Hildrizhausen in der Herrenberger Oberamtsbeschreibung von 1855
„uneheliche Kinder sind selten, und das Wirthhaus wird wenig besucht“
Autor: Eduard Paulus
Hildrizhausen, Gemeinde II. Klasse mit 1,071 Einw., wor. 3 Kath. und 9 eig. Confession – Evang. Pfarrei. Die Kathol. sind nach Altingen eingepfarrt.
Der Ort hat auf der Hochebene des Schönbuchs eine hohe, theils gegen die Würm, theils gegen den Ablauf des Heilbrunnens sanft geneigte Lage; die ihn umgebende Feldmarkung ist auf drei Seiten von weit gedehnten Waldungen begrenzt und nur gegen Osten dem freien Zutritt der Winde offen, was einen günstigen Einfluß nicht nur auf das Klima der Gegend, sondern auch auf den Gesundheitszustand der Einwohner äußert.
Das Dorf, in welchem ein Revierförster seinen Sitz hat, ist von mittelgroßer Ausdehnung und von reinlich gehaltenen, durchaus gepflasterten Straßen durchzogen; die Gebäude, von denen einzelne noch das Gepräge ächter Ländlichkeit an sich tragen, sind aus Holz erbaut und größtentheils mit steinernen Unterstöcken versehen.
Beinahe in der Mitte – doch mehr im nördlichen Theil des Dorfes – steht die alte, ehrwürdige Pfarrkirche, deren Thurm mit seinem schlanken, spitzen Zeltdach hoch über das freundliche Dorf emporragt und der Ansicht desselben viel Malerisches verleiht.
An der Stelle der im Jahre 1165 von Herzog Welph im Kriege mit dem Pfalzgrafen Hugo von Tübingen zerstörten Burg (…) erhob sich wahrscheinlich aus den Trümmern derselben die gegenwärtige Kirche mit einem befestigten Kirchhofe, dessen gegenwärtig noch vorhandene Ringmauern früher mit Zinnen und Umlauf versehen waren. Die Kirche, ursprünglich eine im früh romanischen Styl erbaute, dreischiffige Basilika, deren Seitenschiffe niederer als das Hauptschiff – und mit Pultdächern gedeckt waren, wurde im Laufe der Zeit durch Umwandlung, theils in den Spitzbogenstyl, theils in den modernen mit oblongen, geradlinigen Fenstern, sehr entstellt, zumeist hat der in neuerer Zeit vorgenommene Abbruch des nördlichen Seitenschiffs das Gebäude verunstaltet. (…) Die Kirche wie den um dieselbe liegenden Begräbnißplatz hat die Stiftungspflege im Bau zu unterhalten.
Das nur durch eine Straße von der Kirchhofmauer getrennte Pfarrhaus, welches der Staat zu unterhalten hat, wurde 1601 durch Heinrich Schickard von Herrenberg erbaut. Auf der andern (nördlichen) Seite der Kirche steht das ansehnliche Schulhaus, welches vor der Reformation als Kaplaneihaus gedient haben soll und in den Jahren 1825 – 26 namhaft verbessert wurde; dasselbe enthält auch die Wohnung des Schulmeisters und Lehrgehilfen, welche an der Volksschule, neben der seit 1851 noch eine Industrieschule besteht, unterrichten.
Auch das freundliche Försterhaus wie das Rathaus stehen in der Nähe der Kirche; letzteres ist schon ziemlich alt, aber noch gut erhalten. Ein Gemeinde-Back- und Waschhaus wurde im Jahr 1847 erbaut.
Ein sechsröhriger Brunnen versieht den Ort in reichlicher Fülle mit vortrefflichem Trinkwasser, das von dem 1/8 Stunde westlich vom Dorf in mehreren starken Quellen entspringenden Heilbrunnen in Teicheln1, zugeleitet wird; außer diesem sind noch fünf Schöpf- und Pumpbrunnen vorhanden.
