Mittelalterliche Glashütte bei Altdorf
Hi-Tech-Produktion damals wie heute
Autor: Hansjörg Jung
Seltsam sind die Parallelen der Geschichte. Heutzutage werden im schwäbischen Silicon Valley zwischen Böblingen und Sindelfingen Siliziumchips für die Computerindustrie gebacken. Quarzsand, der im wesentlichen ebenfalls aus Siliziumdioxid besteht, wurde bereits vor gut 500 Jahren im Goldersbachtal geschmolzen: zu Glas.
Altdorf selbst war nicht mehr als ein paar Gehöfte mit einer Kirche, die immerhin schon seit dem Jahr 1275 nachgewiesen ist. Anfang des 15. Jahrhunderts gehören Kirche und Flecken zum Herrschaftsbereich der Bebenhäuser Äbte. Hi-Tech galt auch schon im ausgehenden 15. Jahrhundert, als im Kleinen Goldersbachtal, rund vier Kilometer nordwestlich von Bebenhausen und heute auf Altdorfer Gemarkung, eine Glashütte arbeitete. „Dies war für die damalige Zeit eine moderne Anlage,“ sagt Dr. Barbara Scholkmann, Professorin für Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen. Denn: Aus den Resten der Anlage darf geschlossen werden, dass das Glas in einer arbeitsteiligen Produktion erzeugt wurde. Sprich: In mehreren Öfen wurde Glas geschmolzen, hier geblasen und dort verziert.
Trinkgeschirr und Fensterglas
„Neben Trinkgeschirr wurde auch eine ganz Menge Fensterglas produziert“, sagt Barbara Scholkmann. Dazu bliesen die Glasmacher eine Glasblase auf, die in die Länge gestreckt wurde. Von der langen Blase wurden Oberteil und Boden abgeschnitten, so entstand ein Glaszylinder. Dieser Zylinder wurde der Länge nach aufgeschnitten, auseinander geklappt und glatt gebügelt. Fertig war das Fensterglas. Neben Geschirr und Fensterglas fanden die Archäologen bei verschiedenen Grabungen zu Beginn der 90er Jahre auch Reste von alchemistischen und medizinischen Geräten: Glasblasen zur Destillation oder auch Schröpfköpfe, wie sie heute noch in der Naturheilkunde zur Anregung des Stoffwechsels und der Muskelentspannung eingesetzt werden.Doch warum wurde die Glashütte in eine gottverlassene Ecke des Schönbuches gebaut? „Die Glasmacherei war ein typisches Waldgewerbe. Man brauchte Holz, sehr viel Holz“, sagt Barbara Scholkmann. Holz einerseits, um die Schmelzöfen zu befeuern und vor allem Holzasche als Flussmittel, um den Schmelzpunkt des Sandes herab zu setzen. Den Rohstoff Sand gab es zu Genüge: „In näherer Umgebung des Produktionsareals stehen Schichten des Rät- und Stubensandsteins an. Aufgrund der kieseligen Bindung und des daraus resultierenden hohen Quarzgehaltes ist der Rätsandstein als Rohstoff für das Glasgemenge besonders geeignet“, schreibt Barbara Scholkmann in einer Veröffentlichung zur spätmittelalterlichen Glasproduktion im Schönbuch.
Direkt an der Handelsroute
Doch es bedarf mehr als nur der Rohstoffe, um daraus Kapital zu schlagen. Dies wussten auch die Mönche in Bebenhausen und wählten den Standort im Goldersbachtal mit Bedacht: In einer Entfernung von ungefähr 300 Meter verlief die Rheinstraße, einer der bedeutenden Handelswege des Mittelalters, der von den Alpen in Richtung Rheinebene führte.
Zur vorhandenen Infrastruktur gesellte sich obendrein noch ein weiterer wichtiger Moment: die Nachfrage. Mit der Universitäts-Gründung im Jahr 1477 durch Graf Eberhard gehen die Wissenschaftler von einem regelrechten Bauboom in Tübingen aus. Und als Barbara Gonzaga nach dem Tod von Eberhard 1496 ihren Witwensitz in Böblingen bezog, hatte sie vielleicht auch ein Fläschchen, Gläschen oder Tiegelchen aus dem Schönbuch in ihrem Gepäck, denn die Luxusgläser aus Venedig wurden landauf landab kopiert. Warum also nicht auch im Schönbuch? Murano, Altdorf – diese Verbindung hätte heute noch einen guten Klang. Wer fragte da noch nach Silizium-Halbleiter für die Computerindustrie?
Quelle: Sindelfinger Zeitung, 25. März 2004
Der Text wurde gekürzt
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung