Die Anfänge der Abwasserreinigung
Autorin: Dr. Helga Hager
Wer in den 1950er Jahren auf dem Land aufgewachsen ist, der wird sich noch gut an die damaligen hygienischen Verhältnisse erinnern: die Toiletten Abtritte, Plumpsklos befanden sich zumeist in einem separaten Häuschen neben dem Wohngebäude. Die Exkremente fielen direkt in eine darunter liegende Grube, in der oftmals auch die Jauche vom Viehstall gesammelt wurde. Von Zeit zu Zeit verteilte man den Inhalt auf die Felder und Wiesen.
Dieser hygienische Standard auf dem Land entsprach jedoch keineswegs dem Stand der technisch-biologischen Entwicklung: Moderne Abwasserreinigungsverfahren kamen schon ein halbes Jahrhundert zuvor in öffentlichen Einrichtungen zur Anwendung. So wurde bereits 1911 bei der Erweiterung des Bezirkskrankenhauses Leonberg eine biologische Abwasser-Reinigungs-Anlage eingeplant. Damit setzte der Träger des Krankenhauses, die Amtskörperschaft Leonberg, ein frühes Zeichen für eine umweltbewusste Abwasserpolitik. Bei dieser Amtskörperschaft handelte es sich um eine Vorgängerinstitution unseres heutigen Landkreises.
In der Beschreibung des Herstellers, der Süddeutschen Reinigungs-Gesellschaft mbH in Ulm, heißt es:
Reinigungssystem der im Leonberger Bezirkskrankenhaus verwendeten Abwasserreinigungsanlage der Süddeutschen Reinigungs-Gesellschaft mbh in Ulm. (Bild: Kreisarchiv Böblingen)
Diese Anlage enthielt
a) eine erste Faulgrube,
b) eine zweite Faulgrube,
c) einen Oxydations- (Abtropf-) Raum,
d) einen Kontrollschacht und
e) für Küchenabwasser und sandige Abwasser noch einen Sand- und Fettfang-Schacht vor der ersten Faulgrube.
Die erste Faulgrube nimmt den 24-stündigen Abwasseranfall auf, dabei sind für jeden Bewohner in der Regel 20 Liter Abortabwasser und 100 Liter häusliche Abwasser in Rechnung zu stellen.Die zweite Faulgrube ist um die Hälfte kleiner als die erste; die Wassertiefe beider Gruben beträgt 1,2 bis 1,5 m. Sie sind durch ein 0,3 m unter den Wasserspiegel der ersten Grube eintauchendes gusseisernes … Winkelrohr miteinander verbunden, welches in der zweiten Grube in eine Abtropfrinne mündet. Durch das Abtropfen in den 0,20 m tieferliegenden Wasserspiegel der zweiten Grube soll das Abwasser mit Sauerstoff bereichert werden.
Der Oxydations- oder Abtropfkörper ist in der Regel 1,50 m tief und besteht aus lose aufgeschütteten faustgroßen Brocken harter Backsteine, Kesselschlacken oder Kocks.
Als letzter Schritt wurde das Abwasser noch mit Chlorkalk versetzt, um eine Desinfektion zu bewirken. Die Einleitung erfolgte in die Glems.
Der Preis der Anlage betrug 3.130 Reichsmark; den Auftrag für den Bau bekam das Stuttgarter Unternehmen Klenk & Cie im Frühjahr 1911. Da dieses allerdings bald darauf Insolvenz anmelden musste, liegt die Realisierung des Projekts im Dunkeln. Möglicherweise wurde sie unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges für mehrere Jahre verschoben.
Erstveröffentlichung: Historische Blitzlichter aus dem Kreisarchiv Böblingen, Böblingen 2009
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Die Autorin, Dr. Helga Hager, ist Kreisarchivarin des Landkreises Böblingen.