Die Böblinger Pirschgänge
Autor: Dr. Günter Scholz
Auf Böblinger Markung befindet sich ein einzigartiges steinernes Zeugnis der höfischen Kultur und Jagdleidenschaft der Rokokozeit: Die von Herzog Carl Alexander (1733 bis 1737) angelegten Pirschgänge.
Herzog Carl Alexander, der zum Katholizismus konvertiert war, hatte sich in den Türkenkriegen des früheren 18. Jahrhunderts hervorgetan, unter anderem in der Schlacht bei Peterwardein (1716). Seine Hofhaltung war der Zeit entsprechend aufwendig. Sein Finanzier war der später hingerichtete Josef Süß-Oppenheimer.
Als Jagdliebhaber hatte Carl Alexander im Böblinger Schloss eigens einen Ballsaal einrichten lassen, in dem nach Verrichtung des Waidwerks aufwendige Hoffeste gefeiert wurden. Böblingen erlebte so einen schwachen Abglanz von Residenzkultur der Rokokozeit.
Die Pirschgänge liegen im Böblinger Stadtwald östlich der Stadt zwischen dem Gewann „Beim Roten Mann“ und „Schelmenhau“. Das weitläufige Gängesystem befindet sich in dem wildreichen, als „Plan“ bezeichneten Gelände.
Die Anlage fand bereits das Interesse des Verfassers der Oberamtsbeschreibung von 1850:
„Eine besondere Merkwürdigkeit sind die unterirdischen Pirschgänge, welche Herzog Carl Alexander 1737 unter dem damaligen Oberforstmeister zu Böblingen von Schauroth durch den Baumeister Nicolaus Kraft auf dem sogenannten Plan (1 Stunde östlich von Böblingen) anlegen ließ. Sie sind aus Quadern massiv gewölbt 7′ (Fuß) hoch und 4 ½‘ (Fuß) breit und haben vom Eingang an der Planklinge bis zum Ausgang an der Kastenklinge eine Länge von 943 Schritten, ein Seitengang ist 253 Schritte lang. Die Gewölbe, welche zu beiden Seiten Schießscharten haben, sind zum Teil eingerissen und eingefallen.“
Der nördliche Zugang zu den Pirschgängen im Jahre 1909. Der Eingang ist heute zugemauert. (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Otto Feucht. Signatur: LMZ410124)
Unabhängig vom Wetter Die Gewölbe haben eine lichte Höhe von durchschnittlich zwei Metern und sind gut einen Meter breit. In Abständen von ungefähr zwei Metern befinden sich auf jeder Seite kleine Öffnungen, durch die Licht einfällt. Da diese Öffnungen schräg nach oben gerichtet sind, konnten sie nicht als Schießscharten dienen, wie in der Oberamtsbeschreibung vermutet. Zweck der Anlage war vielmehr, der Jagdgesellschaft den Standortwechsel zu den verschiedenen Jagdständen unabhängig vom Wetter zu ermöglichen.
Es war wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Herzog Carl Alexander die aufwendige Anlage errichten ließ. Nach der Eroberung von Belgrad hatte seine Sorge dem Ausbau der dortigen umfangreichen Befestigungsanlage gegolten.Einmalige AnlageDie Böblinger Pirschgänge sind in unserem Raum etwas Einmaliges. Vergleichbar mit ihr sind die kurz vor der Böblinger Anlage entstandenen Pirschgänge auf dem Rieseneck bei Hummelshain in der Nähe von Jena.
Nachdem Herzog Carl Alexander 1737 unerwartet an einem Lungenschlag oder Lungenödem gestorben war, verfiel die Anlage. Erst 1986 erfolgte die Sicherung der Pirschgänge, die als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen wurden.
