Bericht des Mordechai Ciechanower und anderer ehemaliger Häftlinge im KZ-Außenlager Tailfingen
Erarbeitet von: Volker Mall und Harald Roth
Erarbeitet von: Volker Mall und Harald Roth
Mordechai Ciechanower:
Maków Mazowiecki
Ich stamme aus Maków Mazowiecki, einer kleinen Stadt etwa hundert Kilometer nördlich von Warschau. Maków lag auch nicht weit vom sowjetischen Gebiet, das etwa 45 km von meiner Stadt entfernt begann. Es gab dort eine alte jüdische Gemeinde mit einer großen Synagoge, und mit 5.000 waren wir Juden ungefähr die Hälfte der Einwohner der Stadt.
Auschwitz
Die schlimmste Sache in meinem Leben war die Selektion in Birkenau: Mich und meinen Vater hat man auf eine Seite geschickt und die Schwester und meine Mutter auf die andere Seite. Wir haben gewusst, dass wir auf unbekannten Wegen fahren, aber wir hätten nicht gedacht, dass man uns vergasen oder erschießen will. Ich und mein Vater sind ins Lager Birkenau und zur Entlausung gekommen und bekamen eine Nummer auf den Arm tätowiert.
Stutthof
Der Zug hielt an einer Rampe in einem Lager, das von weitem wie eine Kopie des uns bekannten verfluchten Ortes (Auschwitz) aussah. Kurz vor Ende des Krieges, nach Stalingrad und nach der Landung der Alliierten in der Normandie, waren wir im Vernichtungslager Stutthof angekommen.
Tailfingen
So kamen wir an den Hangar. Dort haben wir den SS-Kommandanten getroffen. Ich erinnere mich nicht genau an das Gesicht, aber schon von Ferne habe ich Angst bekommen, als ich den Mann mit seinem Tier gesehen habe. ‚Wer entläuft, der wird erschossen’, hat der Kommandant gesagt und wir sollten fleißig sein und viel arbeiten.
Das Lager Dautmergen …war genauso grausam wie andere Konzentrationslager, auch wenn wir dort nach unserer Ankunft nicht mehr arbeiten mussten. Es gab fast nichts zu essen. Ich hatte einen sehr guten Freund, und wir haben bemerkt, dass die Kartoffelschalen in die Toilette geworfen wurden. Wir holten sie heraus, wuschen sie und kochten sie in einer Blechdose. Das war eine Delikatesse.
Als wir Ende März 1945 Bergen-Belsen erreichten, stiegen wir mit Lumpen an unseren Füßen aus dem Zug. Alles, was wir sahen, waren Dreck, Pfützen, Abfall und dunkle, armselige Baracken, die bereits zerfielen. Eine unvorstellbare Enge herrschte im gesamten Lager. In vielen Baracken gab es keine Pritschen. Oft waren weder Strohmatratzen noch Heu vorhanden, auf das man sich hätte legen können. Stühle oder eine Beleuchtung fehlten. Stattdessen nackter, schmutziger Boden. Die Fenster waren zerbrochen, und der Regen tropfte durch das Dach.
Überall sahen wir Berge mit Leichen. Wir wurden in einen Block geschickt. Unsere Aufgabe war es, die Toten hinauszutragen. Ich war barfuß gekommen und nahm die Schuhe eines Toten. Aber ich wusste: Heute ziehe ich die Toten heraus, und morgen werden andere mich aus dem Block tragen.
Zuckerman:
In wenigen Wochen wurde die aus 1800 Männer, Frauen und Kindern bestehende Gemeinde Nyírbátor zerstört. Es wurde festgelegt, wann jeder für die „Evakuierung“ bereit sein sollte. An diesem Termin sammelte die Landespolizei alle Familien ein. Sie mussten einige Kilometer bis zu einem Lagerhaus eines landwirtschaftlichen Gutes gehen, das mit seinen Kuh- und Pferdeställen zu einem neuen Ghetto wurde, von Stacheldraht umgeben und von der Landespolizei bewacht.
Auschwitz
Plötzlich öffneten sich die Waggontüren und die Leute wurden angewiesen, auszusteigen und ihr Eigentum zurückzulassen. Das Häftlingskommando teilte die Leute in Gruppen ein. Männer, Frauen ohne Kinder und Frauen mit Kindern standen in drei Gruppen, für immer von einander getrennt. … Ich hörte ein neues deutsches Wort: Zwillinge. Die Deutschsprachigen übersetzten rasch: „Zwillinge vortreten!“ Später erfuhr ich, dass ich den berüchtigten Dr. Josef Mengele gesehen hatte, der für seine Menschenversuche Zwillinge selektierte.
Frauen und Männer wurden, in einer Reihe stehend, vorwärts gestoßen vor Dr. Mengele, den „Todesengel“. Nach einem kurzen Blick befahl er mit einer Geste den Kräftigen, sich den separierten Gruppen von Männern und Frauen anzuschließen. Die Schwachen oder sehr Jungen mussten zu den Frauen und Kindern. Ehemänner und Ehefrauen, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern sahen sich zum letzten Mal.
