Dagersheim in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1852
Dagersheim, evangelisches Pfarrdorf mit 1184 Einwohnern, worunter 11 der Pfarrei Dätzingen zugetheilte Katholiken.
Eine Stunde westlich von der Oberamtsstadt an der Landstraße von Stuttgart nach Calw liegt zu beiden Seiten der Schwippe ziemlich uneben der meist aus alten unregelmäßig gebauten Häusern bestehende minder schöne Ort. Die Straßen sind enge, übrigens gut im Stande; und gesundes Trinkwasser, welches aber nur aus Pump- und Ziehbrunnen gewonnen wird, ist hinreichend vorhanden. Da das Schwippethal hier noch nicht so tief eingeschnitten ist, daß die Thalwände dem Ort den nöthigen Schutz gegen rauhe Winde gewähren könnten, und zudem sich das Thal gegen Nordosten öffnet, so ist die Luft etwas rauh und wegen der Nähe der moorigen Thalgründe häufig feucht und nebelig. Die Nächte sind daher auch im Sommer kühl und Frühlingsfröste häufig. (…) Die beinahe mitten im Ort gelegene, in einfachem germanischen (gothischen) Style gehaltene Pfarrkirche hat viel Ansprechendes und gehört zu den gefälligsten des Bezirks. (…) Im Innern ist die Kirche hell und geräumig; das Chor mit seinem schön zusammengesetzten Netzgewölbe, an welchem die ehemalige Malerei unter der, der ganzen Kirche gewordenen weißen Tünchung, noch durchschimmert, hat eine wirklich schöne Construktion. (…) Der viereckige Thurm mit 6 Fuß dicken Mauern, ein monströses, schmuckloses Bauwesen, das nur schutzschartenartige Lichtöffnungen und an der Südseite 20 Fuß über der Erdfläche einen Eingang hat, trägt ein später aufgesetztes, gelb angestrichenes Stockwerk, das Glockenhaus, mit einem an beiden Giebeln abgestutzten Satteldach, das mit dem übrigen Bauwesen auf das Unangenehmste contrastiert. Der Thurm hatte nie einen steinernen Einbau, sondern nur an den Innenseiten Absätze, auf welche Holzböden gelegt werden konnten und erinnert lebhaft an einen sogenannten Mantel. Aus diesem geht hervor, daß derselbe früher in Verbindung mit dem ummauerten Kirchhof auch zum Schutze und zur Verteidigung der Einwohner diente. (…) Nach einer im Innern der Kirche angebrachten Inschrift wurde dieselbe 1491 erbaut und 1827 renovirt; mit der Erbauungszahl stimmt die Bauweise der Kirche überein, der Thurm aber scheint weit älter zu seyn und ist ohne Zweifel noch von der früheren Kirche, die auf der Stelle der gegenwärtigen stand, übrig geblieben. Das Eigenthum und die Unterhaltung der Kirche steht dem Heiligen zu, der übrigens wegen Vermögenlosigkeit von der Gemeinde unterstützt werden muß.
Der Begräbnißplatz lag früher um der Kirche, ist aber schon vor langer Zeit an das östliche Ende des Orts verlegt und 1831 namhaft erweitert worden. Das gut eingerichtete Pfarrhaus, welches von dem Staat und der Universität Tübingen gemeinschaftlich unterhalten werden muß, liegt gesund und angenehm an der Landstraße. Es wurde 1791 von der Universität Tübingen erbaut und gibt mit dem Oeconomiegebäude und dem Garten, das freundliche Bild eines geschlossenen Pfarrhofes. Das Schulhaus mit Lehrerwohnung ist 1812 erbaut und 1833 vergrößert worden. An der Schule unterrichten 1 Lehrer und 1 Lehrgehilfe. Den Winter über besteht eine Industrieschule. An der steinernen Brücke, welche im Ort über die Schwippe führt, steht von allen Seiten frei, das 1803 erbaute, wohl erhaltene Rathaus. (…)
Die im Allgemeinen nicht unbemittelten Einwohner sind fleißig, sparsam und haben viel Sinn für Religion, der aber nicht selten in eine überspannte Stimmung ausartete. Ihre Hauptnahrungsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht; ersterer wird mit vieler Umsicht betrieben und steht auf einer blühenden Stufe, wozu die beinahe ebene Lage der Felder und der fruchtbare Boden, bestehend aus einem tiefgrundigen Diluviallehm, viel beitragen. (…) Im üblichen Dreifeldersystem baut man besonders Dinkel, Hafer, Gerste, weniger Roggen und Weizen. (…) In der Brache, …, zieht man Kartoffeln, Kraut, Futterkräuter, wenig Flachs und ziemlich viel Hanf. Letzterer wird im Ort versponnen und zu Tuch gewoben, welches theilweise nach Außen zum Verkauf kommt. (…) Eine gegenwärtig bewaldete Halde in der Nähe der Bärenklinge wird „im Wengertsberg“ (Weingartenberg) genannt, was auf früheren Weinbau schließen läßt. Wegen der rauhen Winde und der häufigen Frühlingsfröste geräth das Obst selten, die Obstzucht ist daher unbedeutend und beschränkt sich nur auf die gewöhnlichen Mostsorten. (…)
Die Gewerbe dienen meist dem örtlichen Bedürfniß mit Ausnahme einiger Seiler, die ihre sehr gesuchten Waaren nach Stuttgart, Reutlingen, Tübingen etc. absetzen und mehrere Zeuglesweber, welche nach Böblingen und Plieningen arbeiten. Ein Damastweber verfertigt schöne Arbeit auf Bestellung. Am östlichen Ende des Orts stehen 2 Mühlen jede mit 2 Mahlgängen, außer diesen befinden sich noch 4 Schildwirthschaften, worunter eine mit Brauerei, sowie eine selbstständige Brauerei im Ort. Ein Viehhändler handelt mit Mastochsen und Schafen nach Frankreich. (…)
Der Name des Orts kommt ohne Zweifel von dem altdeutschen Mannsnamen Dagram her.
Ursprünglich zur Grafschaft Calw gehörend kam Dagersheim im dreizehnten Jahrhundert an die Pfalzgrafen von Tübingen.( …) 1334 Febr. 23 erhielt bei der Theilung zwischen den Grafen Conrad und Rudolph von Tübingen der erstere die Leute zu Dagersheim und Darmsheim. Böblingens Schicksale theilend, kam Dagersheim mit diesem an Württemberg.
Die erstmalige Nennung des Ortes steht im Hirschauer Codex, worin eine um 1120 geschriebene Urkunde ausgezogen wird. (…) Der Kirchensatz war im dreizehnten Jahrhundert pfalzgräflich tübingisch; (…) Von den Herren von Mönsheim erkaufte solchen im Jahr 1339 Nov. 29. Walther von Urbach, welcher ihn schon im Jahr 1342 Sept. 12. an Stift Sindelfingen veräußerte. Mit diesem Stift, welchem im Jahr 1350 die Kirche einverleibt worden war, kam diese im Jahr 1484 an die Universität Tübingen. (…)
Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850.
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Beschreibung von Dagersheim.