Mötzingen in der Herrenberger Oberamtsbeschreibung 1855
Die Einwohner sind im Allgemeinen gesunde, kräftige Leute …
Autor: Eduard Paulus
Mötzingen, Gemeinde III. Klasse mit 960 Einwohnern, worunter 2 Katholiken – Evang. Pfarrei. Die Katholiken sind nach Hailfingen, O.A. Rottenburg eingepfarrt.
Am westlichen Saume des Gäus liegt 2 ¾ Stunden südwestlich von Herrenberg, frei und hoch das namhafte, übrigens ziemlich unregelmäßig gebaute Dorf. Die Gebäude sind von mittelmäßigem Ansehen, und die im Jahre 1782 in einem nicht kirchlichen Styl erbaute Ortskirche hat nichts Bemerkenswertes; (…)
Statt des früher um die Kirche gelegenen Begräbnisplatzes wurde 1813 außerhalb des Orts an die Vicinalstraße nach Nagold ein neuer angelegt, weil aber auf demselben die Leichname zu lange nicht verwesten, so ließ die Gemeinde im Jahre 1840 eine weitere 2 ½ Viertel 19 1/5 Ruthen1 große Begräbnisstätte an der Vicinalstraße nach Bondorf herstellen. (…)
Das in der Nähe der Kirche, an der östlichen Ortseite gelegene Pfarrhaus, dessen Unterhaltung dem Staat obliegt, befindet sich in gutem Zustande und bildet mit seinen Nebengebäuden, Garten etc. einen angenehmen, geschlossenen Pfarrsitz.
An der Hauptstraße steht das 1745 – 46 erbaute, gut erhaltene Rathaus; dasselbe enthält zugleich die Volksschule und die Wohnung des Lehrgehilfen, während der Schulmeister in einem 1832 neu erbauten, der Gemeinde gehörigen Hause nächst der Schule wohnt.
Außer einem von den Ortsbürgern benützen Backhaus, das übrigens einem Privatmann gehört, sind noch zwei der Gemeinde zustehende Waschhäuser vorhanden; zwei Zehentscheunen gingen in Folge der Ablösung im Jahre 1851 von dem Staat in Privathände über.
An dem südöstlichen Ende des Dorfes steht das Schloß, zu dem früher ein besonderes Schloßgut gehörte (s.unten). Dieses in einem einfachen Styl erbaute Gebäude ist sowohl in seinem Innern als Aeußeren sehr herunter gekommen und hat nichts Bemerkenswerthes.2
Gutes Trinkwasser liefert ein Rohr- ein Schöpf- und mehrere Pumpbrunnen, überdies besteht eine Wette im Ort und ein kleiner Weiher im Schlossgarten. (…)
Die Einwohner sind im Allgemeinen gesunde, kräftige Leute, welche sich durch Feldbau und Viehzucht ihr redliches Auskommen sichern, und mit einer eingezogenen Lebensweise großen Fleiß verbinden; wie sich denn auch hier die selten gewordene Erscheinung zeigt, dass selbst in neuster Zeit die ökonomischen Verhältnisse der Einwohner im Allgemeinen sich gebessert haben. Die Gewerbe sind ganz untergeordnet und von solchen nur drei Schildwirthschaften.3, worunter eine Bierbrauerei, und zwei Kramläden zu nennen.
Die natürlichen Verhältnisse sind ziemlich günstig; die mittelgroße, gut arrondierte Markung ist größtentheils eben. … Sie hat durchschnittlich einen ergiebigen Boden … . Das Klima ist gesund, übrigens etwas rauher als in Bondorf, namentlich macht sich dieses in dem westlichen Theile der Markung, wo schon der nahe gelegene Schwarzwald einigen Einfluß äußert, geltend; dagegen kommt Hagelschlag selten vor. (…)
Die Landwirthschaft wird mit Anwendung des deutschen Pflugs und der gewöhnlichen Düngungsmitteln, nebst Gips und Hallerde, gut betrieben; zum Anbau kommen hauptsächlich Dinkel und Hafer, unter letzteren häufig Ackerbohnen. … Der ausgedehnte Wiesenbau liefert ein vortreffliches Futter und erlaubt einen bedeutenden Viehstand, der einen namhaften Erwerbszweig der Einwohner bildet; … Das in großer Ausdehnung gezogene Obst (Mostsorten und Zwetschgen) gedeiht im östlichen Teil der Markung gerne, während es im westlichen, dem Schwarzwald näher gelegenen, weniger gerathen will. … In günstigen Jahren wird ein beträchtlicher Handel mit Obst in den Schwarzwald getrieben. (…)
Der Handel mit Vieh, namentlich auch mit gemästeten Rindern und Ochsen, ist sehr beträchtlich und wird nicht nur auf benachbarten Märkten, sondern auch in das Großherzogthum Baden lebhaft betrieben. Butter kommt sehr viel zum Verkauf, und ist, wie das Vieh, bei der diesem zukommenden guten Fütterung sehr gesucht. (…)
Auf der Markung befinden sich viele Erdfälle, von denen ein im tiefen Schlipf gelegener, das Pommerlesloch genannt, zu einer in dem Muschelkalk befindlichen Höhle führt. (…)
Mötzingen kommt erstmals im Jahre 1100 vor, als Adalbert von Salzstetten das Kloster Hirschau mit der hiesigen Kirche und einem Gute begabte. (…) Auch dieser Ort mag in ältester Zeit unter Ahnherrn der Tübinger Pfalzgrafen gestanden haben; im 13. Jahrhundert waren bereits die Grafen von Hohenberg auch hier, wie sonst in benachbarten Tübinger Besitz eingerückt.
