Breitenstein in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1852
„Das Treiben der Neuzeit hat bei ihnen noch wenig Eingang gefunden“
Autor: Karl Eduard Paulus
Breitenstein, ein Dorf mit 356 evangel. Einwohnern, welches 2 Stunden südöstlich von der Oberamtsstadt und ½ Stunde nordwestlich von seinem Mutterort, Weil im Schönbuch, in einem Seitenthälchen des Happachthals liegt. Die Gebäude des freundlichen, reinlichen, mit gekandelten Straßen versehenen Orts sind zum Theil ansehnlich und Wohlhabenheit verrathend. Von der Südseite aus gesehen, gewährt das hinter Obstbäumen versteckte Dorf mit seinem freundlichen Kirchlein eine malerische Ansicht. Vier laufende Brunnen liefern hinreichend gutes Quellwasser und der Wettebach fließt der Länge nach durch das Dorf.
Die hübsche Kirche, welche der ummauerte Begräbnißplatz umgibt, wird von der Stiftungspflege und der Gemeinde gemeinschaftlich unterhalten und liegt am westlichen Ende des Orts. Sie wurde an der Stelle einer früheren Kapelle im Jahr 1488 im gothischen Style erbaut. (…) Das Innere ist freundlich und geräumig, übrigens nicht besonders hell. (…) Auf dem östlichen Giebel sitzt das viereckige, oben achteckige Thürmchen mit einem Zeltdache (ein sogenannter Dachreiter), in welchem 2 Glocken hängen. (…) Die beinahe in der Mitte des Orts gelegene Schule mit Lehrerwohnungen und mit der Rathsstube wurde 1837 bedeutend erweitert und befindet sich gegenwärtig in gutem Zustande. An der Schule unterrichtet ein Lehrer.
Die im allgemeinen ziemlich bemittelten Einwohner erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit und sind seit Mannsgedenken von epidemischen Krankheiten verschont geblieben. Ihr Charakter ist bieder, offen, dabei sind sie sparsam, fleißig und sowohl in Sitten als in ihrer Kleidung einfach. Das Treiben der Neuzeit hat bei ihnen noch wenig Eingang gefunden, was mitunter von der Abgelegenheit des Orts, den keine frequente Straße berührt, herrühren mag. Die Hauptnahrungsquelle besteht in Feldbau, der mit vielem Eifer betrieben wird.(…)
Die Luft ist rein, die Nächte meist kühl und dennoch kommen Frühlingsfröste selten vor, ebenso Gewitter mit Hagelschlag, welche im nahe gelegenen Schönbuch einen Ableiter finden. In Vergleichung mit dem Strohgäu tritt die Ernte ungefähr 8 Tage später ein, die dann gegenüber der Nachbarorte etwas geringer ausfällt. Im System der Dreifelderwirthschaft werden die gewöhnlichen Getreidearten gebaut, von denen der sogenannte Vögelesdinkel besonders zu erwähnen ist. (…) Von den Feldprodukten werden Dinkel und Hafer in der Nachbarschaft abgesetzt; Hanf, der übrigens nur mittelmäßig ausfällt, kommt zum Theil auf Jahrmärkte nach Tübingen und Reutlingen. (…) An einer südlichen Halde wird etwas Weinbau getrieben, der sich hauptsächlich mit Affenthalern, Silvanern und in neuester Zeit mit Klevnern und Krachmost-Gutedel beschäftigt. Das Erzeugniß, welches mit geringer Ausnahme im Orte selbst consumiert wird, gehört zu den mittelmäßigen. (…) Die Rindviehzucht beschäftigt sich in ziemlicher Ausdehnung meist mit einer tüchtigen Landrace, welche durch gute Farren stets erhalten und sogar noch verbessert wird. Es wird ziemlich Vieh auf benachbarten Märkten abgesetzt. … Schweine werden gemästet und häufig auswärts verkauft. Die Zucht der Gänse und Hühner ist nicht unbedeutend. Die Gewerbe dienen mit Ausnahme der Weber nur dem örtlichen Bedürfnis. Im Ort befindet sich 1 Schildwirthschaft und 1 Krämer. (…)
Die Gemeinde ist im Besitz von 70 Morgen Laubwald und 84 Morgen Nadelwald, unter diesen sind 90 Morgen begriffen, welche sie im Jahr 1841 für eine Schönbuchsgerechtsame vom Staate erhielt. (…) Nach einer noch von dem Kloster Bebenhausen herrührenden Stiftung erhalten die Ortsarmen jährlich 1248 Pfund Brod; von einer weiteren 291 fl. betragenden Stiftung werden die jährlichen Zinsen ebenfalls in Brod verwandelt und an Unbemittelte abgegeben. Außer diesen sind noch einige Schulstiftungen zu Büchern und Papier vorhanden.
Groß- und Kleinzehentherr ist der Staat mit Ausnahme eines kleinen Distriktes, von welchem letzteren die Stiftungspflege bezieht. Auch der Heuzehente gehört noch der Staatsfinanzverwaltung. – Breitenstein erhielt erst 1823 eine selbstständige Gemeindeverwaltung, früher war es eine Parzelle von Weil im Schönbuch, wohin es kirchlich noch gehört.
Etwa 1/8 Stunde südöstlich vom Ort befindet sich eine 3/8 Morgen große Wiese, die in alten Güterbüchern unter dem Namen „Breitensteinle“ vorkommt, hier soll nach der Volkssage die Burg der Herren von Breitenstein, von denen auch der Ort seinen Namen erhielt, gestanden haben. (…)
Breitenstein war ein Ort der Pfalzgrafschaft Tübingen und seine Herren waren Lehensträger der Pfalzgrafen, sie bildeten einen Zweig des Geschlechts der Herren von Gerlingen, mit welchen sie das gleiche Wappen führten (s. Altdorf). (…)
Das Kloster Bebenhausen, welchem der Ort zuletzt gehörte, und mit welchem er an Württemberg gelangte, machte hier Hauptkäufe in den Jahren 1358 – 1387 von den Herren von Breitenstein, auch von Wolf von Thailfingen; es verlieh Höfe in den Jahren 1402, 1403, 1412 etc.
Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850.
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Breitenstein.