Flucht und Rettung des jüdischen Ehepaares Krakauer im Dritten Reich
Lichter im Dunkel
Autorin: Susanne Kittelberger
Das Büchlein von Max Krakauer „Lichter im Dunkel - Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich“, das 1947 erstmals im Stuttgarter Behrendt-Verlag erschien, schildert eindrucksvoll Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaars im nationalsozialistischen Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Das Buch war lange vergriffen. 2007 wurde es im Calwer Verlag in Stuttgart neu herausgegeben und erschien 2012 bereits in der 3. Auflage. In früheren Ausgaben waren die Namen der Helferinnen und Helfern des Ehepaars Krakauer noch mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt worden, nun wurden sie erstmals für jedermann erkennbar ausgeschrieben.
Im Laufe ihrer vom 29. Januar 1943 bis zum 21. April 1945 dauernden Flucht kamen die Krakauers, die sich nun „Hans und Grete Ackermann“ nannten und sich als Bombenflüchtlinge aus Berlin ausgaben, ab August 1943 auch nach Süddeutschland. Nach und nach bildete sich in Württemberg eine regelrechte „Pfarrhauskette“ von nahezu 50 Stationen heraus, über die das Ehepaar trotz großer Gefahren für das eigene Leib und Leben weitergereicht wurde. An manchen dieser Fluchtstationen konnten sie nur eine Nacht bleiben, an anderen mehrere Wochen. Diesen Leuten haben es die Krakauers zu verdanken ist, dass Sie das Dritte Reich überlebt haben. Auch in unserer Gegend gab es solch mutige Menschen – u.a. in Flacht und in Gebersheim, in Nufringen, Kuppingen und in Kayh.
Kurz vor Weihnachten fanden Max und Karoline Krakauer vom 19. Dezember 1943 bis zum 17. Januar 1944 Unterschlupf im Pfarrhaus von Flacht bei Gertrud und Otto Mörike, zu denen sie eine sehr freundschaftliche Beziehung entwickelten. Auch Mesnerin Pauline Essig wusste über die wahre Identität des Paares Bescheid. Pfarrer Otto Mörike war bereits mehrfach wegen seiner offenen Kritik am NS-Regime mit der Obrigkeit in Konflikt gekommen, was ihn nicht davon abhielt, sich für KZ-Häftlinge und jüdische Flüchtlingen einzusetzen. Auch vom 6. bis zum 15. Juni 1944 konnten die Krakauers nochmals in Flacht Station machen, bevor sie für vier Wochen bei der Dekansfamilie Brecht in Calw unterkamen. Danach gelang es Otto Mörike, die Flüchtlinge wieder in seiner Nähe auf dem Bauernhof der Familie Bayer in Heimerdingen unterzubringen. Zu Fuß, begleitet von Frieder Mörike, dem Sohn des Flachter Pfarrpaares, wanderten die beiden von Calw durch das sommerliche Land und machten dabei Rast in den Pfarrhäusern von Simmozheim und Rutesheim.
Max und Karoline Krakauer im Juni 1945. Das jüdische Ehepaar wurde zwischen dem 29.1.1943 und dem 23.4.1945 unter dem Namen Ackermann durch ganz Deutschland geschleust. (Foto: Alemannia Judaica)
Über weitere Stationen in Aurich und Stuttgart-Sillenbuch gelangten Max und Karoline Krakauer teils mit der Straßenbahn und teils zu Fuß am 22. August ins Gebersheimer Pfarrhaus zu Elisabeth Goes. Ihr Mann, der Pfarrer und Dichter Albrecht Goes war 1940 einzogen worden und verbrachte den gesamten Krieg im Feld. Wie viele andere Pfarrfrauen auch, war die junge „Frau Pfarrer Goes“ mit ihrer Kindern auf sich allein gestellt und zögerte doch nicht, die beiden Flüchtenden bei sich aufzunehmen. Unterstützung erfuhr sie dabei durch den Gebersheimer Bauern und Ortsbauernführer Benjamin Schwarz, der sie in der Verpflegung der beiden vier Wochen lang bis zum 20. September tatkräftig unterstützte. Im Oktober mussten sich die Krakauers dann aus dem Einflussbereich Pfarrer Otto Mörikes verabschieden und verließen den Raum Leonberg.
