Tailfingen in der Herrenberger Oberamtsbeschreibung von 1855
„Das Rathaus ist alt, unansehnlich und einer Reparatur sehr bedürftig“
Autor: Eduard Paulus
Thailfingen, Gemeinde III. Klasse mit 672 evang. Einw., – Ev Pfarrei mit dem Filial-Ort Nebringen
Der nicht große, beinahe ein Dreieck bildende Ort liegt 5/4 Stunden südlich von Herrenberg auf einem ziemlich schmalen Bergrückenausläufer, der gegen Norden steil gegen das Thal des Thürnengrabens, gegen Süden aber mit mäßiger Neigung abfällt; daher das Dorf, von der nördlichen Seite gesehen, namhaft hoch gelegen erscheint und eine freundliche, malerische Ansicht gewährt. … Der Ort selbst besteht mit Ausnahme einiger wohlhäbig aussehenden Bauernwohnungen aus meist alten, minder ansehnlichen Häusern. … Die ziemlich reinlich gehaltenen Ortsstraßen sind nicht gekandelt, ebenso sind die Düngerstätten noch nach alter Weise angelegt, jedoch durchgängig mit Gülleneinrichtungen versehen. Beinahe in der Mitte des Orts steht die 1469 in einfachem germanischen1 Styl erbaute Pfarrkirche, welche übrigens in den Jahren 1699 und 1817 stylwidrige Veränderungen erlitten hat. (…)
Zunächst der Kirche steht das ansehnliche, von der k. Hofdomänenkammer zu erhaltende Pfarrhaus, welches 1614 von Heinrich Schickhardt erbaut wurde. Das zugleich die Lehrerwohnung enthaltende Schulhaus wurde in den letzen zwanzig Jahren namhaft verändert und verbessert; an der Volksschule ist ein Schulmeister mit einem Lehrgehülfen eingestellt, auch besteht seit 1850 eine Industrieschule mit gutem Erfolg unter Mitwirkung der Gattin des dermaligen Pfarrers Dürr. Das Rathhaus ist alt unansehnlich und einer Reparatur sehr bedürftig.2 Ein Gemeindebackhaus wurde vor zehn Jahren errichtet, und ein öffentliches Waschhaus besteht schon längst; zwei Zehentscheuern, von denen die eine der Hofdomänenkammer, die andere dem Spital in Tübingen gehörte, sind im Jahre 1850 in Folge der Zehentablösung an einige Ortsbürger verkauft worden.
Ein laufender und sieben Pump- und Ziehbrunnen liefern das ganze Jahr hindurch vortreffliches Trinkwasser; auf den Fall von Feuersgefahr sind zwei Wetten angelegt. (…)
Die Einwohner sind im Allgemeinen ein wohl gebauter, kräftiger Menschenschlag, und verbinden mit großem Fleiß viel Sparsamkeit und Religiosität, die übrigens nicht selten in einen strengen Pietismus übergeht. Ihre Vermögensumstände sind sehr erfreulich und geordnet, so dass seit vierzig Jahren nicht ein einziger Gant3 in der Gemeinde vorkam; Das Grundeigentum des vermöglichsten Güterbesitzers beträgt 120 Morgen Aecker und 10 Morgen4 Wiesen.
Die klimatischen und Bodenverhältnisse sind äußerst günstig; die Luft ist rein und mild, und die mittelgroße, meist ebene, nur von einigen Thälchen durchzogene Markung,…, hat durchgängig einen sehr fruchtbaren, tiefgründigen, aus Diluviallehm bestehenden Boden, so daß ohne besonders starke Düngung alle Feldfrüchte, Obst, Bohnen, Gurken etc. vorzüglich gedeihen. (…) Unter den angeführten örtlichen Verhältnissen hat sich die Landwirtschaft auf eine blühende Stufe erhoben, auch haben zweckmäßige landwirthschaftliche Neuerungen, …, Eingang gefunden. (…)
Nach der Dreifeldereintheilung baut man hauptsächlich Dinkel und wenig Roggen, sodann Hafer, Gerste, Wicken, unter dem Hafer werden häufig Ackerbohnen und unter der Gerste Linsen gezogen. In der zu 1/4 angeblümten Brache zieht man Kartoffeln, Futterkräuter, besonders rothen Klee, etwas Ackerbohnen, Kohlraben, Kraut, ziemlich viel Reps und Hanf, letzteren übrigens meist in eigenen Ländern. … Die noch im Zunehmen begriffene Obstzucht beschäftigt sich nicht nur mit Mostsorten, sondern auch mit Tafelobst; (…)
Von Gewerben im Ort sind nur vier Schildwirtschaften und zwei Kramläden zu nennen.
Außer zwei Muschelkalksteinbrüchen, welche Straßenmaterial liefern, sind noch zwei Lehmgruben vorhanden. (…)
Der Ortsname ist abzuleiten von dem altdeutschen Mannsnamen Tagolf, Dagolf. Seine erstmalige Nennung fällt ins Jahr 1120.5(…) Im Jahre 1267 erscheint als Ortsadeliger Otto von „Talvingen“, welcher … hiesige Güter an das Kloster Bebenhausen verkaufte. (…) Württemberg kam nach und nach in den Besitz des Dorfes. (…) Das Dorf wurde dem Amte Herrenberg zugeteilt. (…) Im Mai 1672 und im März 1682 ward das Dorf durch schweres Brandunglück heimgesucht.
„Gruß aus Thailfingen“ aus der Zeit um 1900. Die Kirche in eleganter Jugendstilumrahmung (Rathaus in Tailfingen (Bild: S. Kittelberger)
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.Der Text wurde gekürzt.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Bis heute sind diese Beschreibungen eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt.
Als 34. Band erschien 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Auf dem Internet-Portal WIKISOURCE können Sie diese bereits vollständig abrufen. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Tailingen.
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.
Der Text wurde gekürzt.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Bis heute sind diese Beschreibungen eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt.
Als 34. Band erschien 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Auf dem Internet-Portal WIKISOURCE können Sie diese bereits vollständig abrufen. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Tailingen.
Referenz
↑1 | germanisch“ im damaligen Sprachgebrauch Synonym für „gotisch“ |
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↑2 | Kurz darauf entstand an der Durchgangsstraße ein kleiner, „städtischer“ Neubau aus Sandstein |
↑3 | Zwangsversteigerung infolge von Zahlungsunfähigkeit |
↑4 | 1 Morgen = 31,52 Ar |
↑5 | Die erste urkundliche Erwähnung Tailfingens wird heute auf den 18. Februar 1085 datiert |