Anfänge einer Institution
Das Porsche-Entwicklungszentrum Weissach
Autor: Dr. Michael Geyer
Auf der Suche nach einem Standort zur Anlegung eines Prüffelds stieß die Firma Porsche im Januar 1960 auf die Gemarkungen Flacht und Weissach. Diesen Tipp verdankte sie ihrem Weissacher Mitarbeiter und Porsche-Urgestein Herbert Linge.
Das nur 25 km vom Stammwerk Zuffenhausen entfernte Gelände für die zukünftige Teststrecke erstreckte sich auf die Markungsteile Roter Grund, Schellenberg, Steingrube und Reutäcker. Es gehörte etwa je hälftig den beiden Gemeinden Flacht und Weissach, die andere Hälfte war in Privatbesitz und in vielen Parzellen zersplittert.
Das steinige und mit zahlreichen Hecken bewachsene Gelände war landwirtschaftlich ziemlich wertlos. Viele Grundstücke waren seit Jahren nicht mehr bewirtschaftet worden. Die landschaftlichen Reize dieses Markungsteils riefen aber alsbald die Naturschutzbehörde auf den Plan, die das Vorhaben verhindern wollte. Der Umweltschutzgedanke war damals in der Bevölkerung noch nicht entwickelt, so dass von Seiten der Einwohnerschaft keine Einwände hörbar wurden. Ganz im Gegenteil hoffte man, mit der Ansiedlung der Firma Porsche nicht nur einen potenten Gewerbesteuerzahler, sondern auch Arbeitsplätze für Einheimische zu bekommen. Diese positive Einstellung zur Firma Porsche ist bis heute geblieben.
Anfang Februar 1960 unterbreitete der Bevollmächtigte der Firma Porsche, Ghislaine E. J. Kaes, den beiden Bürgermeistern Pläne für das vorgesehene Prüffeld. Herr Kaes, Privatsekretär von Ferdinand Porsche, betrieb das Vorhaben mit größtem Nachdruck.
Die Absicht der Firma Porsche stieß bei den Gemeinderäten von Weissach und Flacht auf einhellige Zustimmung, denn alle bisherigen Anstrengungen um Industrieansiedlungen waren ergebnislos verlaufen. Die ursprüngliche Planung für die verschiedenen Anlagen wurde laufend verändert. Am 7. November 1960 errechnete man den Grundstücksbedarf bereits auf 38 Hektar. Dem tatkräftigen Einsatz von Herrn Kaes war es zu verdanken, dass die Einwände der Naturschutzbehörden bald ausgeräumt werden konnten.
Am 18. November 1960 ging die Genehmigung des Regierungspräsidiums bei der Firma Porsche ein. Nun konnte das Vorhaben realisiert und mit den Grundstückskäufen begonnen werden. Bis zum 28. November 1960, also gerade 10 Tage später, hatte Herr Kaes bereits Kaufverträge über mehr als 200 Parzellen abschließen können. Am 6. März 1961 unterzeichnete die Firma Porsche die Verträge mit Flacht und Weissach. Für die gemeindeeigenen Grundstücke wurde 1 DM/qm, für die meisten Privatgrundstücke 1,50 DM/qm und für eine kleine Fläche besserer Bonität 2 DM/qm bezahlt.
Am 16. Oktober 1961 erfolgte der erste Spatenstich. Schon genau ein Jahr später war die Baustufe 1 – Fahrversuchstation mit Skid Pad (Test-Rundstrecke) und verschiedenen Fahrbahnen – fertig gestellt.
Ehe die gesamte Anlage am 30. Mai 1963 voll erschlossen war, mussten zuvor Fragen der Frischwasserversorgung, der Abwasserbeseitigung und der Stromzufuhr geklärt werden.
Am 8. März 1966 teilt die Firma Porsche mit, es sei geplant, die gesamte Entwicklungsabteilung nach Weissach zu verlegen. Das lässt auf hohe Einnahmen an Gewerbesteuer hoffen, die beiden Gemeinden je hälftig zufließen. Weitere Bauvorhaben werden 1968 genehmigt. Auch dem Wunsch der Firma Porsche auf Erwerb zusätzlicher Flächen wird stattgegeben. Schließlich kann am 1. Juli 1971 das Entwicklungszentrum Weissach (EZW) teilweise in Betrieb genommen werden.
Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am 30.9.1988 stand das EZW unter der Leitung von Prof. Dr. h. c. Bott. Er hat das Entwicklungszentrum von der Idee bis zu seiner heutigen Größe verwirklicht. Darunter fällt auch die Realisierung des Gesamtbebauungsplanes für das mittlerweile rund 68 ha umfassende Betriebsgelände. Damit hat er vorausschauend die Weichen für die künftige Weiterentwicklung des EZW gestellt.
20.9.1974 Fertigstellung des 1. Bauabschnitts (Bürogebäude). Zusammenlegung von Konstruktion, Versuch und Verwaltung, Kosten ca. 60 Mio. DM.
1981 Werkhallenerweiterung auf 4.000 qm Nutzfläche
1984 Büro- und Studioerweiterung,
1.7.1985 Fertigstellung Casino
28.5.1986 Eröffnung Windkanal
6.-9.1986 Bau des Messzentrums für Aerodynamik, Werkhallenerweiterung, Crash-Anlage
1.4.1989 Erweiterung des Prüfgeländes für Motoren und Aggregate
1990 Containerlösung für ein Bürogebäude,
1991-1992 Bau weiterer Bürogebäude
Am 1.1.1996 betrug die Gesamtfläche des EZW über 67ha, der Anlagewert lag bei 280 Mio DM.
1.12.1971 510 Mitarbeiter
1.10.1974 1.000, davon 650 Ingenieure und Techniker, 350 gewerbliche Mitarbeiter
1.6.1985 2.000, davon 1179 Ingenieure, 786 Facharbeiter, 35 Designer
1.2.1991 2.300, davon 1.500 Ingenieure und Techniker, 800 gewerbliche Mitarbeiter
1.2.1996 2.800 Mitarbeiter.
Fast alle führenden Automobilmarken sind Kunden der Weissacher Denkfabrik. Das EZW beschränkt sich aber nicht auf neue Entwicklungen im Fahrzeug- und Motorenbau, sondern bedient weltweit Kunden aus fast allen Technikbereichen.
Mai 1972 Tag der offenen Tür, offizielle internationale Pressevorstellung des EZW
1974 Festakt 25 Jahre Porsche-Automobile
1975 Gedächtnisausstellung 100 Jahre Prof. Porsche in Stuttgart
1977 Vorführung des neuen Typs 928
1992 Bremsen-Workshop, Vergleichsfahrten verschiedener Fahrzeuge mit 80 Journalisten
1992 Umwelttag
1996 Feier zum 25jähriges Bestehen des EZW mit rund 1.000 Gäste aus aller Welt
Illustre Besucher des EZW waren u.a.: König Carl Gustav von Schweden, Prinz Albert von Belgien, Bruno Kreisky, Herbert von Karajan. An prominenten Sportlern waren zu Gast: Rosi Mittermaier, Martina Navratilova, Ivan Lendl, Thomson, Bernhard Langer und die Rennfahrer Gerhard Mitter, Emerson Fittipaldi, John Watson und Niki Lauda.
Die Firma Porsche hat der Gemeinde Weissach nicht nur wichtige Gewerbesteuer-Einnahmen verschafft, sondern Weissach auch weltweit bekannt gemacht. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass im EZW etwa 300 Weissacher einen Arbeitsplatz gefunden haben. Seit 19. Januar 1996 ist unter dem Dach des EZW auch das neu gegründete Abgaszentrum der Automobilindustrie“ kurz ADA“ beheimatet. Unter dieser Firma betreiben die Automobilfirmen BMW, Mercedes-Benz, Porsche, Volkswagen und Audi gemeinsame Grundlagenforschung zur Verminderung der Schadstoffemissionen bei Motoren.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Historiker, Dr. Michael Geyer, unterrichtete bis zu seinem Ruhestand Geschichte am Johannes-Kepler-Gymnasium in Leonberg und gehört zu den Mitbegründern des Arbeitskreises „Zeitreise-BB“ am Böblinger Kreismedienzentrum.
Literatur: Willi Schray, Ortsgeschichte Flacht, Hrsg. Gemeinde Weissach, 1980
Weblinks:
Porsche Entwicklungszentrum Weissach
Wikipedia – Artikel zu Porsche mit weiteren Links