Altdorf in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1850
Im Ort selbst sind 6 Zündhölzchenfabriken
Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850
Altdorf,Pfarrdorf mit 1155 Einwohnern, worunter 1 Katholik, zwei Stunden südlich von der Oberamtsstadt.
Der ziemlich große, mit reinlichen Straßen versehene Ort hat eine angenehme, ebene Lage am Anfang des Würm-Thals und ist mit gutem Quellwasser hinreichend versehen. Die noch ganz jugendliche Würm, welche auf der Markung entspringt, fließt der Länge nach durch den Ort und wird am nordwestlichen Ende desselben zu einer Wette geschwellt. Vermöge der hohen freien Lage und der Nähe der Schönbuchs-Waldungen ist die Luft gesund und rein, jedoch, da der Schutz namentlich gegen Norden und Osten fehlt, etwas rauh. Schädliche Frühlingsfröste und Gewitter sind nicht selten. Die Häuser sind meist ansehnlich aus Holz mit steinernem Unterstock erbaut und stammen häufig noch aus dem Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts. …
Am südlichen Ende des Orts liegt die dem heiligen Blasius geweihte Pfarrkirche, umgeben mit dem alten ummauerten Begräbnißplatz, auf dem seit 120 Jahren nicht mehr beerdigt wird. Vor etwa 60 Jahren wurde sie namhaft erweitert und vor 35 Jahren an Thurm und Dach reparirt. Das Chor ist noch in seiner ursprünglichen Bauweise, mit Strebepfeilern und hohen gothisch gefüllten Fenstern geblieben. Dagegen fehlt den neuen Fenstern des Schiffs jeder architektonische Schmuck und die westliche Giebelseite, an der vier eckige und runde Fenster eingebrochen wurden, ist ein Muster von Geschmacklosigkeit. … Innen ist die Kirche hell und geräumig, übrigens das flach getäfelte Schiff, wie das Chor, durch Emporkirchen verbaut, in letzteres wurde noch überdieß im Jahr 1846 eine neue gothisch gefasste Orgel eingezwängt. … Der viereckige Thurm mit drei massiven Stockwerken, auf denen ein hölzernes, später aufgebautes Glockenhaus mit sechsseitigem Zeltdache sitzt, steht an der nördlichen Seite der Kirche. … Das Pfarrhaus, ein altes, auf massivem Unterstock ruhendes Gebäude, welches übrigens in neuerer Zeit mehrfach verbessert wurde und gegenwärtig in gutem baulichem Zustande sich befindet, liegt von allen Seiten frei, in der Nähe der Kirche. Es war ursprünglich die Burg der Herren von Altdorf und wird noch heute die „Bürg“ genannt. Die Unterhaltung desselben steht dem Staate zu. Die Schule mit Lehrerwohnung wurde vor 38 Jahren mit namhaften Kosten reparirt; an ihr unterrichten 1 Schullehrer und 1 Unterlehrer. Eine Industrieschule, die übrigens nicht von Bedeutung ist, besteht seit 1848. Das alte, sehr geräumige Rathhaus mit einer auf rundbogigen Arcaden ruhenden Vorhalle, wurde nach der Jahrzahl, die oberhalb des mittleren Rundbogens steht, 1628 erbaut und befindet sich, trotz seines Alters, in gutem Zustande. Die Rathstube, deren Decke von einer schön gearbeiteten, hölzernen Säule unterstützt wird, trägt noch ganz das heimliche, solide Gepräge der mittelalterlichen Zeit. …
Die ziemlich unbemittelten, mitunter armen Einwohner sind gutmüthig, mäßig und suchen sich durch Sparsamkeit und unermüdeten Fleiß redlich durchzubringen. Ihre Hauptnahrungsquelle ist der Feldbau, den sie im Dreifeldersystem gut betreiben. … Hanf wird ziemlich gebaut und im Ort selbst versponnen, ebenso Kraut, welches dem Filderkraut beinahe gleich kommen soll und theilweise auswärts abgesetzt wird. … Die Pferdezucht ist ganz unbedeutend, dagegen die Rindviehzucht ausgedehnt und bildet einen besondern Erwerbszweig. … Was die Gewerbe betrifft, so befindet sich 1/8 Stunde nordwestlich vom Ort eine Mühle mit zwei Mahlgängen und ein Gerbgang, die übrigens aus Mangel an Wasser nicht selten stille steht. Im Ort selbst sind 6 Zündhölzchenfabriken, welche mehreren Bewohnern, namentlich Kindern von Unbemittelten, Beschäftigung und Verdienst geben; die übrigen Professionisten, unter denen sich ziemlich viel Weber befinden, dienen meist nur dem örtlichen Bedürfniß. Der Ort hat drei Schildwirthschaften, wovon eine mit Bierbrauerei, und vier Krämer. … Die jährlichen Zinse aus mehreren Stiftungen, die gegenwärtig 17 – 18 fl.1 betragen, werden zu Brod für Arme verwendet und am obersten Tag (6. Januar) ausgetheilt. Eine Stiftung, nach welcher den Ortsarmen jährlich 6760 Pfund Brod, also wöchentlich 130 Pfund, ausgetheilt werden, stammt noch von dem ehemaligen Klosteramt Bebenhausen her, zu dem Altdorf früher gehörte. …
Altdorf ist die Heimath von Johann Michael Hahn, Sohn eines Bauern, welcher allhier am 2. Februar 1758 geboren wurde und am 20. Januar 1819 in Sindlingen, wo er sich meist aufhielt, starb. Dieser Landmann von theosophischer Richtung, welcher durch seine Vorträge und seine zahlreichen Schriften großen Anhang gewann, ist Stifter der Michelianer, eines nach ihm benannten Pietistenzweiges.
Der Ort gehörte zur Pfalzgrafschaft Tübingen; im Jahr 1293 erkaufte Graf Gotfried von Tübingen denselben von Graf Eberhard von Tübingen (Sindelfinger Chronik), veräußerte dagegen schon am 15. Mai 1295 an Kloster Bebenhausen alle Güter, welche er selbst oder Graf Eberhard in Altdorf besessen.
Unter pfalzgräflicher Dienstherrlichkeit saßen auf hiesiger Burg (dem jetzigen Pfarrhause) sich so nennende Herren von Altdorf; sie waren ein Zweig des Geschlechtes der Herren von Gerlingen (Oberamt Leonberg) und führten mit ihnen das gleiche Wappen, zwei Halbmonde. … Von diesem Grafen erkaufte das Kloster Bebenhausen (…) am 5. Januar 1328 genannte Burg mit vollem Eigenthumsrecht. … Einzelne hiesige Erwerbungen machte das nach und nach zum Besitz des ganzen Ortes gelangende Kloster noch späterhin, namentlich 1386 und 1393 von Hans und Schwigger von Altdorf, den letzten bekannten Herren dieser Familie. … Unter der Hoheit des Klosters Bebenhausen blieb der Ort bis er mit demselben an Württemberg überging. …
Altdorfer Ortsmitte mit der 1498 durch Hans von Bebenhausen errichteten Pfarrkirche (St. Blasius-Kirche)
Der Text wurde gekürzt
Eine ungekürzte Version der Beschreibung von Altdorf finden sie auf dem Internet-Portal Wikisource.
Mit freundlicher Genehmigung des Bissinger-Verlags Magstadt
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden.
Referenz
↑1 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
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