Merklingen in der Beschreibung des Leonberger Oberamts von 1852
„… ziemlich regelmäßig gebaut und von städtischem Aussehen …“
Autor: Karl Eduard Paulus
Merklingen, Gemeinde II. Kl. mit 1415 Einw., … – Ev. Pfarrei.
Das marktberechtigte Pfarrdorf, ziemlich regelmäßig gebaut und von städtischem Aussehen, liegt gesund und angenehm in dem wiesenreichen Würm-Thale, das hier eine Breite von etwa 1/8 Stunde erhält, 3 ½ Stunde südwestlich von der Oberamtsstadt. An der östlichen Seite des, theils in der Thalebene gelegenen – theils an den leicht ansteigenden, nordöstlichen Thalabhängen hinaufgebauten Orts, fließt die muntere Würm vorüber, welche nicht selten austritt und dann besonders zur Zeit der Heu- oder Oehmdernte durch das Wegschwemmen des Futters schädlich wird, wogegen die Ueberschwemmungen im Herbst und Winter durch Ablagerung des Schlamms, als Düngung für die Wiesen, nützlich werden. Die Gegend ist reich an frischen Quellen, von denen jedoch einzelne den Sommer über versiegen, während der außerhalb des Orts gelegene sogenannte Urbrunnen besonders wasserreich ist und das ganze Jahr hindurch die Brunnen des Orts versieht. Der Weidensailbrunnen, eine periodisch fließende Quelle (Hungerbrunnen) liegt 1/2 Stunde nördlich vom Ort.
Im westlichen Theil des Dorfs steht ziemlich erhöht die Pfarrkirche, welche im Verein mit einigen ehemals zu dem Klosteramt Herrenalb gehörigen Gebäuden, ringsum mit doppelten Mauern und tiefem Wassergraben umgeben war und eine feste Stelle, ehemals die Stadt genannt, bildete. Die Befestigungswerke wurden in den Jahren 1796 – 1800 eingerissen und der Graben größtentheils ausgefüllt und mit Häusern überbaut oder zu Gärten angelegt; … Die Pfarrkirche, deren Grundform die der ältesten Basiliken ist, trägt noch Spuren von der früheren, im romanischen Style erbaut gewesenen Kirche, welche 1425 abbrannte. …
Der viereckige Thurm mit seinen 6 Fuß1 dicken Mauern, hat Schießscharten und scheint früher zur Vertheidigung gedient zu haben. …
Zunächst (westlich) der Kirche steht das oben erwähnte Steinhaus, (gegenwärtig als Fruchtkasten benützt), ein massives, aus 3 Stockwerken bestehendes, beinahe quadratförmiges Gebäude, dessen Mauern im untern Theil 6 ½ Fuß, im obern 4 Fuß Dicke haben. …
Statt des Begräbnißplatzes, der früher die Kirche umgab, wurde schon längst ein Gottesacker an der mit Pappeln besetzten Straße nach Heimsheim neben der St. Wendels-Kapelle angelegt, und zunächst demselben im Jahr 1770 ein weiterer, sowie im Jahr 1838 ein dritter, am westlichen Ende des Orts gelegener Platz für den gleichen Zweck bestimmt.
Das alte, aber gut erhaltene Pfarrhaus liegt etwa 100 Schritte von der Kirche und bildet mit seinen Oekonomie-Gebäuden einen wohl geschlossenen Pfarrhof; die Unterhaltung desselben liegt dem Staate ob. Am westlichen Ende des Orts steht das ehemals als Cameralamtssitz benützte Gebäude, welches die Gemeinde im Jahr 1837 um 6000 fl.2 erkaufte und zu Schulen und Wohnungen der Lehrer zweckmäßig einrichten ließ. … Das an dem ehemaligen Kirchgraben stehende Rathhaus, welches sich in gutem Zustande befindet, wurde nach einer über dem Eingang desselben angebrachten Jahreszahl 1601 erbaut. Ein öffentliches Waschhaus besteht schon längst. …
Die fleißigen Einwohner finden ihren Haupterwerb in Feldbau und Viehzucht. Obgleich der Gesundheitszustand vorzüglich ist und Epidemien zu den Seltenheiten gehören, so ist doch seit mehreren Jahren die Bevölkerungszunahme gering. …
Die Feldgüter der namhaften Markung liegen theils eben, theils an Abhängen, welche besonders im westlichen und südwestlichen Theile ziemlich stark geneigt sind. Der Boden ist im Allgemeinen tiefgründig und fruchtbar, jedoch sehr verschiedener Art; … Im Würm-Thale kommt Moor und Torf vor; auch wurde früher im Ried zwischen Merklingen und Weil d. St. ein Torfstich angelegt, aber wegen der geringen Mächtigkeit des nur 3 – 4′ tiefen Lagers und des geringen Brennstoffgehalts der Ausbeute bald wieder aufgegeben. Die Luft ist gesund, jedoch etwas rauh; Frühlingsfröste kommen nicht selten vor, dessen ungeachtet gedeihen auch zartere Gewächse, nur sind sie etwas später, als in anderen Gegenden. Schädliche Gewitter sind selten.