Die Vogtei über den Ort selbst besaßen in früher Zeit gleichfalls gräflich hohenbergische Dienstmannen, die Böcklin von Böcklinsau; … Noch mehrere Jahrzehende nachher treffen wir die Familie der Böcklin vom Eutinger Thal als Inhaber der Vogtei und in Verhandlungen wegen hiesigen Besitzes. Bereits im 14. Jahrhundert hatten indeß die Herren von Ehingen an hiesiger Vogtei Antheil und 1455 hatte sie Diepold von Ehingen allein. Im 15. Jahrhundert war sie an Engelbrecht von Rodenstein gekommen, von dessen Kindern (…) der Bischof Markward von Speier (1560–1581) Schloß und Dorf Mötzingen mit allen Zugehörungen, Gerichtsbarkeit und Herrlichkeit am 6. Juni 1580 für 12.000 fl. erkaufte. … Aber schon am 13. Febr. 1581 veräußerte der Bischof diese Erwerbung um den Ankaufspreis wieder an den Herzog Ludwig von Württemberg. (…)
Das Rittergut gehörte zum ritterschaftlichen Kanton Neckarschwarzwald. (…) Bald nach dem Ankauf Mötzingens verlieh Herzog Ludwig Schloß und zugehörigen Hof, Garten und Scheunen …. an seinen Obervogt in Herrenberg, Burckhard von Anweil, † 1593 (…); Der letzte Herr von Anweil, Eberhard Friedrich († am 17. März 1664), ließ dies Gut, vieler darauf haftender Schulden halber, noch bei Lebzeiten heimfallen, worauf Herzog Eberhard III. im Jahre 1663 seinen (des Herzogs) Rath und französischen Sprachlehrer Du May (Tochtermann Joh. Albrechts von Anweil) und dessen Nachkommen beiderlei Geschlechts damit belehnte (…). Die Erben Du Mays verkauften es im Jahre 1686 für 5650 fl.4 an die herzogliche Rentkammer, von der es, bedeutend an Ausdehnung und Rechten verringert und auf Schloß, Burggarten, 41 Morgen umsteinter Markung und Waldung und drei Morgen Ackerfelds reducirt, doch als adeliges Gut den 30. März 1692 an den Dragonerobersten und Obervogt zu Nagold etc., Karl Friedlich Carolin von Sommaripa, für 1500 fl. veräußert wurde. Im Jahre 1715 kaufte Schloß nebst Zugehörungen Georg Sigfried von Leininger von der hinterlassenen Wittwe Sommaripa’s und deren zweitem Gemahl, Oberstwachtmeister von Rudolphi, Obervogt zu Herrenberg und Sulz, und lebte hier von 1715 bis zu seinem Tode den 11. Oct. 1741, worauf es auf seinen Schwiegersohn Christian Heinrich von Göllnitz, württ. Regierungsrath und Hofgerichtsassessor († 1770), sich vererbte. Am Ende kam es in bürgerliche Hände, zwischen hinein wieder, nach dem Anfang dieses Jahrhunderts in die der Gattin des württemb. Staatsministers Grafen von Normann-Ehrenfels, welche das Schloß mit dem anstoßenden vier Morgen großen Garten an einen Ortsbürger verkaufte.
Die hiesige Kirche, welche, wie bereits erwähnt, dem Kloster Hirschau geschenkt worden war, verkaufte dieses im Jahre 1265 an Eberhard von Horb, Canonicus in Sindelfingen, und seinen Bruder Dieterich; nachher kam sie an die Böcklin von Böcklinsau, hierauf Kirche, Fronhof und Kirchensatz an das Stift Herrenberg zu Zeiten des Probstes Spenlin (1445–65); es hatte dieses Stift überhaupt die jurisdictio ecclesiastica und ließ solche durch seine Stiftsherren versehen.
Durch die Reformation gelangte der ganze Kirchensatz, das jus patronatus und advocatiae an das Haus Württemberg und steht jetzt der Krone zu.
Alte Scheunen in Mötzingen (Bild: S.Kittelberger)
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt.
Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Mötzingen.
Referenz
↑1 | 1 Ruthe = 16 Fuß oder Schuh = 4,58 m |
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↑2 | Burkhardt von Anweil, Hofrichter und Obervogt zu Herrenberg, ließ das Schloß in den 1580ger Jahren durch Heinrich Schickard erbauen. |
↑3 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt. |
↑4 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |