„Die lutherische Lehre faßte zu verschiedenen Zeiten hier Fuß, aber nie nachhaltig“
Weil der Stadt in der Beschreibung des Leonberger Oberamts von 1852
Autor: Karl Eduard Paulus
Weil der Stadt. Gemeinde II. Kl. mit 1775 Einw., a. Weil, Stadt, 1760 Einw., wor. 1727 Kath. b. Planmühle, 7 ev. Einw. c. Sägmühle, 3 kath. Einw. d. Lohmühle, 5 kath. Einw. – Kath. Pfarrei. Die Evangelischen von Parc. a. sind nach Schaffhausen, O. A. Böblingen, von b. nach Malmsheim eingepfarrt.
Die vormalige freie Reichsstadt Weil ist 3 1/2 Stunden südwestlich von Leonberg … gelegen und an einem mäßig geneigten Abhange gegen das Würm-Thal und theilweise in der Thalebene selbst, an der Mündung des Thalacker-Bachs (Roßbach) in die Würm erbaut. Die den Ort rings umgebenden, mit Thürmen besetzten Mauern und Gräben, bezeichnen noch die mittelalterliche, einst wohlbefestigte Stadt, aus deren Mitte die hochgelegene, ansehnliche Peter und Paul-Kirche mit 3 Thürmen hervorragt. Von den reinlichen, meist gepflasterten Straßen ist die ausnahmsweise macadamisirte (steinbeschlagene) Stuttgarter Straße die bedeutendste; sie führt von dem Spitalthor bis zu dem ansehnlichen, oblongen Marktplatz, auf dem 2 große steinerne, vierröhrige Brunnen stehen, von denen der eine das aus Stein gut gearbeitete Standbild Kaiser Karl’s V. trägt, auf dessen Schild der Reichsadler und die Jahrszahl 1537 angebracht ist; auf dem andern steht ein Löwe, einen Schild mit dem Reichsadler haltend. Außer diesen sind noch 6 laufende und ein Pumpbrunnen vorhanden, welche die Stadt hinreichend mit Trinkwasser versehen; überdieß fließt noch ein Theil des Thalacker-Bachs durch die Stadt, die östlichen Stadtmauern werden von der Würm bespült. Ein weiterer sehr geräumiger Platz, auf welchem die Viehmärkte abgehalten werden, liegt im unteren Theil der Stadt.
In die Stadt führen 5 Thore, und zwar: das Spital-Thor, das Königs-Thor, das Juden-Thor, das obere und das untere Thor. Die den Aposteln Petrus und Paulus geweihte, im rein germanischen Style aus buntem Sandstein massiv erbaute Pfarrkirche ist ein großartiges Gebäude, das zu den schönsten der Gegend gezählt werden darf. (…) Das Innere der Kirche ist dreischiffig; die Decke, welche früher spitzbogig gewölbt war, gegenwärtig aber flach getäfelt und geschmacklos bemalt ist, wird von gewundenen, durch spitzbogige Scheidebögen verbundene Säulen getragen. (…) Die Kirche wurde 1492 bis 1500 an der Stelle einer früher bestandenen, wahrscheinlich für die Bevölkerung zu klein gewordenen erbaut; bei dem Brand von 1648 … wurde nicht nur der Dachstuhl des Langhauses und das Kreuzgewölbe zerstört, sondern es brannte auch der große Thurm ganz aus und verlor bei seiner Wiederherstellung 20 Fuß von seiner ehemaligen Höhe. (…)
Die Spitalkirche zur heil. Maria liegt neben dem Hospital an der östlichen Stadtmauer; sie wurde am Gallustage 1364 geweiht, scheint aber später bedeutende Veränderungen erlitten zu haben. (…) Das Innere der Kirche hat, wie das Äußere derselben, nichts Ansprechendes; (…) Der Spital, welcher an die Kirche angebaut ist und aus mehreren namhaften, einen Hofraum umschließenden Gebäuden besteht, wurde nach einer über dem Eingang angebrachten Inschrift 1588 erbaut. (…)
Auf dem höchsten Punkte der Stadt liegt angenehm und mit freundlicher Aussicht in das Freie das ehemalige Augustiner-Kloster, in welchem seit 1815 die Wohnungen des Stadtpfarrers, des Präceptors und der Elementarlehrer, ferner die lateinische und die deutsche Schule eingerichtet sind. (…)
Das ansehnliche, gut erhaltene Rathhaus, welches auf rundbogigen Arcaden ruht, und nach der an demselben angebrachten Jahreszahl 1582 erbaut wurde, bildet die Ecke des Marktplatzes und der Stuttgarter Straße. Das ältere Rathhaus steht an der nördlichen Seite des Marktplatzes neben dem Kaufmann Gall’schen Hause.
Die Gebäude des östlich von dem Augustiner-Kloster gelegenen ehemaligen Kapuziner-Klosters, …, sind in Folge der Säcularisation in Privathände übergegangen und die ehemalige Kirche ist nun in eine Scheune umgewandelt. (…) Als ansehnlichere Privathäuser sind zu nennen: das Kaufmann Gall’sche Haus und der Gasthof zur Krone (Post), welche beide an dem Marktplatze stehen.
Die Einwohner, körperlich weniger kräftig, aber verständig, zeichnen sich durch Fleiß und speculative Betriebsamkeit aus.
Der Zahl nach ist sich die Bevölkerung in den letzten Jahrzehenten ziemlich gleich geblieben. (…) Unter 100 Geburten waren 11,3 unehelich, …, ein Verhältniß, das viel ungünstiger ist, als das vom ganzen Oberamtsbezirk. (…)
Schon in frühen Zeiten war Weil die Wiege ausgezeichneter Männer, und auch heutzutage gibt sich ein gewisser Grad intellectueller Begabtheit der Eingebornen in den guten Fortschritten der Schuljugend kund. Von berühmten Männern, welche in Weil der Stadt geboren wurden, nennen wir:
Heinrich Steinhöwel [d. i. Steinheil], geb. 1420, ein Verwandter des trefflichen Arztes Joh. Widmann, genannt Maichinger, promovirte in Padua in der Medizin 1442, wurde Stadtarzt in Eßlingen, später in Ulm und starb 1496. (…)
Paul Scriptoris, geboren gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts, in Paris gebildet, Guardian des Minoriten-Klosters zu Tübingen und erster Lehrer der Mathematik daselbst. (…)
Johannes Brenz, geb. den 24. Juni 1499, Sohn des hiesigen Stadtschultheißen, …, von Herzog Ulrich von Württemberg 1537 bei Einführung der Reformation verwendet. (…)
Joh. Kepler, geb. den 27. Dezember 1572, …, bildete sich zu einem der größten Mathematiker und Astronomen, dessen Entdeckungen die Astronomie großentheils ihre jetzige Ausbildung verdankt. Gestorben nach wechselvollem, durch mancherlei Drangsale getrübten Leben in kaiserlichem, zuletzt in herzoglich friedländischem Dienste, in Regensburg. (…)
Jos. Ant. Gall, Sohn eines Handelsmanns und um die Stadt ungemein verdienten Bürgermeisters, geb. den 27. März 1748, … , Bischof von Linz durch Kaiser Joseph II. 1789, gestorben als solcher den 18. Juni 1807. Ein aufgeklärter Theologe, Stifter des Linzer Priesterseminariums, überhaupt verdienstvoller Oberhirte. (…)
Was die Vermögensumstände der Einwohner betrifft, so sind Einzelne wohlhabend, die Mehrzahl aber minder bemittelt; reiche örtliche Stiftungen reichen den Armen so viel, daß der Bettel verhindert wird. Die Hauptnahrungsquellen sind Ackerbau, Viehzucht und Gewerbe; beinahe jeder Bürger treibt neben der Landwirthschaft irgend eine Profession.