Die Pirschgänge liegen auf dem Gelände der in Böblingen stationierten US-Streitkräfte und sind nur im Rahmen von besonderen Führungen zugänglich.In den letzten Jahren wurde immer wieder über die Pirschgänge berichtet, weil sie akut vom Zerfall bedroht waren (siehe z.B. Beitrag „Zur Sache“ von Reinhard Wolf, Schwäbische Heimat, Heft 3, 2016). So mancher Rettungsversuch verlief im Sande oder wurde wieder abgebrochen. 2017 hat die Stadt Böblingen die Trägerschaft für das Kulturdenkmal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übernommen. Im Herbst 2019 begannen aufwendige Sanierungsmaßnahmen, die vermutlich im Frühjahr 2020 abgeschlossen werden. Die Kosten teilen sich das Landesamt für Denkmalpflege, die Denkmalstiftung BW, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die Stadt Böblingen und der Landkreis Böblingen.
Die Böblinger Pirschgänge – Skizze der Gesamtanlage. Am nördlichen Ende befindet sich der Eingang, dort steigt der Gang auf einer Länge von 108 m 16 m hoch an, um von diesem höchsten Punkt aus nach Osten und Süden wieder abzufallen (Aus: E. Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehem. Böblinger Stadtwald am Plan. In: Aus Schönbuch und Gäu, 12/1961)
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag, Sindelfingen 1990, S.13-14.Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.Der Autor, Dr. Günter Scholz, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik an der Universität Tübingen. Seit 1981 leitete er das Böblinger Stadtarchiv, später auch das von ihm konzipierte Bauernkriegsmuseum. Von 1993 bis 2005 leitete er das Böblinger Kulturamt.Links und Literaturhinweise
Johannes Wilhelm: Die Pirschgänge im Böblinger Stadtwald. Ein Denkmal landesherrlicher Jagdkultur. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpfleg, Bd. 17, Nr. 3, (Jg.1988), S. 134-137.Ewald Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehemaligen Böblinger Stadtwald am Plan – ein Bildbericht. In: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage des Böblinger Boten, 12/1961Dieter Kapff / Reinhard Wolf: Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser… Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund, Konrad Theiss Verlag GmbH Stuttgart, 2000, S. 51-54.
Die Pirschgänge liegen auf dem Gelände der in Böblingen stationierten US-Streitkräfte und sind nur im Rahmen von besonderen Führungen zugänglich.In den letzten Jahren wurde immer wieder über die Pirschgänge berichtet, weil sie akut vom Zerfall bedroht waren (siehe z.B. Beitrag „Zur Sache“ von Reinhard Wolf, Schwäbische Heimat, Heft 3, 2016). So mancher Rettungsversuch verlief im Sande oder wurde wieder abgebrochen. 2017 hat die Stadt Böblingen die Trägerschaft für das Kulturdenkmal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übernommen. Im Herbst 2019 begannen aufwendige Sanierungsmaßnahmen, die vermutlich im Frühjahr 2020 abgeschlossen werden. Die Kosten teilen sich das Landesamt für Denkmalpflege, die Denkmalstiftung BW, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die Stadt Böblingen und der Landkreis Böblingen.
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Die Böblinger Pirschgänge – Skizze der Gesamtanlage. Am nördlichen Ende befindet sich der Eingang, dort steigt der Gang auf einer Länge von 108 m 16 m hoch an, um von diesem höchsten Punkt aus nach Osten und Süden wieder abzufallen (Aus: E. Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehem. Böblinger Stadtwald am Plan. In: Aus Schönbuch und Gäu, 12/1961)
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag, Sindelfingen 1990, S.13-14.Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.Der Autor, Dr. Günter Scholz, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik an der Universität Tübingen. Seit 1981 leitete er das Böblinger Stadtarchiv, später auch das von ihm konzipierte Bauernkriegsmuseum. Von 1993 bis 2005 leitete er das Böblinger Kulturamt.Links und Literaturhinweise
Johannes Wilhelm: Die Pirschgänge im Böblinger Stadtwald. Ein Denkmal landesherrlicher Jagdkultur. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpfleg, Bd. 17, Nr. 3, (Jg.1988), S. 134-137.Ewald Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehemaligen Böblinger Stadtwald am Plan – ein Bildbericht. In: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage des Böblinger Boten, 12/1961Dieter Kapff / Reinhard Wolf: Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser… Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund, Konrad Theiss Verlag GmbH Stuttgart, 2000, S. 51-54.
