Sindlingen in der Herrenberger Oberamtsbeschreibung von 1855
“ … früher der Sitz adeliger Familien“
Autor: Eduard Paulus
Sindlingen, K. Hofdomäne, aus einem ehemaligen Schloß, Kirche, mehreren Wohn- und Oeconomie=Gebäuden bestehend, mit einer Erhebung von 1960,4 württemb. Fuß1 über das Mittelmeer, 1½ Stunde südwestlich von der Oberamtsstadt und ½ Stunde östlich von Unter-Jettingen gelegen.
Am südlichen Ende des Orts steht auf der Stelle einer ehemaligen Burg, das in einem einfachen Styl erbaute Schloß, welches früher der Sitz adeliger Familien war. Mit dem ehemaligen Burggraben umgeben, bestand dasselbe noch vor kurzer Zeit aus dem mit der Front gegen Nordosten gekehrten Hauptbau, an dessen Rückseite Flügel angebaut waren, welche durch eine parallel mit dem Hauptbau laufenden Querbau verbunden wurden, so daß das Ganze ein Viereck bildete, das einen kleinen Hofraum einschloß, bis im Jahre 1848, der zuletzt von der Fürstin Colloredo bewohnte Querbau und der westliche Flügel abgebrochen, und an die Stelle des letzteren ein Öconomiegebäude errichtet wurde. Nördlich vom Schloß, jenseits des ehemaligen Burggrabens, befinden sich großartige Oeconomiegebäude, das ehemalige Maiereihaus und die Kirche, welche Gebäude theilweise einen namhaften Raum, den vorderen Hof einschließen; (…) Die früher sehr ausgedehnten Gartenanlagen, welche sich bis in die nahe gelegenen Waldungen erstreckten, sind bis auf weniges Gebüsch hinter dem Schloß und dem Gemüse- und Blumengarten abgegangen. … Nur eine Pappelallee verräth noch auf weite Entfernung den ehemaligen fürstlichen Wohnsitz, dessen äußerer Glanz einer zweckmäßigen landwirtschaftlichen Benützung Platz machte.
In der einfachen Kirche oder vielmehr Kapelle, (…), befindet sich die Büste der ehemaligen Schloßbewohnerin auf einem Postament, die folgende Inschrift trägt: Auf der Vorderseite: „Franziska Durchlauchtigste Herzogin von Württemberg, geb. den 10. Januar 1748, vermählt mit Herzog Karl 1783, Witwe den 23. Oct. 1793, gestorben den 1. Jan. 1811.“ Auf der nördlichen Seite: „Ihr Herz schlug warm für Gott und Menschen“, auf der südlichen: „Durch Frömmigkeit und Wohlthätigkeit zeichnete Sie sich aus.“ (…)
Die Unterhaltung der Kapelle hat die K. Hofdomänenkammer zu bestreiten. Der Begräbnisplatz war früher nur für die adeligen Besitzer des Schlossgutes bestimmt und gegenwärtig dürfen nur auf besondere Erlaubnis Verstorbene dahin bestattet werden, wie denn auch Johann Michael Hahn (Stifter der Michelianer), in Altdorf, O.A. Böblingen, geboren, der sich meist in Sindlingen aufhielt und am 20. Januar 1819 allda starb, hier begraben ist.
