Riskantes Unternehmen im Jahre 1909 in Weil im Schönbuch
Die Anhebung des Gasthofs Krone
Autorin: Susanne Kittelberger
Im Sommer 1909 erlebte Weil im Schönbuch ein spannendes und nicht ungefährliches Schauspiel. Im Juni dieses Jahres wurde nämlich eines der vielen Gasthäuser des Dorfes, der direkt an der Hauptstraße gelegene Gasthof Krone angehoben.
In seinem Fotobuch „Im alten Dorf“ veröffentlichte der Weiler Heimatforscher Walter Hahn eine alte Fotografie, auf der das Spektakel für die Nachwelt festgehalten wurde.
Das Fachwerkgebäude war dabei offensichtlich von seinem Fundament abgetrennt und mit einem Stützsystem von Holzbalken unterfangen worden. Von außen wurde es zusätzlich mit langen Holzbalken abgestützt.
Nachdem die heikle Arbeit offenbar ohne Störung gelungen war, präsentierten sich nun die beteiligten Handwerker, Zimmerleute und Amtsträger, aber auch Frauen und Kinder stolz dem Fotografen.
Dass sich Kronenwirt Wilhelm Kraft 1909 in Weil im Schönbuch zu dieser Aktion entschlossen hat, zeugt von Mut und Risikobereitschaft. Erst drei Jahre zuvor hatte am 5. April 1906 der Versuch, den Gasthof Hirsch in Nagold anzuheben, zum Einsturz des Gebäudes geführt.
Die sog. „Hirsch-Katastrophe“ forderte über 50 Menschenleben, weil – heute völlig unvorstellbar – der Schankbetrieb im 1. Stock des Gebäudes weiterlief und sich die Leute mit dem Gebäude zusammen anheben lassen wollten. Das Foto, das dort noch kurz vor dem Einsturz gemacht wurde, gleicht der Szenerie auf dem Foto der Krone in Weil im Schönbuch fast aufs Haar – sieht man mal davon ab, dass der Hirsch in Nagold doch ein etwas stattlicheres Gebäude war.
Trotzdem waren – wie man an der Krone in Weil im Schönbuch sieht – Gebäudehebungen und -verschiebungen damals durchaus kein Einzelfall. Viele Methoden waren in den schnell wachsenden Städten der Neuen Welt entwickelt worden. Auch heute gibt es Firmen, die sich auf die Hebung von Gebäuden spezialisiert haben.
Offenbar haben die Handwerker in Weil im Schönbuch gute Arbeit geleistet. Das Gebäude scheint jedenfalls den Eingriff gut verkraftet zu haben und Oberamtsbaumeister Baumann notierte am 21. October 1909 zufrieden: „Das Bauwesen des Wilh. Kraft zur Krone ist plan- und vorschiftsmäßig ausgeführt.“
Von 1924-1953 war in der Krone neben dem Gasthaus auch die von der Familie Ohmenhäuser betreute Postagentur untergebracht. Erst über ein halbes Jahrhundert später wurde der traditionsreiche Gasthof 1963 geschlossen. Kronenwirt Kraft war bereits 1951 im Alter von 84 Jahren verstorben.
Das traditionsreiche Gebäude selbst fiel schließlich nach der Jahrtausendwende der Neugestaltung des sog. Edeka-Areals zum Opfer. Die Bauakten sind jedoch noch zum Teil erhalten und zeugen davon, dass man es sich damals mit der Genehmigung des riskanten Unterfangens nicht leicht gemacht hatte.
Der Gasthof Hirsch in Nagold kurz vor dem Einsturz. (Wikimedia Commons/Public Domain, Aus: Hermann Scheurer, Die Hirsch-Katastrophe in Nagold, Horb 1996, S. 67.)