Die Landwirthschaft, welche im Dreifeldersystem betrieben wird, steht im Allgemeinen auf einer blühenden Stufe. …
Früher hatte Merklingen auch etwas Weinbau; im Jahr 1816 wurde der letzte, 1 Morgen 3 Viertel große Weinberg, nachdem er von 1811 an keinen Ertrag mehr lieferte, vollends ausgereutet. … Die Obstzucht ist im Zunehmen begriffen; da die feineren Sorten nicht gedeihen, so wird auf die gewöhnlichen Kernobstsorten Rücksicht genommen. …
Sehr ausgedehnt ist die Rindviehzucht; … Die Ochsenmastung bildet einen besondern Erwerbszweig.
Etwa 600 den Bürgern gehörige Bastardschafe werden auf der Markung geweidet und im Ort überwintert. Die Wolle kommt nach Calw und Weil d. St. zum Verkauf. Obgleich die Schweinezucht etwas abgenommen hat, so ist sie doch immer noch namhaft; viele im Ort gezüchtete Läufer werden auf dem Schweinemarkt in Weil d. St. abgesetzt.
Im Ort befinden sich ein praktizirender Arzt und eine Apotheke. Neben den gewöhnlichen Handwerkern für den örtlichen Bedarf sind eine verbesserte Mahlmühle mit 3 Mahlgängen und 1 Gerbgang, 4 Schildwirthschaften3, worunter 2 mit Brauereien, 5 Branntweinbrennereien, 1 Handlung und 3 Kramläden vorhanden.
Neben der Volksschule, an der 1 Lehrer, 1 Unterlehrer und 1 Lehrgehilfe unterrichten, ist vor etwa 20 Jahren auch eine Industrieschule in’s Leben getreten. …
Unter der herzoglich württembergischen Verwaltung bestand in Merklingen ein mit einer kirchenräthlichen Pflege verbundenes Oberamt, und der Ort war somit auch Sitz eines Amtsschreibers und eines Amtspflegers. Im Jahr 1806-7 wurden diese Aemter aufgehoben und dagegen das Cameralamt Merklingen errichtet, welches im Jahr 1837 durch Eintheilung seines Bezirks in die Cameralämter Leonberg, Sindelfingen und Hirschau wieder aufgelöst wurde. Zu dem ehemaligen Oberamt Merklingen hatten die Orte Simmozheim, Hausen, Gechingen, Alt- und Neu-Hengstett gehört. …
Die erste Nennung des Orts geschieht im Jahr 1075, als Marchilingan; er wird erwähnt unter den Orten, in welchen das Kloster Hirschau in sehr früher Zeit Güter besaß und welche denselben im genannten Jahr wieder zugestellt wurden.
Merklingen gehörte den Grafen von Calw. … Im 12. Jahrhundert gelangte hiesiger Calwer Besitz (…) mit der Hand der reichen Calwer Erbtochter Uta ( um 1196) an Herzog Welf VI. ( 1191). … Durch mehrere Käufe, …, erwarb das Kloster [Herrenalb] bis zum Jahr 1469 vollends den ganzen Ort, wo es auch den Blutbann4 hatte. Merklingen bildete sofort einen eigenen Stab des Klosteramtes Herrenalb. Von dem Orte schrieb sich eine längst erloschene Adelsfamilie, deren Schloß im Jahr 1426 zum Kirchenbau verwendet wurde. …
Die hiesige Kirche war dem heiligen Remigius geweiht; … Den Neubau nach ihrem Brande unterstützte eine päbstliche Ablassbulle vom 24. November 1426. … Mit dem Kloster Herrenalb ging das Patronat und die Nomination5 zu der Kirche an Württemberg über. …
Merklingen (Aus: Eduard Paulus, Die Kunst u. Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg, Esslingen 1906)
Erstveröffentlichung: Beschreibung des Oberamts Leonberg. Herausgegeben von dem königlichen statistischen topographischen Bureau, Stuttgart 1852.
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das “königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 Verwaltungsbezirke, der sog. Oberämter, und ihrer Gemeinden. Als 30. Band erschien 1852 die Beschreibung des Oberamts Leonberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource, einer Sammlung von urheberrechtsfreien oder unter einer freien Lizenz stehenden Quellentexten, kann diese mittlerweile vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Merklingen.
Referenz
↑1 | Längenmaß, seit 1806: 1 Fuß = 10 Zoll = 28,65 cm |
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↑2 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
↑3 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zuStraußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbigen und zu bewirten.Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst,berechtigt. |
↑4 | Gemäß altdeutschem Recht Gerichtsbarkeit über Leben und Tod |
↑5 | Benennung eines Kirchenamtskandidaten |