Bauliche Entwicklung der Gemeinde vom Ende des 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert
Schönaich erhält eine „Vorstadt“
Autor: Walter Jehle
Durch die starke Zunahme der Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert war die Gemeinde gezwungen, sich außerhalb Etters (Dorfzaun) nach neuen Baumöglichkeiten umzusehen. So dehnte sich Schönaich Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts fast gleichzeitig nach drei Richtungen aus: Schafgasse, “Vorstadt und Halde/nördliche Große Gasse. Dabei sah man seinerzeit – man musste sich ja vom Grund und Boden ernähren – sehr darauf, dass dafür ja kein wertvolles Ackerland verwendet wurde. Der Baugrund in der Schafgasse wird als sandig, steinig und wenig ertragreich, der in der “Vorstadt“ als lettig, nass und ebenfalls nicht ertragreich bezeichnet.
Für die “Vorstadt“ wird ausdrücklich die Bauweise des alten Dorfes, also die Giebelseite zur Straße, vorgeschrieben. Die alte Bauweise war so: Die Wohnhäuser sind mit der Giebelseite zur Straße gebaut. Im rückwärtigen Teil des Wohnhauses ist der Stall untergebracht, und quer dazu, ziemlich zurückgesetzt von der Straße, befindet sich die Scheuer; links davon Nebengebäude wie Hütte, Waschhäusle und dergleichen. Diese Art der Bebauung ist in der Großen Gasse teilweise noch heute zu erkennen. In der Vorstadt wurden in der Hauptsache der frühere Ebergarten (etwa das Gebiet ab dem heutigen Gasthaus Engel) und die Krautländer an der Schießmauer (etwa das Gebiet gegenüber der Eiche) überbaut.
In der Schafgasse durfte nur traufseitig – das Dach parallel zur Straße – gebaut werden. Das ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass hier auf schmale Allmendstücke gebaut wurde, die ursprünglich der Gemeinde gehörten.
Später haben die Hausbesitzer in der Schafgasse auf der linken Seite ortsauswärts noch ein oder zwei Ackerlängen, die hinter den Gebäuden verliefen, erworben. Das ist heute noch an den Marksteinen zu erkennen. Offensichtlich konnten oder wollten nicht alle Eigentümer ihren Anteil an den betreffenden Äckern erwerben. Deshalb gibt es in dieser Straße, heute Waldenbucher Straße, auf der betreffenden Seite jetzt noch den einen oder anderen Garten, dessen Grenze bis hinter die übernächsten Häuser geht.In der Vorstadt bauten Bauern; in der Schafgasse aber Weber, “Söldner“ (Tagelöhner) und “Einspänner“, also Leute, die einen eigenen Haushalt hatten, aber unverheiratet waren.
Weil die Häuser sowohl in der Schafgasse als auch in der “Vorstadt“ außerhalb des ursprünglichen Ortsetters erbaut wurden, war dort noch lange Zeit das Halten von Geflügel untersagt.
Er ging ursprünglich um das ganze alte Dorf. Zum einen war er ein Schutz gegen mögliche Flurschäden durch Haustiere, Hühner, Gänse und so weiter. Zum anderen aber war er gleichzeitig die Grenze zwischen Grund und Boden, der überbaut werden durfte und dem für die landwirtschaftliche Nutzung bestimmten Feld. Der Ortsetterzaun war mit Toren versehen, die nachts verschlossen wurden. Solche Tore gab es unter anderem:
allein drei zum Lindenlauch, davon eines beim Kirchgässle „’s Toarnagels“, heute Kirchgässle 13; bei „’s Hofbauers“, heute Jägerstraße 15; im “Bottagässle“, jetzt Schillerstraße und im “Geesgässle“, heute Lange Straße, gegenüber dem Haus 13. Dieser Etterzaun mit Tor war bis nach dem zweiten Weltkrieg erhalten; der Zaun war auch noch mit einem Weißbuchehag versehen.
Erst in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts schließt an die “Vorstadt“ dann noch die Seegasse oder wie sie im Volksmund genannt wird, ,,d‘ Saigaß“, heute Holzgerlinger Straße, an. So genannt nach dem am Ortsende liegenden früheren See (Sai). Eines dieser Häuser war das sog. Hopfenhaus, in der Holzgerlinger Straße 13. An diesem Haus ist gut zu erkennen, dass hier der in Schönaich früher noch angebaute Hopfen gedörrt wurde.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts setzt – verglichen mit der vorherigen Zeit – eine sehr rege Bautätigkeit ein. Eine ganz neue Siedlung entsteht in den Hofäckern unmittelbar neben dem alten Dorf. Die Rosen-, Hof-, Schulstraße und die Ostseite der unteren Böblinger Straße werden ausgebaut. Die Straßen werden geradlinig und für die damaligen Verhältnisse sehr breit angelegt. Auch hält man sich nicht mehr an die ursprüngliche Anordnung der Häuser. Die alten dörflichen Bindungen fallen, und die seit vielen Generationen gültige Ettergrenze spielt keine bedeutende Rolle mehr. (…)
Erstveröffentlichung: Walter Jehle, Schönaicher Ortsgeschichte Begebenheiten und “Gschichtla“. Hrsg.: Gemeinde Schönaich 2003, S. 87-90.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Schönaich