Die ziemlich ausgedehnte Markung ist sehr bergig und außer dem Würmthal noch von mehreren, minder bedeutenden Thälern durchzogen; neben diesen ungünstigen Terrainverhältnissen sind die Felder an sich zum größeren Theil ziemlich unfruchtbar. (…)
Das Klima ist gesund und wenn auch nicht gerade rauh, schaden dennoch Frühlingsfröste nicht selten den Obstbäumen und anderen Gewächsen. Hagelschlag kommt nicht häufig vor. Trotz dieser für die Landwirthschaft ziemlich ungünstigen natürlichen Verhältnisse hat sich dieselbe doch durch Fleiß und Umsicht der Einwohner auf eine höhere Stufe erhoben. (…)
Früher wurde an südlichen Abhängen auch Weinbau getrieben, der erst zu Anfang dieses Jahrhunderts vollends abging. Die im Zunehmen begriffene Obstzucht gewährt meist einen erfreulichen Ertrag; (…)
Was die Gewerbe betrifft, so sind diese hinlänglich vertreten, da beinahe jeder Bürger neben dem Feldbau irgend ein Gewerbe betreibt: von besonderer Erheblichkeit sind die Tuch- und Zeugfabriken, deren Fabrikate hauptsächlich nach Stuttgart und in das benachbarte Baden abgesetzt werden; ein Tuchmacher betreibt überdieß noch die Fabrikation des Watts1, auch geben mehrere Einwohner sich mit der Zubereitung der Schafwolle für größere Fabriken ab. Teppichfabrikant Borger liefert mittelst Jacquard-Maschinen vortreffliche Waaren, welche sowohl in dem In- als in dem Auslande sehr gesucht sind. Die Gerberei wird ziemlich stark betrieben und bildet eines der Hauptgewerbe des Orts. Mehrere Schuhmacher arbeiten in das Große und beziehen mit ihrer Waare Märkte und Messen. Im Ort befinden sich zwei Mahlmühlen … und 1 Säge. Sodann bestehen 13 Schildwirthschaften2, 6 Bierbrauereien und 14 Branntweinbrennereien; deßgleichen 1 Ziegelhütte, 1 Bleiche und 12 Handlungen, von denen einzelne nicht unbedeutende Geschäfte in Wolle machen, indem sie diese im Inland aufkaufen, einer Sortirung unterwerfen und so meist in das Ausland wieder absetzen.
Die Stadt ist mit einer Apotheke versehen, auch ist neben dem Amtsarzt noch ein praktizirender Arzt hier angesessen.
Als Bildungs-Anstalten sind vorhanden: eine lateinische Schule, an der ein Präceptor angestellt ist, drei Volksschulen nebst zwei Sonntagsschulen, an welchen drei Lehrer unterrichten, ferner eine Zeichnungs- und eine Industrieschule. Ein Liederkranz besteht schon längst zur Ausbildung des Gesangs. (…)
Es ist hier ein Poststall mit Postexpedition, da die Poststraße von Stuttgart über Leonberg nach Calw durch die Stadt führt. (…) Außer dem täglich hier durchgehenden Eilwagen zwischen Stuttgart und Calw fahren wöchentlich einige Mal Boten nach Calw. Der Amtsbote geht dreimal in der Woche nach Leonberg.
Der Gemeindehaushalt ist geordnet und gut beschaffen. (…)
Den Grund zu dem Hospital zur heil. Maria oder zu unserer lieben Frauen legte eine Bürgerin zu Weil, Helene Brodbeck, welche sich dem geistlichen Stande widmete und beinahe ihr ganzes Vermögen zur Errichtung eines Spitals vermachte. (…)
Die Pfarrei, welche von einem Stadtpfarrer und einem Vikar versehen wird, ist die einzige katholische im Oberamtsbezirk. Das Patronatrecht hat die Krone. (…)
Weil (Wile),…, gehörte zur Herrschaft der Grafen von Calw, welche hier beträchtlichen Güterbesitz hatten. … Mit andern Calwer Gütern mag Weil der Stadt Welfisch, dann Hohenstaufisch geworden seyn und hat sich jedenfalls frühe die Reichsunmittelbarkeit errungen, denn schon am 29. Dezemb. 1275 spricht Kaiser Rudolph von oppidum nostrum Wyle.