In einiger Entfernung stießen die riesigen Schornsteine der Krematorien riesige Rauchwolken aus. Der strenge Geruch verbrannten Fleisches hing über der Gegend. Als ich wegen des Gestanks nachfragte, sagten die anderen Häftlinge, da würden alte Kleider und Abfälle verbrannt. Sie konnten nicht zugeben, dass dort ihre Familien und Mitglieder ihrer Gemeinden verbrannt wurden. Als wir eines Tages auf einem Feld Aschenhaufen fanden, endeten unsere Illusionen. In einem der Haufen fanden wir einen menschlichen Unterkiefer mit Zähnen. Da wussten wir: In den Krematorien wurden Menschen verbrannt und die Asche war der Rest unserer Angehörigen.
Das Leben in Tailfingen – wie in den anderen sogenannten Arbeitslagern – war darauf zugeschnitten, unsere Arbeitskraft auszubeuten, während die Häftlinge gleichzeitig wegen fehlender Nahrung und der schlechten sanitären Verhältnisse langsam dahinstarben. Das Lager war in einem großen Hangar untergebracht, der ursprünglich als Stellplatz für Flugzeuge gebaut worden war. Es fehlten die grundlegendsten Sanitäranlagen. Diese Bedingungen und die ungenügende Winterbekleidung hatten eine höhere Todesrate zur Folge, als ich sie aus Auschwitz kannte.
Die Aufseher sagten, dass die Gruppe zu einem „Erholungslager“ ging. Im Lager Vaihingen/Enz (Lager Wiesengrund) wurden Flugzeuge hergestellt, mit denen noch eine Kriegswende erreicht werden sollte. Fortgesetzte Bombenangriffe der Alliierten führten zum Ende dieses Projektes und Wiesengrund wurde zu einem Lager für arbeitsunfähige Häftlinge, in das Kranke und Sterbende von anderen KZs gebracht wurden. Ein nahegelegener Steinbruch wurde zur letzten Ruhestätte für die Dutzende von Häftlingen, die jede Nacht starben.
Marion Kornblit:
Im Mai 1942 wurde ich nach Auschwitz deportiert. Ich war jung, gesund und stark und wurde sofort dem Sonderkommando zugeteilt. Das war das Kommando, das die Vergasten, Erschossenen, Gehängten, Geköpften und halb Lebendigen in Öfen verbrennen musste. Ich wurde von den anderen Häftlingen getrennt und schlief in einem Bunker. Durch mangelnde Ernährung, lange Arbeitszeit, den Gestank und mangelnde frische Luft wurde ich krank. Im September 1942 kam ich für 6 Monate in die Strafkompanie nach Birkenau. Da arbeitete ich im sogenannten Königsgraben, barfuß, fast nackt, hungrig, frierend und bis zur Taille im Wasser. … Wenn jemand sich wehrte, wurde er sofort erschossen. Manchmal warf ein SS-Mann seine Mütze durch die Kette der Posten und schickte einen Häftling, um sie zu holen und erschoss ihn sofort. Täglich wurden viele totgeschlagen, von den Hunden zerrissen und erschossen.
Stutthof war viel schlimmer als Auschwitz. Wir starben vor Hunger und Schmutz und wurden von den Läusen aufgefressen. Als ich eines Tages mit dem Kommando in einem Holzlager arbeitete, standen da 2 Waggons mit Rüben. Ich holte ein paar und wollte sie mit meinen Freunden teilen. … Ich wurde vom Kapo erwischt. Er schlug mich mit einem Brett über den Rücken. Ich hatte gebrochene Rippen und konnte 12 Wochen lang kaum atmen.
Szmuel Kalmanovicz:
Vaivara war ein Durchgangslager für alle estnischen Lager. Auf dem großen Platz des Lagers unter freiem Himmel wurden wir von vier Panzern bewacht. Wir warteten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht im strömenden Regen, bis man uns selektierte. Ich, gänzlich mittellos und zerschunden, sollte ins Lager Vivikond. Dorthin mussten wir 15 Kilometer zu Fuß. Gleich bei der Ankunft mussten wir uns in Reih und Glied aufstellen, und es wurde uns erklärt, wir müssten alles abgeben, was wir hätten. Wenn man bei einem auch nur eine Mark fände, würde er erschossen.
Vivikond – Auvere
Die Arbeit war sehr schwer. Die Frauen mussten die schwersten Bäume im Wald fällen und die Männer mussten nachher die Wurzeln herausziehen und mit Karren aus dem Sumpf wegfahren. Danach fuhr man Gestein (Ölschiefer) in die Fabrik, um Schmieröl herzustellen. Man musste von frühmorgens bis abends arbeiten und nur ein kleiner Prozentsatz konnte es aushalten. Ich war 3 Monate im Lager Vivikond.
Die Bedingungen im Lager Stutthof waren so: In einer Baracke waren 1500 Mann, in jedem Bett 12, wenn es mehr waren, 14 Mann. Es waren Dreistockbetten aus Holz. Vor dem Schlafen musste sich jeder Häftling im kältesten Winter mit kaltem Wasser waschen; zu 200 Mann wurden sie in den Waschraum getrieben. In fünf Minuten mussten sie sich gewaschen haben. An der Tür des Waschraums bis zu den Schlafräumen standen deutsche und polnische Kapos mit Gummiknüppeln. Wer sich nicht richtig gewaschen hatte, bekam 25 Schläge auf den ganzen Leib. Schlafen musste man unbekleidet. Morgens um 4 Uhr wurde geweckt, 15 Minuten Zeit war dazu. Danach mussten wir aus den Baracken raus. Auf dem Korridor bekam jeder Häftling 100 Gramm Brot, und man durfte nicht mehr in die Baracke bis 9 Uhr abends. Nachdem der Kaffee-Ersatz ausgetrunken war, musste man sich in großen Reihen auf dem Appellplatz aufstellen.
Marga Griesbach:
Das Ghetto von Riga Wir gingen – wie es schien – einige Stunden lang durch Straßen, die mit Eis und Schnee bedeckt waren. Die Häuser, die die Straßen säumten, sahen ganz anders aus als die in Deutschland, sie waren klein und aus Holz und schienen halb unter der Erde zu sein. Später nahmen wir wahr, dass der untere Teil der Häuser unterm Schnee begraben war. Wir kamen in einem Areal an, das von einem doppelten Zaun aus Stacheldraht umgeben war. Wachen mit Maschinengewehren patrouillierten außerhalb des Zauns. Wir betraten das Areal durch ein Tor. Zu unserer Linken waren weitere kleine Holzhäuser. Rechts war eine hohe Mauer. Wir erfuhren später, dass diese Mauer einen Friedhof umgab. Vor uns lag eine Straße, mit Eis bedeckt, das über längere Strecken rot war, offensichtlich gefrorenes Blut, über das wir unseren Marsch fortsetzten.
Stutthof
Morgens gegen 4 Uhr mussten wir uns zum Appell aufstellen. Die Nächte waren kalt und wir standen stundenlang. Einige Frauen brachen zusammen und wurden übel geschlagen. Gegen 8 Uhr kamen Gefangene aus dem Männerlager und brachten ein bräunliches lauwarmes Gebräu, das Kaffee sein sollte. Gegen 11.30 Uhr brachten die Männer Bottiche mit etwas, das man Suppe nannte. Manchmal schwamm ein Stückchen Kartoffel oder Karotte in der Brühe – oder wenn man Glück hatte – fand man ein winziges Stückchen Fleisch. Wir hatten schrecklichen Hunger, aber die Bottiche wurden bewacht, und wir mussten lange warten, bis sie begannen, die Suppe in unsere Geschirre auszugeben. An einem Tag drehte eine Frau durch, sie lief zu dem Bottich und begann, sich selbst Suppe auszuschöpfen. Sie wurde gepackt und mitsamt ihrem verdreckten Kleid und mit ihrem schmutzigen Körper in den Bottich geworfen. Fast alle aßen später die Suppe. Ich konnte mich nicht dazu überwinden.
Die Leute wurden Tag für Tag apathischer. Viele wurden krank und konnten nicht mehr aufstehen. In den Betten lagen einige alte Menschen im Sterben. Jeden Morgen wurden die Leichen eingesammelt. Die Wächter überprüften die Betten und nahmen täglich etwa 20 bis 25 Kranke mit, die in die Gaskammer gebracht wurden. Da Stutthof nicht als Vernichtungslager gebaut war, hatte es nur eine sehr kleine Gaskammer und ein kleines Krematorium.(…)
Es war Ende September 1944. Wir waren nur sieben Wochen in Stutthof gewesen, aber es schien eine Ewigkeit. Stutthof war die Hölle auf Erden. Wir lebten wie Tiere und wurden schlechter als Tiere behandelt. Falls wir noch einen kleinen Rest Selbstwertgefühl hatten, als wir in Stutthof angekommen waren, so waren wir durch und durch entmenschlicht, als wir es verließen.
Wolf Gimpel:
Tailfingen
Mein Freund ist in so eine Miete wegen einem Kohlrabi, den er sich da nehmen wollte […] hat man ihm gleich den Kugel in den Kopf gegeben; erschossen mit dem Kohlrabi, damals.
Steven Erber:
Tailfingen
Bei unserer Ankunft im Lager wurde ein Häftling erschossen, der aus einer von wachhabenden und bewaffneten Soldaten umschlossenen Gruppe heraustrat und Zuckerrüben von einem nebenliegenden Haufen nehmen wollte. Ich habe von den Zuckerrüben ein Stück bekommen. Wir waren alle sehr hungrig und durstig, da wir seit Tagen keine Nahrung erhalten hatten. Wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat, kann ich nicht sagen, da es dunkel war. Es waren mehrere Schüsse
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