Die Herren von Gültlingen zu Deufringen
Als adliges Rittergut bildete Deufringen für drei Jahrhunderte eine herrschaftliche Enklave innerhalb Württembergs. Das Erscheinungsbild des Ortes prägt das noch heute.
Autorin: Susanne Kittelberger
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts änderten sich auch im Heckengäu die herrschaftlichen Verhältnisse. Grund war der wirtschaftliche Niedergang der einst mächtigen Pfalzgrafen von Tübingen, die nach und nach ihre Besitztümer veräußern mussten. Neben Aidlingen und Dachtel gelangte so auch das Dorf Deufringen vermutlich im Jahre 1382 an das Haus Württemberg.1 Bereits zur Zeit der Pfalzgrafen war Deufringen als Lehen an Familien des niederen Adels vergeben gewesen. Diese Praxis behielten auch die Württemberger bei und gaben den Ort als Lehen an die Herren von Gültlingen.
Das zum schwäbischen Uradel zählende Geschlecht mit Stammsitz in Gültlingen, – heute Landkreis Calw -, gehörte zur Reichritterschaft im Ritterkanton Neckar-Schwarzwald und wurde 1488 Mitglied im Schwäbischen Bund. Weitere Besitzungen der weit verzweigten Familie befanden sich in Berneck, wo sie bis 1805 die Geschicke des Ortes bestimmten, in Sindlingen, Poltringen, Oberndorf, Pfäffingen, Hohenentringen, Zavelstein und Vollmaringen.2
Bereits vor 1392 besaß „Schwarzhans“ von Gültlingen (gest. 1405) die Hälfte des Ortes. Doch erst nach seinem Tod wurde sein Sohn Hans (gest. 1439) mit dem ganzen Dorf belehnt.3Von nun an waren die Herren von Gültlingen fast 300 Jahre lang die direkte obrigkeitliche Instanz in Deufringen. Durch ihre verfassungsrechtliche Stellung waren die Reichsritter Vasallen des Kaisers. Als Rittergut bildete der Ort daher eine reichsunmittelbare Herrschaft, also eine Enklave innerhalb Württembergs. Damit hob sich Deufringen, wie die Historikerin Gundrun Emberger in ihrer Untersuchung über Aidlingen, Dachtel und Deufringen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg klar herausstellte, ganz deutlich von seinen Nachbarorten ab. Aidlingen und Dachtel waren württembergische Amtsdörfer. Dort bekamen die Menschen den Herzog so gut wie nie persönlich zu Gesicht. In Deufringen war das anders. Hier lebten die Untertanen in ständigem Kontakt mit ihren „Herrn“.4
Mit dem Lehen verbunden war auch die sog. Blutgerichtsbarkeit, also das Recht schwere Vergehen an Leib und Leben zu bestrafen. Dass dieses Recht nicht nur auf dem Papier bestand, sondern von den Ortsherren auch eingefordert wurde, erkennt man daran, dass Jakob Bernhard von Gültingen seinem Herzog 1621 mitteilte, er beabsichtige in Deufringen einen Galgen aufrichten zu lassen.5
Wappen der Herren von Gültlingen aus dem Scheiblerschen Wappenbuch (Bayrische Staatsbiblithek), um 1450-80. (Bild: Wikimedia Commons/Public Domain)
Obwohl die Ritter von Gültlingen faktisch die Herren im Dorf waren, konnten sie doch nicht rein willkürlich handeln. Die Bewohner Deufringens waren nämlich in der Mehrzahl württembergische Leibeigene. Tatsächlich scheint das Verhältnis zwischen den Ortsherren und ihren Untertanen nicht besonders herzlich gewesen zu sein. Die noch vorhandenen Archivalien, die die Historiker 1999 für die Ortsgeschichte auswerteten, künden jedenfalls von vielerlei Differenzen. Mehrfach wandten sich die Deufringer an die württembergischen Lehensherren, um sich mit Hilfe der „höheren Instanz“ gegen ihre Ortsherren durchaus selbstbewusst zur Wehr zu setzen. Mal waren es Streitigkeiten um Frondienste, mal ging es um die anfallenden Gebühren bei Zu- und Abzug aus dem Ort, die Schafhaltung oder den Ausschank von Wein.6