Königliche Hoflager waren hier den 27. September 1360 von Kaiser Karl IV., den 10. August 1418 von Kaiser Sigmund, den 27. Juni 1473 von Kaiser Friedrich IV. Der hiesige Stadtschultheiß und die Bürgerschaft erschien zum erstenmal am 3. Mai 1275 … in einer Urkunde derselben für das Kloster Herrenalb; …
Von verschiedenen Kaisern erfreute sich die Stadt namhafter Privilegien. (…) Erlaubniß zur Judenaufnahme und zur Verwendung ihres Schutzgeldes für den Stadtbau ertheilte Kaiser Karl IV. den 5. November 1360. (…)
Der Magistrat der Stadt in reichsstädtischer Zeit bestund aus 12 Mitgliedern, nämlich zwei Bürgermeistern, welche jährlich um Georgi ihr Amt wechselten, einem Schultheißen und neun Beisitzern oder Rathsgliedern. Ihm war noch ein Consulent oder Syndicus zugeordnet, welcher zugleich die Stadtschreiberei- und Kanzleigeschäfte versah. (…) Dasjenige Collegium, welches die Bürgerschaft vorstellte, wurde der Ausschuß genannt und bestund aus 9 Gliedern. Magistrat und Ausschuß ergänzten sich selbst. Der letztere konnte und mußte bei wichtigen Gegenständen noch 20-30 Personen aus der Bürgerschaft beiziehen, welche aus den Zünften oder Brüderschaften je für den besondern Fall erwählt wurden, also nicht bleibend waren (sogenannte Bürgerdeputation). Niemals hatte die ganze Bürgerschaft das Recht, sich eigenmächtig, ohne besonderen Befehl des Magistrats, zu versammeln (…). Als eigenthümliche Bestimmung galt bis zu württembergischer Zeit, daß die Bürgersöhne, welche ein Gewerbe treiben wollten, verheirathet sein mußten.
Im Jahr 1803 durch Reichsdeputationsschluß vom 25. Februar kam die Reichsstadt unter württembergische Herrschaft.3 (…)
Die lutherische Lehre faßte zu verschiedenen Zeiten hier Fuß, aber nie nachhaltig. (…)
Am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts war fast die ganze Einwohnerschaft, mit alleiniger Ausnahme von 30 Bürgern (…), lutherisch, worüber es zu umständlichen Verhandlungen auch mit dem Hof in Wien kam. Der Rath blieb jedoch katholisch und wußte die Lutheraner, trotz der Verwendung Herzog Friedrich’s von Württemberg und Markgraf Georg Friedrich’s von Baden, von den Gerichts- und Rathsstellen auszuschließen und am Ende die protestantische Lehre ganz aus der Stadt zu verbannen. Auch später wurden Versuche zur Reformation gemacht; 1633 war in der Stadt ein lutherischer „Prädikant“ und auch ein deutscher Schulmeister, ja der halbe Rath lutherisch, nach der Einäscherung der Stadt im Jahr 1649 war erneute Absicht vieler Einwohner, das Augsburgische Glaubensbekenntniß einzuführen, doch zerschlug sich dieser Plan später wieder und die Stadt blieb ganz katholisch; (…)
Das Rathaus von Weil der Stadt mit dem Denkmal für Johannes Kepler, den berühmtesten Sohn der alten Reichsstadt. (Foto: S. Schmidt)
Erstveröffentlichung: Beschreibung des Oberamts Leonberg. Herausgegeben von dem Königlichen statistisch-topographischen Bureau. Stuttgart 1852, S.244-263.
Der Text wurde gekürzt.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I. das “königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 Verwaltungsbezirke, der sog. Oberämter, und ihrer Gemeinden. Als 30. Band erschien 1852 die Beschreibung des Oberamts Leonberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource, einer Sammlung von urheberrechtsfreien oder unter einer freien Lizenz stehenden Quellentexten, kann diese mittlerweile vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Weil der Stadt.
Referenz
↑1 | gemeint ist Watte |
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↑2 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt. |
↑3 | Nach der Erhebung Württembergs zum Königreich im Jahre 1806 wurde zunächst 1807 ein neues Oberamt Weil der Stadt eingerichtet. Im Rahmen der Neuordnung der württembergischen Verwaltungsgliederung wurde dieses aber bereits 1808 mit dem seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestehenden Amt Leonberg vereinigt. Seither gehörte Weil der Stadt zum Oberamt Leonberg. Als einzig katholische Gemeinde des Bezirks ordnete man es in kirchlicher Hinsicht dem katholischen Dekanat Stuttgart unter. |