Am 4. Februar 1945 finden wir die Krakauers dann wieder in unserem Raum. Von Esslingen kommend, waren sie in Nufringen beim Pfarrpaar Gottfried und Maria Heremlink untergekommen. In seinen Erinnerungen „Lichter im Dunkel“ schriebt Max Krakauer darüber:
Eigentlich sollten wir in Nufringen nur einen Tag Station machen, aber man brachte es doch nicht übers Herz, uns bei dem schlechten Wetter, es taute immer mehr, gleich weiterziehen zu lassen, und so blieben wir fünf Tage. Es war Februar geworden, und die Kämpfe spielten sich zum Teil schon auf deutschem Boden ab. Mit der Angst und der Verwirrung der Behörden steigerte sich zugleich ihre Wut, ihr Druck und die Schärfe ihrer Kontrollmaßnahmen. Das Ende des Systems zeichnete sich jetzt auch für den Borniertesten deutlich sichtbar ab, nur die Himmlersche Polizei und die Goebbelsche Propaganda liefen noch auf vollen Touren …“
Pfarrhaus in Gebersheim. Hier fanden die Krakauers 1944 vier Wochen Unterschlupf bei „Frau Pfarrer“ Goes. (Foto: Harke, Lizenz: CC BY-SA 3.0; Wikimedia Commons)
Die immer verworrener werdende politische und militärische Lage erforderte von allen Beteiligten höchste Vorsicht. Die Angst, in den letzten Kriegstagen noch entdeckt zu werden, war groß. Von Nufringen aus ging es weiter nach Kayh. Hier wurden sie zwei Wochen von der jungen Pfarrfrau Maria Kleinknecht und ihren vier Kindern aufgenommen, deren Mann ebenfalls noch im Krieg war. Von dort aus wurden sie dann nach Kuppingen zu Pfarrer Eisenmann weitergereicht.
Anfangs war man etwas ängstlich, wie unsere Anwesenheit wohl verlaufen würde, aber es muß besser gegangen sein als erwartet, denn aus den vorgesehenen zwei Wochen wurden vier. Man nahm uns wie üblich als Besuch auf, und wir traten auch nach außen hin als solcher in Erscheinung. Die Gemeindeschwester des Ortes, die über uns Bescheid wußte, sagte mir einmal, wenn man aus Kuppingen fünf Leute entfernen könnte, dann sei dort vom ganzen Nazitum nichts mehr da. Aber diese fünf Leute terrorisierten das ganze Dorf. Auch der Bauer und Kirchenpfleger Berstecher wußte, wer wir waren, und mancher Bissen, den wir in Kuppingen verzehrten, kam aus seinem Hause. Kleinigkeiten nur, kleine, anscheinend unwichtige Ereignisse am Rand unseres Weges, aber sie ließen uns erkennen, dass die Kreise, die sich durch ihre Taten gegen die Befehle des Diktators stellten, größer waren, als wir geahnt hatten.
Die Front rückte nun auch im Gäu immer näher. In Kuppingen hatten die Krakauers oft täglich mehrere Luftangriffe erleb. Trotzdem mussten die beiden weiter ziehen. Pfarrer Otto Mörike organsierte eine neue Unterbringungsmöglichkeit im Waiblinger Dekanat. Der Sindelfinger Fabrikant Martin Bitzer holte die beiden am 17. März 1945 mit seinem Auto in Kuppingen ab und ließ sie bei sich übernachten. In der Nacht erlebten sie dort einen schweren Angriff auf den Böblinger Flugplatz. Am nächsten Morgen brachte Bitzer sie zur Straßenbahnstation nach Vaihingen, von wo aus die beiden nach Waiblingen gelangten.
Die rettenden Stunde des amerikanischen Einmarsches erlebten Max und Karoline Krakauer dann am 23. April in Stetten im Rems-Murr-Kreis, wo sie seit dem 11. April bei Pfarrfrau Hildegard Spieth untergekommen waren. Das Kriegsende bedeutete für sie die Befreiung und die Gewissheit, ihre Tochter wiedersehen zu können, der im Januar 1939 noch die Emigration nach England gelungen war.
Infotafel am Pfarrhaus in Kuppingen, wo die Krakauers auf ihrer Flucht vier Wochen bei Pfarrer Eisenmann Zuflucht fanden. (Foto: S. Kittelberger)
Literaturhinweis
Max Krakauer, Lichter im Dunkel - Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich. Neu herausgegeben von Gerda Riehm und Jörg Thierfelder unter Mitarbeit von Susanne Fetzer, Calwer Verlag Stuttgart, 2007, 3. Aufl. 2012, 171 Seiten.