Der Mittelalterhistoriker Roman Janssen schätzte jedenfalls die Verhältnisse im „Adelsdorf“ Deufringen restriktiver ein als in den Nachbarorten. Besonders viel Streit gab es ab 1512 unter Sebastian von Gültlingen (gest. 1548), einem „Haudegen“ erster Güte mit ausgesprochener „Herrenhaltung“, der auch vor Gewalttaten nicht zurückschreckte.7Liegt hier der Grund, weshalb die Forderungen der aufständischen Bauern 1525 gerade in Deufringen auf besonders fruchtbaren Boden gefallen sind? Junker Sebastian, der als Mitglied im schwäbischen Bund selbst tatkräftig an der Niederschlagung des Bauernaufstandes beteiligt war, beklagte jedenfalls 1525 das Dorf sei „in Abfall gekommen“. Nach der Schlacht zu Böblingen diktierte er seinen Untertanen dafür rigoros seine Vorstellungen und noch Jahrzehnte lang waren die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg Anlass für erbitterte Auseinandersetzungen zwischen dem Ortsherren und seinen Untertanen.8
Ratssitzung Eberhards des Milden (1392-1417), Graf von Württemberg. Mit den Nummer 27, 29 und 31 am Wappen gut zu erkennen sind Mitglieder der Adelsfamilie Gültlingen. Bild nach 1540. (Bild: Wikimedia Commons/Public Domain)
Symbol der adeligen Grundherrschaft war das Schloss. Noch heute markiert es zusammen mit der Kirche St. Veit die Deufringer Ortsmitte. Es diente den Herren von Gültlingen nicht nur als Wohnsitz, sondern bildete das Zentrum, von dem aus sie mit Hilfe ihrer Amtsleute ihre Güter und Ländereien verwalteten.
Die ersten Gültlinger Ortherren hatten noch nicht im Dorf residiert. Schwarzhans (gest. 1405) saß auf Hohenentringen, der jüngere Hans von Gültlingen (gest. 1468) war Herr zu Sindlingen. Erst der ältere Jakob von Gültlingen (gest. 1505) hat sich wohl einen Ansitz in Deufringen erbaut. Sein Sohn Sebastian (gest. 1548) residierte vermutlich auch immer wieder im Dorf, urkundete später allerdings mit „zu Hohenentringen“. Der erste, der sich dauerhaft für Deufringen als Familiensitz entschied, war wohl Jakob von Gültingen (gest.1566), verheiratet mit Agnes Schenk von Winterstetten (gest. 1603). Er ließ möglicherweise auch die Deufringer Kirche als Familiengrablege im Stil der Renaissance innen neu gestalten.9
Erbauer des heute noch existierenden Schlosses war dessen Sohn Jakob von Gültlingen (gest.1600), der in Schorndorf auch das Amt eines Obervogts bekleidete. Mit dem 1592 begonnenen Neubau schuf er sich eine standesgemäße Familienresidenz. Um ihn rankt sich eine bizarre Geschichte, die sich heute noch wie ein Krimi liest. Nach einem feuchtfröhlichen Zechgelage in Geradstetten erstach Jakob von Gültlingen in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1600 seinen Vetter Konrad von Degenfeld. Vermutlich handelte es sich um ein Versehen und der stark alkoholisierte Gültlinger hielt seinen in ein weißes Bettlaken gehüllten Verwandten tatsächlich für ein Gespenst. Allerdings wurde Jakob von Gültlingen auf Verfügung Herzogs Friedrich von Württembergs bereits fünf Tage später ohne vorherigen Prozess in Waiblingen mit dem Schwert hingerichtet. Ein Vorgang, der auch damals keineswegs rechtmäßig war und heute als Justizmord eingeordnet wird. Die Historikerin Gudrun Emberger hat das Geschehen in ihrem Aufsatz „Man richt mich ohne Urtheil und Recht“ auf Grund der vorhandenen Quellen recherchiert.
