Flacht in der Beschreibung des Leonberger Oberamts von 1852
„… viele gehören dem strengen Pietismus an“
Autor: Karl Eduard Paulus
Flacht, Gemeinde III. Kl. Mit 876 Einw. a. Flacht Pfarrd., 850 Einw. b. Ziegelhütte, 22 Einw. c. Mühle, 4 Einw. – Ev. Pfarrei.
In dem ziemlich tief eingeschnitten Thale des Strudelbachs liegt 2¼ Stunde nordwestlich von der Oberamtsstadt der unregelmäßig gebaute, nicht große Ort. Die Gebäude, welche meist alt und unansehnlich sind, liegen theils in der Thalebene, zum größeren Theil aber an den steilen Thalgehängen hinaufgebaut. Gutes Trinkwasser spenden in reichlicher Fülle 3 laufende Brunnen; überdieß fließt noch der in der Nähe entspringende Strudelbach mitten durch den Ort, an dessen südlichem Ende sich auch ein kleiner See befindet.
Die Pfarrkirche, welche die Stiftungspflege zu unterhalten hat, liegt beinahe mitten im Ort ziemlich erhöht am Thalabhange; das Gebäude ist durch ovale und oblonge Lichtöffnungen, welche später eingebrochen wurden, ganz entstellt und hat weder am Aeußeren noch im Innern etwas Bemerkenswerthes. Der viereckige, unten massive, gegen oben hölzerne Thurm ragt nur mit seinem Zeltdach über den First hervor; sein unteres Stockwerk mit spitzbogigen Fenstern versieht die Stelle des Chors, der wie das Langhaus nur flach getäfelt ist. Von den auf dem Thurme hängenden zwei Glocken ist die größere 1509, die kleinere 1746 gegossen. Der frühere Begräbnisplatz, um die Kirche gelegen, wird gegenwärtig als Baumschule benützt; er ist mit einer festen, zum Theil mit einem Umlauf versehenen Mauer umgeben. Im Jahr 1833 wurde statt desselben ein Gottesacker außerhalb des Orts an der Straße nach Rutesheim mit einem Aufwand von 900 fl. angelegt.
Das Pfarrhaus, dessen Unterhaltung dem Staat zusteht, liegt frei und angenehm in der Nähe der Kirche; es wurde 1820 verändert. Zunächst der Kirche, an die Kirchhofmauer anstoßend, steht das Schulhaus mit Lehrerwohnung, ein altes Gebäude, das 1824 erweitert wurde, aber wie das Rathhaus nicht im besten baulichen Zustand sich befindet. An der Schule unterrichten 1 Lehrer und 1 Lehrgehilfe; Eine Industrieschule besteht seit 1833, ein Gemeindebackhaus seit 1844 und ein Gemeindewaschhaus seit etwa 15 Jahren. …
Die Einwohner sind fleißig, in der Mehrzahl aber arm und verschuldet; sie zeigen einen besonderen Hang zum Sektenwesen, viele gehören dem strengen Pietismus an und eine ziemlich große Anzahl bekennt sich zur Swedenborg’schen Lehre1. Die Erwerbsquellen der Einwohner sind Feldbau und Viehzucht. … Das Klima ist nicht gerade rauh, dennoch schaden Frühlingsfröste im Thale häufig und die Ernte tritt um vierzehn Tage später als im Strohgäu ein; Hagelschlag gehört zu den Seltenheiten. …
Der Ackerbau wird nach dem Dreifeldersystem ziemlich gut betrieben; verbesserte Pflüge finden übrigens wegen des steinigen Bodens weniger Eingang, als in anderen Orten, dagegen sind zweckmäßig angelegte Düngerstätten mit Güllenlöchern sehr häufig. Zur Besserung des Bodens wird außer dem gewöhnlichen Stalldünger die Jauche, der Pferch, etwas Gyps und Compost angewendet. Von den gewöhnlichen Getreide-Arten baut man besonders viel Dinkel und Hafer, weniger Gerste, Einkorn, Roggen, Weizen und außer diesem noch Ackerbohnen. In der zu 1/3 angeblümten Brache werden Kartoffeln, meistens aber Futterkräuter gebaut, welche gut gedeihen und deren Anbau wegen Mangels an Wiesen nothwendig wird; von Handelsgewächsen zieht man Mohn und Hanf. …
Früher wurde auch Weinbau auf der Markung getrieben, den man übrigens schon seit etwa 100 Jahren völlig abgehen ließ. …
Als bedeutende Gewerbe sind die unterhalb des Orts liegende Mahlmühle mit 2 Mahlgängen und 1 Gerbgang, sowie die Ziegelhütte zu nennen, welche ½ Stunde südlich vom Ort an der Straße nach Perouse gelegen ist; die übrigen Gewerbe beschränken sich auf die nöthigsten Handwerker. Im Ort befinden sich 2 Schildwirthschaften2…
Das Gemeinde- und Stiftungsvermögen ist nicht unerheblich; die Gemeinschaftspflege hat zwar Schulden, braucht aber keinen Gemeindeschaden umzulegen. Eine Stiftung von 200 fl3 deren jährliche Zinse zu Brod für Arme verwendet werden, ist vorhanden. …
Die älteste Beschreibung ist Vlaht, wie der Ort in einer Kloster Maulbronner Urkunde vom 11. März 1293 heißt, worin er erstmals genannt wird, oder Flahte.
In frühester Zeit gehörte Flacht wohl den Grafen von Calw und insbesondere der Vaihinger Linie derselben. Urkundliches ist hierüber nichts bekannt und seit er in die Geschichte eintritt, theilten sich in den Besitz schon andere Familien, namentlich in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts Graf Ulrich von Helfenstein, ferner Graf Albrecht von Hohenberg und dessen Rechtsnachfolger Graf Eberhard von Tübingen; …
Das Kloster Maulbronn, …, gelangte nach und nach in den Besitz des Ortes. … Im Jahr 1513 erfolgte die Incorporation4 der Kirche an das Kloster Maulbronn. Württembergisch geworden ist das Dorf mit dem ebengenannten Kloster.
Erstveröffentlichung: Beschreibung des Oberamts Leonberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart, J. B. Müller’s Verlagshandlung, 1852.
Der Text wurde gekürzt.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 30. Band erschien 1852 die Beschreibung des Oberamts Leonberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Flacht.
Referenz
↑1 | Emanuel v. Swedenborg (1688-1772), schwed. Naturforscher und Theosoph |
---|---|
↑2 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt., 2 Krämer und 4 Branntweinbrennereien. |
↑3 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
↑4 | Mit „Inkorporation“ (“ Einverleibung“ ) wird jener Vorgang bezeichnet, der eine Pfarrkirche einer geistlichen Institution, z.B. einem Kloster unterstellt. Die Einkünfte der Pfarrei gehen an die inkorporierende Institution über, die nun auch die Seelsorge organisiert. |