Die Würm entspringt 1/8 Stunde südlich vom Ort im sogenannten Horberthal, und etwa 1/8 Stunde südöstlich von dem Ursprung beginnen der Gaisenbrunnen und der Seebrunnen, die sich bald vereinigen, um der Würm, noch ehe sie das Dorf erreicht, den ersten Zufluß zu gewähren. Als ein bescheidener Bach durch den östlichen Theil des Orts fließend, erhält sie dort den Abfluß des Ortsbrunnens und einen vom Heilbrunnen herführenden Bach, nebst einigen anderen Seitenzuflüssen, so daß sie stark genug wird, ganz in der Nähe des Orts die obere Mühle mit zwei Mahlgängen und einem Gerbgang, und einige Schritte weiter unten, die untere Mühle mit einem Mahl- und einem Gerbgang das ganze Jahr hindurch in Bewegung zu setzen. (…)
Die ziemlich große Markung, von der übrigens noch über die Hälfte Wald ist, grenzt gegen Norden an die Markungen Rohrau und Mauren (Oberamts Böblingen), gegen Osten an Altdorf (Oberamts Böblingen), gegen Süden an Kayh und Herrenberg und gegen Westen an Nufringen und Rohrau. Die Feldgüter liegen mit Ausnahme des erst unterhalb des Dorfs tiefer einschneidenden Würmthals ziemlich eben und haben im Allgemeinen einen minder ergiebigen Boden, als die übrigen Gegenden des Oberamtsbezirks. (…)
Ungeachtet der im Allgemeinen nicht ungünstigen klimatischen Verhältnisse wirken schädliche Nebel und Thaue nicht selten nachtheilig auf den Obstbau; Hagel führende Gewitter, die früher häufig waren, stellen sich seit 30 Jahren weniger ein.
Die Einwohner sind im Allgemeinen kräftige, gut gewachsene Leute, die sich durch Einfachheit, Fleiß und Sittlichkeit vortheilhaft auszeichnen; uneheliche Kinder sind selten, und das Wirthhaus wird wenig besucht, ebenso ist die Kleidung eine einfache, ländliche, und zuweilen trägt der Enkel noch den Rock des Großvaters.
Hier ist den 18. Januar 1796 geboren Johann Michael Holder, ein rühmlich bekannter Miniaturmaler.
Die Gemeinde zählt viel Arme, überhaupt gehören die Einwohner zu den minder Vermöglichen des Bezirks, und der Meistbegüterte besitzt nur 40 Morgen2. Den Haupterwerb bilden Feldbau und Viehzucht, nebenbei treiben Viele noch Holzhandel nach Stuttgart; die Gewerbe dienen zunächst nur dem örtlichen Bedarf, mit Ausnahme einer nicht unbeträchtlichen Anzahl Hafner, welche in den benachbarten Oberamtsbezirken ihre Waaren auf Märkten absetzen. In der neuesten Zeit beschäftigt die Weißstickerei etwa 50 Mädchen. Weniger Bemittelte arbeiten als Holzmacher in den nahe gelegenen Staats- und Gemeindewaldungen, Einzelne handeln mit Silbersand, den sie im Schönbuch gewinnen, und auswärts, zuweilen sogar bis in die Schweiz, absetzen.