Schloss Deufringen. Der Renaissancebau wurde Ende des 16. Jahrhunderts von Jakob von Gültlingen erbaut und war 100 Jahre lang Familiensitz der Deufringer Linie. (Foto: S. Kittelberger)
In seinem Abschiedsbrief an seine Frau Felicitas geb. Marschalkin von Ebnit empfahl Jakob von Gültlingen, das mit hohen Schulden belastete Gut Deufringen zu verkaufen. Tatsächlich hat sie dies auch versucht, starb jedoch 1602 nur zwei Jahre nach ihrem Mann.10
So verblieb Deufringen zunächst im Besitz der Familie. Jakob Bernhard Ritter von Gültlingen (gest. 1645), der Sohn des unglücklichen Schlosserbauers, investierte wieder einiges in seinen Besitz und ließ das Schloss 1618 von Heinrich Schickhardt umgestalten. Später machte er Karriere in landesherrlichen Diensten. Von 1618 – 1634 war er Obervogt zu Calw und Wildberg sowie Generaladjutant des jungen Herzog Eberhard III. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges wurde er zu einer der führenden württembergischen Offiziere. Zwischen 1632 und 1634 kommandierte er die sog. Landreiterei. Ein militärischer Fehlschlag im Zusammenhang mit der Belagerung von Villingen beendet 1634 seine Karriere in württembergischen Diensten. Allerdings arrangierte er sich offenbar schnell mit den neuen kaiserlichen Machthabern, die das Land nach der Schlacht von Nördlingen besetzt hatten. 1640 finden wir ihn im Rang eines Obersten als Kaiserlichen Kommandanten der Festung Schorndorf im Remstal wieder. 1643 wurde er von Kaiser Ferdinand III zum Generalproviantmeister für Böhmen und Mähren ernannt.11
Die Ära der Herren von Gültlingen endete in Deufringen im Jahre 1699.12 Damals gab Johann Konrad von Gültlingen im Rahmen einer Güterumstrukturierung das Lehen an das Haus Württemberg zurück. Der Freiherr befand sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und gab alles auf „was Ihme oder seinen voreltern gehöret, oder gehören mögen an Lehen und aigen“ in Deufringen und Pfäffingen. Im Gegenzug erhielt er Bargeld und den Ort Pflummern in Oberschwaben.13
Nach einem kurzen Intermezzo im Besitz des Geheimrats Johann Heinrich Freiherr von Schütz-Pflummern (1723–1726) wurde das Rittergut Deufringen schließlich dem Amt Böblingen zugeschlagen. Das Schloss dient der Gemeinde mittlerweile als Bürgerhaus.
Jakob von Gültlingen und seine Frau Felicitas in Anbetungshaltung auf ihrem Epitaph in der Deufringer Pfarrkirche. (Foto: S. Kittelberger)
Einen Stammbaum der Herren von Gültlingen finden Sie auf der Internetseite des Heimatgeschichtsvereins Aidlingen e.V.
Literaturhinweis
Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen : Beiträge zur Ortsgeschichte / Gemeinde Aidlingen. Red.: Institut für Angewandte Kulturwissenschaften IKU, Tübingen, Aidlingen 1999.
Referenz
↑1 | Seit der Böblinger Oberamtsbeschreibung von 1850 wurde meist das Jahr 1357 als Zeitpunkt für den Besitzerwechsels genannt. Roman Janssen favorisiert hingegen das Jahr 1382. Siehe hierzu: Roman Janssen, „Im Mittelalter oder das erste Jahrtausend“. In: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S. 98-99. |
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↑2 | Zu den Herren von Gültlingen siehe auch den Artikel auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCltlingen_(Adelsgeschlecht)). |
↑3 | Siehe R. Janssen, a.a.O., S. 121-123. |
↑4 | Siehe hierzu Gudrun Emberger, „Aidlingen, Dachtel und Deufringen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg (1534-1634)“; darin das Kapitel „Deufringen: Ein Sonderfall“, S. 191-255. In: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S. 248. |
↑5 | Emberger, a.a.O., S. 250. |
↑6 | Emberger, a.a.O., S. 252- 255. |
↑7 | R. Janssen, a.a.O., S. 124-126. |
↑8 | Zum Bauernkrieg siehe Janssen, a.a.O. S. 186-198 und Emberger, a.a.O. S. 254-255. |
↑9 | R. Janssen, a.a.O., S. 121-123. |
↑10 | Näheres hierzu in: Gundrun Emberger, „Man richt mich ohne Urtheil und Recht“ – der Tod des Schorndorfer Obervogts Jakob von Gültlingen (zu Deufringen). In: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. Vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, 4/1992.) |
↑11 | Siehe hierzu den Abschnitt zu Jakob Bernhard von Gültlingen zu Deufringen im Internet-Projekt „Der Dreißigjährige Krieg in Selbstzeugnissen, Chroniken und Berichten“ von Bernd Wahrlich, http://www.30jaehrigerkrieg.de/gultlingen-jakob-bernhard-ritter-von-2/ |
↑12 | Einige Zweige der Familie von Gültlingen existieren bis heute. |
↑13 | Roland Schurig, „Aidlingen, Dachtel und Deufringen zwischen 1634-1806“, in: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S. hb343. |