Früher bestand im Ort eine eigene Schule, gegenwärtig besuchen die Kinder die Schule des Mutterorts.2
Gesundes Trinkwasser liefern sieben Pumpbrunnen, von denen ist etwa 400 Schritte außerhalb des Orts ein das ganze Jahr hindurch laufender Brunnen vorhanden; …
Die hochgelegene, schön arrondierte Markung, von der man nach allen Orten eine freundliche, ausgedehnte Aussicht genießt, umfasst das 700 Morgen3 große Wirtschaftsgut nebst Bauerngütern von je etwa 40 Morgen. (…)
Vermöge der hohen, freie Lage ist das Klima etwas rauher, als in Herrenberg, dem ungeachtet schaden Frühlingsfröste nur selten und feineres Obst gedeiht noch, wiewohl solches nur wenig gepflanzt wird; um so ausgedehnter pflegt man mit viel Sachkenntnis und Sorgfalt die verschiedenen Mostsorten. (…)
Das von der Hofdomänenkammer in Pacht gegebene Schlossgut wird von den dermaligen Beständern (Gebrüder Breuninger) in zehn Schlägen4 mit viel Umsicht bewirthschaftet. (…)
Auf dem Gut befand sich eine für zwölf Knaben berechnete Armen-Ackerbauschule, die im Jahre 1855 nach Einsiedel verlegt wurde. (…)
Der Ort Sindlingen, ursprünglich pfalzgräflich tübingisch, wird um 1100 als Sindelingun erstmals genannt. (…)Später kam es, wie Ober-Jettingen (…), an den Grafen Burkhard von Hohenberg. Von einem jüngern Grafen Burkhard von Hohenberg erkaufte es, wahrscheinlich im Jahre 1364 mit Bulach, der rheinische Pfalzgraf Ruprecht. Mit Bulach mag im Jahre 1440 die Lehensoberherrlichkeit in Sindlingen von den Grafen Ludwig und Ulrich von Württemberg dem rheinischen Pfalzgrafen Otto abgekauft worden sein. Im Jahre 1452 verkaufte der Träger des Lehens, Heinrich Grückler, (…), solches für 1800 fl. an Hans von Gültlingen zu Entringen, welcher am 24. Oct. 1452 von dem Grafen Ulrich von Württemberg damit belehnt wurde. In der Familie Gültlingen blieb das Gut unter württembergischer Oberlehensherrlichkeit, bis Balthasar von Gültlingen († 1635) durch viele auf dem Gut haftende Schulden veranlaßt, solches mit Genehmigung des württembergischen Lehenshofes den 11. Juni 1618 an seinen Tochtermann Heinrich Teuffel von Birkensee zu Schwarzenfeld mit Unter-Öschelbronn zusammen für 17.035 fl. veräußerte (…). Nach Heinrich Teuffels Tod († 1629), wurde das heimgefallene Lehen an Heinrich von Trauschwitz († 1635) verliehen, nach dessen Ableben es abermals an den Lehenhof zurückfiel. Darauf verkaufte Herzog Eberhard III. von Württemberg den 20. August 1640 das Schloßgut als Mannlehen an Andreas von Bernerdin, Freiherrn zum Pernthurn auf Pregrat, welcher als Protestant wegen der Religion im Jahre 1629 von Kärnthen, dem Stammsitz dieser adeligen Familie, vertrieben worden war, königlich schwedischer Obristlieutenant wurde und am 18. December 1657 starb. Fortan blieb es bei diesem Geschlecht, bis letzteres am 22. October 1782 mit Sigfried Ehrenreich von Bernerdin erlosch (…). Darauf erhielt es dessen Nichte, Franziska Theresia, Tochter des Freiherrn Ludwig Wilhelm von Bernerdin, Herrn zu Sindlingen und Adelmannsfelden († 1774), und der Johanna Dorothea Charlotte von Vohenstein zu Adelmannsfelden († 1793), seit 1783 Gemahlin Herzog Karls von Württemberg. Unter dieser Besitzerin wurde das Gut sehr verschönert und mehrere Gebäude wurden neu aufgeführt; sie verlebte hier in ihrem langen Wittwenstande meist die Sommermonate und kam auch sonst öfters von ihrem Wittwensitz Kirchheim u. T. hieher. Vor ihrem, den 1. Jan. 1811 zu Kirchheim erfolgten Tode vermachte sie das Gut (nebst Bächingen) an den Geheimen Rath Freiherrn von Böhnen, welcher es im Jahre 1812 an die Fürstin Philippine Caroline von Colloredo-Mansfeld, Gemahlin des Fürsten Rudolf Joseph (geb. Fürstin von Öttingen), für 113.000 fl. veräußerte. Von dieser erkaufte es die königl. Hofdomänenkammer unterm 27. Febr. 1840 für 220.000 fl.
Schloss Sindelingen war bis 1811 der Wohnsitz der ehem. Herzogin Franziska, die hier meist die Sommermonate verbrachte. Der Ort Sindlingen wurde um 1100 erstmals in einer Schenkungsurkunde der Witwe Graf Heinrichs von Tübingen an das Kloster Reichenbach genannt. (Foto: S.Kittelberger)
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.Der Text wurde gekürzt.Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt. Auf dem Internet-Portal-Wikisource wurde die Beschreibung des Oberamtes Herrenberg mittlerweile komplett veröffentlicht. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Beschreibung von Sindlingen.
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt. Auf dem Internet-Portal-Wikisource wurde die Beschreibung des Oberamtes Herrenberg mittlerweile komplett veröffentlicht. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Beschreibung von Sindlingen.