Die Gewölbe haben eine lichte Höhe von durchschnittlich zwei Metern und sind gut einen Meter breit. In Abständen von ungefähr zwei Metern befinden sich auf jeder Seite kleine Öffnungen, durch die Licht einfällt. Da diese Öffnungen schräg nach oben gerichtet sind, konnten sie nicht als Schießscharten dienen, wie in der Oberamtsbeschreibung vermutet. Zweck der Anlage war vielmehr, der Jagdgesellschaft den Standortwechsel zu den verschiedenen Jagdständen unabhängig vom Wetter zu ermöglichen.
Es war wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Herzog Carl Alexander die aufwendige Anlage errichten ließ. Nach der Eroberung von Belgrad hatte seine Sorge dem Ausbau der dortigen umfangreichen Befestigungsanlage gegolten.
Die Böblinger Pirschgänge sind in unserem Raum etwas Einmaliges. Vergleichbar mit ihr sind die kurz vor der Böblinger Anlage entstandenen Pirschgänge auf dem Rieseneck bei Hummelshain in der Nähe von Jena.
Nachdem Herzog Carl Alexander 1737 unerwartet an einem Lungenschlag oder Lungenödem gestorben war, verfiel die Anlage. Erst 1986 erfolgte die Sicherung der Pirschgänge, die als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen wurden.
Die Pirschgänge liegen auf dem Gelände der in Böblingen stationierten US-Streitkräfte und sind nur im Rahmen von besonderen Führungen zugänglich.
In den letzten Jahren wurde immer wieder über die Pirschgänge berichtet, weil sie akut vom Zerfall bedroht waren (siehe z.B. Beitrag „Zur Sache“ von Reinhard Wolf, Schwäbische Heimat, Heft 3, 2016). So mancher Rettungsversuch verlief im Sande oder wurde wieder abgebrochen. 2017 hat die Stadt Böblingen die Trägerschaft für das Kulturdenkmal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übernommen. Im Herbst 2019 begannen aufwendige Sanierungsmaßnahmen, die vermutlich im Frühjahr 2020 abgeschlossen werden. Die Kosten teilen sich das Landesamt für Denkmalpflege, die Denkmalstiftung BW, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die Stadt Böblingen und der Landkreis Böblingen.
Die Böblinger Pirschgänge – Skizze der Gesamtanlage. Am nördlichen Ende befindet sich der Eingang, dort steigt der Gang auf einer Länge von 108 m 16 m hoch an, um von diesem höchsten Punkt aus nach Osten und Süden wieder abzufallen (Aus: E. Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehem. Böblinger Stadtwald am Plan. In: Aus Schönbuch und Gäu, 12/1961)
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag, Sindelfingen 1990, S.13-14.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Der Autor, Dr. Günter Scholz, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik an der Universität Tübingen. Seit 1981 leitete er das Böblinger Stadtarchiv, später auch das von ihm konzipierte Bauernkriegsmuseum. Von 1993 bis 2005 leitete er das Böblinger Kulturamt.
Links und Literaturhinweise
Johannes Wilhelm: Die Pirschgänge im Böblinger Stadtwald. Ein Denkmal landesherrlicher Jagdkultur. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpfleg, Bd. 17, Nr. 3, (Jg.1988), S. 134-137.
Ewald Eckleben: Die unterirdischen Pirschgänge im ehemaligen Böblinger Stadtwald am Plan – ein Bildbericht. In: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage des Böblinger Boten, 12/1961
Dieter Kapff / Reinhard Wolf: Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser… Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund, Konrad Theiss Verlag GmbH Stuttgart, 2000, S. 51-54.