Spuren jüdischer Präsenz in Deufringen
Lazarus und Simon
Autorin: Gudrun Emberger
Noch eine Besonderheit von Deufringen, die damit zusammenhängt, dass Deufringen ritterschaftliches Gut war, gilt es zu erwähnen: Im 16. Jahrhundert haben sich hier Juden angesiedelt. Um eine Besonderheit handelt es sich deswegen, weil im Jahre 1498 alle Juden aus dem Gebiet des Herzogtums Württemberg ausgewiesen worden waren und ihnen verboten wurde, sich dort künftighin anzusiedeln (dieses Verbot galt bis ins 19. Jahrhundert hinein). Kleinere Herrschaften aber waren damals nur zu gerne bereit, Juden bei sich aufzunehmen – gegen Bezahlung von Schutzgeldern oder anderen Sonderabgaben, die für die Kasse eine willkommene Aufbesserung versprachen. Daher findet man im territorial stark zersplitterten deutschen Südwesten immer wieder kleine Inseln, die den Juden ein Refugium boten. Wie aus vier erhaltenen Urfehdebriefen1hervorgeht, haben auch die Herren von Gültlingen zumindest zeitweilig zwei Juden die Ansiedlung in Deufringen ermöglicht.
Diese Juden, Lazarus und Simon, betätigten sich wohl beide als Geldverleiher, was nicht weiter verwunderlich ist, da Juden die Ausübung fast aller anderen Berufe verboten war, so dass die meisten von Waren-, Vieh- oder Geldhandel leben mussten. In den Quellen fassbar geworden sind Lazarus und Simon, weil es zum Konflikt gekommen war: Da Deufringen ja inmitten württembergischen Gebiets lag, bedurfte es der Erlaubnis der württembergischen Herrschaft, des sogenannten Geleits, wollten die Juden Deufringen verlassen und in ein anderes Territorium ziehen.
Eben ohne dieses Geleit hatte sich Simon, „Jude von Deufringen“, im Jahr 1526 auf württembergischem Boden bewegt und war deshalb ins Herrenberger Gefängnis gekommen. Bei seiner Entlassung musste er unter anderem an den Landesherren (damals Österreich) 10 fl2 bezahlen und in der Urfehde versprechen, in Zukunft nicht mehr ohne Geleit in Württemberg zu wandern und den württembergischen Untertanen nichts auf Pfand oder sonstwie zu leihen.3Letzteres zielte auf die zweite württembergische Regimentsordnung von 1498, in der, wie bereits erwähnt, die Juden des Landes verwiesen worden waren und ein Passus bestimmte, dass Juden Untertanen des Herzogtums Württemberg zwar Geld leihen durften, aber nicht auf Pfand oder um sich sonstwie daran zu bereichern.4
Simon war zum Zeitpunkt seiner Gefangennahme im Jahr 1526 und mindestens noch bis zum Juni 1529 der einzige in Deufringen sesshafte Jude. Denn am 19. Juni musste Jakob Rathgeb aus Ehningen unter anderem deshalb Urfehde schwören, weil er den Böblinger Obervogt Junker Jörg von Rödt fälschlicherweise bezichtigt hatte, er „lig mit dem Juden von Tyfringen in dem gesuch und wucher“, beteilige sich also an dessen Geschäften und habe dafür im Jahr wohl 100 fl von dem Juden erhalten.5
Hätte zu der Zeit auch schon Lazarus in Deufringen gelebt, wäre in der Urfehde sicherlich nicht nur von dem Juden die Rede. Dieser zweite Jude hatte sich aber spätestens 1531 in Deufringen niedergelassen. Lazarus machte sich nämlich im Februar 1531 ebenfalls des Vergehens schuldig, ohne Geleit durch Württemberg gezogen zu sein, und lag deswegen für einige Zeit im Böblinger Gefängnis. Bei seiner Entlassung am 17. April bekräftigte er seine Urfehde mit einem jüdischen Eid: „mit ploßen Armen In das buch Moysy gelegt“.6Übrigens hatte sich Sebastian von Gültlingen für die Entlassung des Lazarus eingesetzt. Und auch innerhalb der Deufringer Bevölkerung hatten die Juden Freunde: Hanns Dir von Deufringen saß im Böblinger Gefängnis ein, weil er mit „des Juden von Tyfferingen Roß“ nach Böblingen geritten war und dort versucht hatte, Lazarus zur Flucht aus dem Gefängnis zu verhelfen.7
Woher die Juden Lazarus und Simon gekommen waren, ob sie mit Ehefrau und Kindern in Deufringen gelebt haben, wohin sie von Deufringen aus gezogen sind, und ob sich noch weitere Juden unter den Schutz der Herren von Gültlingen begeben haben, ist nicht bekannt. Anzunehmen ist allerdings, dass nach dem 15. Februar 1533 keine Juden mehr in Deufringen aufgenommen wurden. Unter diesem Datum nämlich wurde Sebastian von Gültlingen der Ältere von König Ferdinand, dem Statthalter in Württemberg, wieder in seine Rechte eingesetzt und erhielt seine Lehen wieder übertragen, die er wegen seiner mutmaßlichen Schuld am Tod des Kilian Hemerer verloren hatte. Dafür musste Sebastian von Gültlingen unter anderem versprechen, dass er und seine Erben „hinfüro In allenn noch Jedenn unnsern Schlossen unnd Fleckhen khein Juden noch Jüdin nymer mer ennthalten noch unnder uns wonen unnd sitzen lassen“ würden.8
Darstellung eines Juden im Ständebuch von Jost Amman aus dem Jahre 1568. (Bild: Wikimedia Commons/Public Domain)
Erstveröffentlichung: Aidlingen, Dachtel und Deufringen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg (1534-1634). In: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen – Beiträge zur Ortsgeschichte. Aidlingen 1999. S. 250-252.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Für die Online-Publikation auf www.zeitreise-bb wurde die Rechtschreibung den aktuellen Regeln angepasst.
Dr. Gudrun Emberger studierte Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Anglistik in Tübingen und Bangor (North Wales); Promotion im Fach Geschichte an der Freien Universität Berlin; langjährige Arbeit als freiberufliche Historikerin und als Wiss. Mitarbeiterin am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.
Referenz
↑1 | Urfehde ist die eidliche Versicherung eines aus der Haft entlassenen Delinquenten, sich nicht an allen für die Haftstrafe Verantwortlichen zu rächen. S. hierzu Casimir Bumiller, Urfehden, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, https://www.leo-bw.de/themenmodul/sudwestdeutsche-archivalienkunde/archivaliengattungen/urkunden/urfehden. |
---|---|
↑2 | fl = Abkürzung für Gulden, bzw. Florin. |
↑3 | Hauptstaatsarchiv Stuttgart (künftig: HStA Stuttgart), A 44 U 1847. |
↑4 | A. L. Reyscher (Hrsg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze, 19 Bde., Stuttgart/Tübingen 1828-50, hier Bd. 2, S.23. |
↑5 | HStA Stuttgart, A 44 U 414. |
↑6 | HStA Stuttgart, A 44 U 494. |
↑7 | HStA Stuttgart, A 44 U 495. |
↑8 | HStA Stuttgart, A 153 U 75. |