Ab 1950 entstehen überall neue katholische Kirchen im Kreis
Die kirchliche Eingliederung der katholischen Vertriebenen im Landkreis Böblingen
Autor: Dr. Benno Kubin
Während es im Altkreis Böblingen nur die Gemeinde Dätzingen gab, in der historisch bedingt die Mehrheit der Einwohner der katholischen Kirche angehörte, und die übrigen Gemeinden fast rein evangelisch waren, war die Mehrzahl der Heimatvertriebenen, die nach 1945 im Kreis Böblingen Aufnahme fanden, katholisch. Bis 1945 gab es katholische Kirchen außer in Dätzingen nur in den Städten Böblingen, Sindelfingen und Herrenberg. In dem Teil des Altkreises Leonberg, der bei der Kreisreform dem Kreis Böblingen zugeteilt wurde, befanden sich katholische Gotteshäuser lediglich in Weil der Stadt. Die katholischen Christen genossen an den Sonn- und Feiertagen zunächst wohl Gastrecht in den evangelischen Kirchen, doch regte sich bald der Wunsch und entstand die Notwendigkeit, für die große Zahl der hereinströmenden Katholiken eigene Pfarrgemeinden zu errichten und vor
Von Heimatvertriebenen errichtete Kapelle auf dem Sindelfinger Goldberg. (Foto: Susanne Schmidt)
Über die damalige Lage schrieb der katholische Pfarrer von Ehningen und spätere Dekan Josef Pöss 1958 in der Festschrift des Bundes der Vertriebenen zum 10-jährigen Jubiläum „Wille zum Leben“.
In der Nacht zum 10. April 1946 kommt wieder ein Transport mit etwa 800 bis 1.000 heimatvertriebenen Menschen im Lager Unterjettingen an. Unter diesen plötzlich heimatlos gewordenen Menschen bin ich der erste heimatvertriebene Priester aus dem Osten, der das Schicksal mit seiner Gemeinde teilt. Dumpf und stumpf schleichen die Menschen umher, die Freude und Zuversicht ist aus ihren Augen gewichen. Alle fragen: Was soll jetzt aus uns werden? Wo werden wir hinkommen?
Der Palmsonntag ist ein schöner Frühlingstag. Dank der Hilfe des hw. Herrn Stadtpfarrers von Böblingen Johannes Lang, der die notwendigen gottesdienstlichen Gewänder und Geräte bringen ließ, ist es mir möglich, im Lager den ersten katholischen Gottesdienst zu halten. Die Pfeiler unseres Doms sind die Schwarzwaldtannen, der Altar ein roher Barackentisch, das feierliche Orgelspiel übernehmen die Vögel in den Zweigen. Alles schart sich um den schlichten Altar, denn alle spüren, hier ist uns ein Stück Heimat geblieben. So war der Anfang für mich, meine Mitbrüder und für unsere Gemeinden.
Und wie schwer war doch dieser Anfang. In den Kreis Böblingen, der bis 1946 zu 90 und mehr Prozent evangelisch war, kamen mit einem Mal Tausende fremde Menschen, die einander nicht nur fremd waren in ihrer Abstammung, sondern die sich doppelt fremd waren in ihrem Glauben. Diese Heimatlosen, Entwurzelten brauchten einen Halt zu ihrer Rettung. Diesen Menschen mussten Inseln gebaut werden, Kähne gezimmert, zum wenigsten Flöße ausgesetzt werden, es musste ihnen ein Stück Heimat hingereicht werden, auf das sie sich retten konnten.
Das war die erste Aufgabe der katholischen Seelsorge. Dieser Aufgabe war der einheimische Klerus zahlenmäßig keineswegs gewachsen. Im Jahre 1946 standen zur Betreuung der Katholiken im Kreis Böblingen insgesamt 4 Geistliche zur Verfügung, 2 aus Böblingen und je einer aus Sindelfingen und Dätzingen. Herrenberg wurde von Altingen im Kreis Tübingen und die Fildergemeinden von Stuttgart seelsorglich versorgt.
Zum großen Glück kamen nach und nach mit den Heimatvertriebenen auch viele ihrer Priester, die gleich auf Wunsch mit tatkräftiger Unterstützung des hw. Bischofs von Rottenburg, Dr. Johannes Baptista Sproll, oft mit primitivsten Mitteln und Möglichkeiten, eine Seelsorge unter ihren Schicksalgefährten aufzubauen begannen. In den Gemeinden, in denen bis zu 1.000 und mehr Katholiken wohnten, wurden sogenannte Seelsorgestellen eingerichtet, denen die Betreuung der Katholiken am Ort und in den umliegenden Gemeinden anvertraut wurde. Am 1. April 1949 bestanden im Gebiet des Kreises schon sieben solcher Seelsorgestellen, und zwar in Aidlingen, Ehningen, Holzgerlingen, Magstadt, Sindelfingen, Waldenbuch sowie in Unterjettingen, das dem Dekanat Nagold unterstand. Im Laufe der nächsten Jahre kamen Dagersheim, Maichingen und Schönaich noch hinzu.
Die größte Schwierigkeit bereitete das Fehlen eigener Gottesdiensträume. Bei Errichtung des Dekanats Weil der Stadt standen der katholischen Seelsorge im Kreis Böblingen zwei Pfarrkirchen in Böblingen und Dätzingen und zwei Filialkirchen in Herrenberg und Sindelfingen zur Verfügung. Diese Kirchen aber waren für die neuen Verhältnisse viel zu klein. Es mussten fünf und mehr Gottesdienste sonntags gehalten werden, wo bisher zwei genügten.
Die Seelsorger in den Landgemeinden – keiner hatte einen eigenen Gottesdienstraum – lasen die heilige Messe an Wochentagen in dem Zimmer, das ihnen vom Wohnungsamt zur Verfügung gestellt worden war und das ihnen als Kirche, Sakristei, Wohnzimmer, Arbeitsraum, Sprechzimmer und Schlafstelle, ja manchmal noch als Küche diente. Für die katholischen Sonntagsgottesdienste stellten die evangelischen Gemeinden dankenswerterweise ihre Gotteshäuser zur Verfügung. Die Geistlichen (Rucksackpriester) packten die Sachen für die Gottesdienste in den Koffer oder Rucksack, schwangen sich auf das Stahlross, so man in der glücklichen Lage war, eines zu besitzen, und radelten von Dorf zu Dorf, von Gemeinde zu Gemeinde; jeden Sonntag 3 – 4 Gottesdienste.
So war es nur zu verständlich, dass die erste und vornehmste Sorge, sowohl in den Gemeinden wie beim bischöflichen Ordinariat in Rottenburg war, bald und schnell eigene Kirchenräume für die neuen Gemeinden zu schaffen.
Mit Hilfe Gottes und dank der großherzigen Unterstützung des hw. Bischofs von Rottenburg, Dr. Carl Joseph Leiprecht, und seines gütigen Generalvikars, Dr. August Hagen, und nicht zuletzt aufgrund der großen Opferfreudigkeit unserer zumeist heimatvertriebenen Gläubigen ist es gelungen, in der Zeit von 1950 bis 1957 zehn neue katholisch Kirchen im Gebiet des Kreises Böblingen zu bauen und feierlich einzuweihen.
In Sindelfingen entstand bereits 1929 eine katholische Notkirche in der Schadenwasenstraße. Dieses Provisorium wurde 1952 durch die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit ersetzt. Der Turm wurde erst 1955 erbaut. (Foto: Susanne Schmidt)
Hier finden Sie eine Aufzählung der im heutigen katholischen Dekanat Böblingen, das für den Landkreis zuständig ist, bisher errichteten Kirchen. Die Jahreszahlen in der Klammer geben das Jahr der Einweihung oder des Baus des Gotteshauses an.
Böblingen
St. Bonifatius (1900 geweiht)
St. Klemens (1959)
Mariä Verkündigung (1963)
Aidlingen
Mariä Himmelfahrt
(ursprünglich an der Sonnenbergstraße, 1950 geweiht als erste katholische Kirche im Altkreis Böblingen nach dem 2. Weltkrieg, wegen baulicher Schäden 1989 durch einen Neubau an der Hauptstraße ersetzt)
Dachtel
St. Fidelis (1977)
Darmsheim
Christkönig (1952/1958)
St. Stephanus (1974)
Dätzingen:
St. Leonhard
(1812/13 erbaut und somit älteste katholische Kirche des Altkreises Böblingen)
Döffingen
St. Johannes der Täufer (1974)
Ehningen
St. Elisabeth (1957)
Gärtringen
St. Michael (1965)
Herrenberg
St. Josef (1933)
St. Martin (1971)
Gültstein
Guter Hirte (1968)
Höfingen
St. Michael (1966)
Holzgerlingen
Zum Heiligsten Erlöser (1954)
Hildrizhausen
St. Franziskus (1965)
Jettingen
St. Maria Hilfe der Christen (1956)
Nebringen
Zum Kostbaren Blut (1965)
Öschelbronn
St. Stephan (1953)
Kuppingen
St. Antonius (1958)
Nufringen
St. Maria Königin des Friedens (1983)
Leonberg
St. Johannes Baptist (1951/1975)
Warmbronn
St. Franziskus (1989)
Magstadt
Zur Heiligen Familie (1953)
Maichingen
St. Anna (1955)
Renningen
St. Bonifatius (1955)
Malmsheim
St. Martin (1963)
Rutesheim
St. Raphael (1962)
Schönaich
Heiligkreuz-Kirche (1959)
Sindelfingen
Zur Heiligsten Dreifaltigkeit (1929/1952)
St. Josef der Arbeiter (1960)
Auferstehung Christi (1969)
St. Paulus (1970)
St. Maria Königin des Friedens (1972)
St. Franziskus (1974)
Waldenbuch
St. Meinrad
(geweiht 1950 wie die Kirche in Aidlingen)
St. Martinus (1978)
Steinenbronn
Heilig-Geist-Kirche (1964)
Weil der Stadt
St. Peter und Paul
(in ihren Anfängen aus dem 12. und 13. Jahrhundert, wiederholt umgebaut und renoviert, zuletzt 1976 – 1989)
Spitalkapelle (1364)
Heiligkreuzkapelle (1554)
Michaelskapelle (1537)
Wendelinskapelle (15. Jahrhundert)
Merklingen
Maria Königin (1958)
Weil i. Schönbuch
St. Johannes Baptist (1962)
Weissach
St. Clemens Maria Hofbauer (1954)
Quelle: Die Vertriebenen im Kreis Böblingen. Hrsg.: Bund der Vertriebenen (BdV) – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände, Kreisverband Böblingen, Redaktion: Dr. Benno Kubin, Röhm Verlag, Sindelfingen, 1992.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des BdV-Kreisverbands Böblingen.
Literaturhinweis:
Kirchen im Landkreis Böblingen. Hrsg.: Ev. Kreisbildungswerk und Kath. Bildungswerk, Kreis Böblingen, Redaktion: Dr. Fritz Heimberger, Verlag Schnell & Steiner, München-Zürich, 1990.