Die Landwirthschaft wird so gut, als es die natürlichen Verhältnisse erlauben, betrieben; (…) Der Wiesenbau ist sehr beträchtlich; (…) Weinbau wurde früher in den sogenannten Reutenen getrieben, ging übrigens schon vor etwa 300 Jahren ab. (…) Die Obstzucht, hauptsächlich Mostsorten und Zwetschgen, ist von namhafter Ausdehnung und erlaubt in günstigen Jahren einen erheblichen Verkauf nach Außen. (…) Der Handel mit Vieh ist nicht unbeträchtlich. (…)
Etwa eine Stunde westlich vom Ort, an der Straße nach Herrenberg, befindet sich ein Steinbruch, aus dem eine harte Abänderung des Stubensandsteins gewonnen wird, den man zu Straßenmaterial benützt; am sogenannten Heuweg wird Liaskalk gebrochen. Ein weiterer im weißen Stubensandstein angelegter Bruch im sogenannten Stellrücken liefert Bausteine, auf dem Kirnberg werden Liassandsteine zu Pflastersteinen gebrochen. Mehrere Thongruben, aus denen 18–20 Hafnermeister ihr Material beziehen, befinden sich am Waldsaume südwestlich vom Ort. (…)
Etwa ¼ Stunde südöstlich vom Dorf erhebt sich der Kirnberg, auf dem man eine freundliche Aussicht über die Böblinger Waldungen und die Orte Altdorf, Hildrizhausen, Holzgerlingen und Mauren genießt. Im Rücken dieses Punktes, ungefähr ¼ Stunde südwestlich befindet sich der Eselstritt, eine Stelle, wo sich natürliche Vertiefungen in dem anstehenden Liassandstein zeigen, die wegen ihrer Aehnlichkeit mit Eselstritten zu der Volkssage Veranlassung gegeben haben mögen, daß über diese Stelle Christus auf einem Esel geritten sei. In neuerer Zeit hat zur Bezeichnung der Stelle der nun verstorbene Oberförster Vogelmann von Bebenhausen auf dem Eselstritt eine Sandsteinplatte mit einer eingemeiselten Eselsfährte setzen lassen.
Über den Eselstritt führte die von Ehningen und Hildrizhausen herkommende Römerstraße (Rheinstraße) und eine weitere römische Straße zog von Altdorf südlich an Hildrizhausen vorüber nach Herrenberg. (…)
Der Ortsname Hildratshusin (…), Hilterathusen (1255), … Hiltrateshusen (1263), … ist abzuleiten von dem altdeutschen Namen Hilderat. Der Ort wird auch öfters blos Hausen (häufig mit dem Beisatz im Schönbuch) genannt.
Seine erstmalige Nennung fällt in’s Jahr 1165, als Welf VII. dem Pfalzgrafen Hugo von Tübingen dessen hiesige Burg zerstörte (…). Der Ort gehörte unter die Landeshoheit der Pfalzgrafen von Tübingen-Herrenberg; bei der Gebietstheilung derselben, am 23. Febr. 1334, fiel er dem Pfalzgrafen Konrad zu. … In Hildrizhausen saßen tübingische Dienstleute, aus deren Reihe Werner von Hildrizhausen in den Jahren 1328–1336 vorkommt (…). In sehr früher Zeit soll das Dorf einen eigenen Stock und Galgen und 5 Thore gehabt haben (Heß Herrenberger Chronik). An Württemberg gelangte es den 10. Febr. 1382 mit Herrenberg. (…)
Im Herbst 1542 starben hier 35 Personen an der Pest, in den Jahren 1546 und 1547 litt das Dorf viel durch spanische Soldaten, welche hier lagen.3
Kirche und Altes Rathaus in Hildrizhausen. (Bild: S. Kittelberger)
Der Text wurde gekürzt.Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen:
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Fassung der Beschreibung Hildrizhausen.Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden auch als Reprint immer wieder aufgelegt.
Der Text wurde gekürzt.
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen:
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Fassung der Beschreibung Hildrizhausen.
Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden auch als Reprint immer wieder aufgelegt.
Referenz
↑1 | Brunnenrohrleitung aus Holz |
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↑2 | 1 württ. Morgen = 31,52 Ar. |
↑3 | Schmalkaldischer Krieg: Zwischen 1546 und 1547 von Kaiser Karl V. gegen den Schmalkaldischen Bund geführt. Der Schmalkaldische Bund war ein Bündnis evangelischer Reichsstände, das 1531 in Schmalkalden geschlossen wurde. Mit dem Schmalkaldischen Bund wurde auf die Ablehnung des protestantischen Bekenntnisses Confessio Augustana auf dem Reichstag in Augsburg 1530 durch Kaiser Karl V. reagiert. |