Wechselvolle Schicksale einer Grabplatte
Das Mötzinger Epitaph
Autor: Kr.
Erstveröffentlichung: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Böblinger Post, hrsg. unter Mitwirkung des Heimatgeschichtsvereins, 1/1949, S. 25.
Als beim Einmarsch der französischen Truppen in Mötzingen im April 1945 das ehemalige Schloß abbrannte, hat die Gemeinde ihr ältestes Gebäude und eines der letzten Erinnerungsstücke aus weiter zurückliegender Vergangenheit eingebüßt. Ein altes Amts- oder Forsthaus war im Jahre 1939 der Straßenverbreiterung zum Opfer gefallen. Dasselbe Schicksal erlitt das alte Garten- oder vielleicht auch Wachhäuschen auf der alten Schloßmauer. Die alte Kirche, welche wohl an der Stelle der heutigen Kleinkinderschule stand, war schon 1792 wegen Baufälligkeit abgebrochen worden. Nur zwei Stücke sind in unserer Gemeinde noch erhalten, welche als Zeugen alter Vergangenheit angesprochen werden können. Das eine davon ist das Kruzifix in der Kirche, das 1938 auf dem Altar seinen Platz bekam, und das mit Sicherheit etwa 450—500 Jahre alt ist. Das andere Stück aus alter Zeit, das noch erhalten blieb, ist die alte Grabplatte; welche an der Kirche angebracht ist. Sie hat ein wechselvolles Schicksal hinter sich.
Ihre älteste Beschriftung befindet sich in gotischer Schrift ohne Bild oder Wappen auf der Rückseite und ist jetzt nicht mehr zu erkennen. Diese Inschrift lautet:
,,anno dni MCCCCVIIII pdie novembries obiit ecco bokli que est dies sancte barbare virginis“ („Im Jahre des Herrn 1409 starb Ekko [=Ekkehardt] Bokli [=Böklin] am Tag der Heiligen Barbara der Jungfrau“).
Die Böklin von Böklinsau, welche im Eutinger Tal auf einem Schlößlein saßen, waren längere Zeit hindurch Vögte im Dorf Mötzingen im Auftrag der Gräflich-Hohenbergischen Herrschaft in Nagold gewesen.
Aber 240 Jahre später war er schon längst vergessen, die damalige Kirche war auch sicher sehr klein und so wurde im Jahr 1652 an seinem Platze die Witwe Margarethe von Anweyl in der Kirche bestattet. Ja, es wurde sogar kurzerhand der Grabstein Böcklin auf der Rückseite als Grabplatte für Margarethe von Anweyl vom Steinmetz bearbeitet. Der Text soll hier der Kürze halber nur in der Übersetzung aus dem lateinischen Urtext wiedergegeben werden (siehe auch „Beiträge zur Ortschronik von Mötzingen“ von Julius Rieder, S. 34):
„Margarete von Rotenburg, Tochter des Wolfgang Kaspar und der Anna von Wöllwarth, die durch Glauben, Hoffnung, Liebe und Geduld überaus denn Glanz ihres Hauses mehrte, geboren zu Mühlhausen, 15. November 1585, verheiratete sich 1615 mit dem. edlen Herrn Johann Albrecht von Anweil, verlor ihn am 18. September 1622 und lebte als Witwe fromm und ehrbar 30 Jahre lang und übergab ihre Seele Christus am 17 Juni 1652. Ihr Schwiegersohn, Ludwig Du May, auratus (= Ritter mit Auszeichnung) und ihre einzige überlebende Tochter Anna Margarete von Anweil haben der Wohlverdienten dieses Grabmal setzen lassen.“
Das Mötzinger Epitaph. Grabstein für Margarete von Anweil. Sie starb 1652. Die Grabplatte wurde inzwischen aus konservatorischen Gründen von der Kirchenwand entfernt. (Foto: S.Kittelberger)
Als Wappensymbole tauchen hier u.a. dieselben Wappentiere auf, welche auch über dem Haupteingang des Schlosses zu finden sind und den Brand 1945 überlebt haben, der Fuchs und der Hirsch mit dem eigentümlich nach hinten gebogenen Geweih. Ferner dreimal das Mühlrad, das wohl auf die Heimat dieser Frau Mühlhausen („Mylhausy“) hindeutet. Im Totenbuch ist vermerkt, sie sei „nach christlichem und adeligem Gebrauch allhie in der Kirchen zur Erden bestattet worden“, wobei der damalige Ortspfarrer ihr noch als Wunsch und Gebet nachruft: „resurgat cum gaudio“. (Möge sie auferstehen in Freuden.)Aber weitere rund 240 Jahre später war auch die fromme und ehrbare Witwe Magarethe von Anweil, sosehr sie sich offenbar die Achtung und Wertschätzung ihrer Zeitgenossen erworben hatte, längst vergessen. Als im Jahre 1792 die damalige Kirche abgebrochen werden mußte, war von ihrem Geschlecht niemand mehr in Mötzingen, der für ihren Grabstein Sorge tragen konnte. So mag er nutzlos herumgelegen haben, und schließlich mauerte ihn der damalige Kronenwirt in zwei Stücken in die Mauer seines Bräuhauses in der Bondorfer Straße ein. Manche Einheimische und auch Fremde verwunderten sich, über die rätselhafte lateinische Inschrift am Bräuhaus der Krone, welche sich niemand erklären konnte. Als im Jahre 1939 dieses Gebäude umgebaut wurde, gab der jetzige Kronenwirt August Müller die Steine wieder an die Kirche ab. Dabei kam nochmals die rückseitige Inschrift zum Vorschein. Der Stein wurde in seiner ursprünglichen Form wieder zu einem Stück zusammengesetzt und an der Kirche seitlich der Eingangstreppe angebracht. Als diese Treppe im Jahre 1947 durch eine neue Treppe ersetzt werden mußte, konnte das Epitaph nochmals nicht an seinem Platz verbleiben und wurde jetzt an der Westseite der Kirche im Vorgarten an der Außenwand befestigt. Als ein Zeuge aus der Vergangenheit des Dorfes und der Vergänglichkeit des Irdischen soll der Stein dort seinen Platz haben und die Vorübergehenden an alte Zeiten erinnern.
Wappen der Familie von Anweil mit Jahreszahl 1592 am zugemauerten Kellereingang des ehemaligen Mötzingen Schlosses. (Foto: Susanne Kittelberger)
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.Der Name des Autors wurde in den heimatgeschichtlichen Blättern mit Kr. abgekürzt. Möglicher Weise handelt es sich dabei um Gerhard Kraft, der von 1932-1951 Pfarrer in Mötzingen war und sich auch sehr um das äußere Erscheinungsbild seiner Kirche kümmerte.