Januar 1988 wird der Rathaus-Erweiterungsbau eingeweiht.
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag Sindelfingen 1990.
Der Autor, Walter Hahn, stammte aus Weil im Schönbuch und war dort 27 Jahre lang Schulrektor. Als Autor und Heimatforscher macht er sich um seine Heimatgemeinde überaus verdient und wurde zum Ehrenbürger ernannt.
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung und des Autors