Extraausgabe des Böblinger Boten vom 21. August 1907 zum großen Brand in Darmsheim. (Quelle: Stadtarchiv Sindelfingen)
In dem benachbarten Darmsheim ist heute Nachmittag kurz nach ½ 2 Uhr in dem Hause des Karl Buck Feuer ausgebrochen, das bei der gegenwärtigen Trockenheit mit rasender Schnelligkeit sich ausdehnte, so daß in einigen Stunden zirka 65 70 Wohn- und Oekonomiegebäude ein Raub der Flammen wurden. Ungefähr 58 Familien haben in der kurzen Zeit Hab und Gut verloren. Das Rathaus und die Kirche waren in sehr großer Gefahr und musste alles daran gesetzt werden, um solche zu retten. Der Kirchturm hatte bereits Feuer gefangen, und dem überaus tatkräftigen Eingreifen der Feuerwehren ist es zu verdanken, dass das verheerende Element sich nicht auch auf den oberen Teil des Orts verbreitete. Unter anderen Gebäuden brannte auch das Pfarrhaus, das Gasthaus zum Adler, das Gebäude der Postagentur von Kaufmann Briegel ab. Auch die Gebäulichkeiten von Schultheiß Luz wurden zerstört. Auf dem Brandplatz waren nach kurzer Zeit erschienen: Die Feuerwehren von Böblingen, Dagersheim, Aidlingen, Döffingen, Ehningen, Sindelfingen u. Maichingen. Durch die fortwährend steigernde Gefahr wurde auf Anordnung des Kgl. Oberamts beim Kgl. Ministerium um die Hilfe der Stuttgarter Berufsfeuerwehr nachgesucht, von welcher kurz nach 6 Uhr ein Zug mit 14 Mann von der Hauptfeuerwache auf dem Brandplatz erschien. Unter der zielbewußten Leitung des Branddirektors Jakoby und des Brandmeisters Müller wurde sofort mit der Dampffeuerspritze energisch eingegriffen und einem weiteren, höchst wahrscheinlich unausbleiblich gewesenen Umsichgreifen des Feuers Einhalt getan. Leider fehlte es anfänglich an Wasser, welchem Uebelstand dann durch die Oeffnung des Unteren Sees in Böblingen abgeholfen wurde. Durch den herrschenden Wind entstand so starkes Flugfeuer, so daß sich anfänglich die Feuerwehren nur darauf beschränken konnten, das Feuer auf seinen Herd einzudämmen. Auf dem Brandplatz erschienen im Lauf des Abends Herr Regierungsdirektor von Doll und Gemeinderat Dr. Rettich von Stuttgart. Die Brandstätte bietet ein Bild trostloser Verwüstung und den Besuchern derselben bot sich bei der Wanderung von Dagersheim her ein entsetzliches Bild, das durch die scheinende, blutrote Abendsonne noch erheblicher kontrastiert wurde. Auf den Wiesen lagert Mobiliar aller Art und die betroffenen Familien scharen sich unter Weinen und Klagen um ihre noch geretteten, geringen Habseligkeiten. Der Jammer der Unglücklichen ist entsetzlich, sie wissen nicht, was in Zukunft werden soll. Ein wirres Durcheinander begegnet dem Beschauer mit jedem Schritt. Beinahe das ganze Dorf hatte ausgeräumt und flüchtete sich teils auf die Felder und in die nahe liegenden Gärten des Ortes. Gegen Abend, als die größte Gefahr beseitigt war, sah man, wie sich die Unglücklichen anschickten, irgendwo Unterkunft zu finden. Alle Augenblicke sieht man einen vom Brandunglück Betroffenen mit einem Stück Vieh oder irgend einem Mobiliarstück traurig daherkommen. Zum Teil schicken sich Leute an, ihre Habseligkeiten auf Wagen zu verladen, um bei Angehörigen in der nächsten Umgebung für die nächste Zeit unterzubringen. Eine große Anzahl Radfahrer, Automobilisten und Fußgänger nähern sich dem Brandplatze. Unzählige Wasserfälle werden von dem benachbarten Dagersheim herbeigeführt, um dadurch zur Dämmung des Feuers beizutragen. Bei Einbruch der Dunkelheit war das Bild der Zerstörung noch größer u. wenn man einen Gang durch die Trümmerstätte macht, so überkommt einen unwillkürlich eine Stimmung, die sich nicht in Worte fassen läßt. Hier wird eine Seitenwand von einem Hause eingestoßen, dort wieder schreitet man durch Reihen der Unglücklichen, die vor Jammer und Schmerz kaum zu sprechen vermögen. Wieder an einem Ort begegnet man der ernstlichen Tätigkeit der Feuerwehren, welche sich opferwillig in den Dienst der Nächstenliebe stellen. Glücklicherweise sind Menschenleben nicht zu beklagen, und die Wirkungen und der Schaden des Brandes lassen sich vorläufig noch gar nicht übersehen. Die Gemeinde bietet ein Bild voll Jammer und Elend. Viele Familien sind obdach- und besitzlos geworden, und was an Hausrat sich zusammen raffen ließ, liegt zum Teil wirr durcheinander. Leider sind von den Abgebrannten verschiedene nicht und andere nur ungenügend versichert. Bis spät in die Nacht hinein wogte auf der Straße nach und von dem Brandplatz eine unzählige Menschenmenge. In dem wirren Durcheinander ließen sich Einzelheiten vorläufig noch nicht feststellen, doch wird der Schaden an Gebäuden und Mobiliar ein sehr großer sein, da auch die Scheunen teilweise schon mit Erntevorräten gefüllt waren. Die Ursache des Brandes kann zur Stunde noch nicht mit Sicherheit angegeben werden, doch hört man da und dort, daß das Feuer durch Kinder entstanden sein soll. auch hier wie in Ilsfeld und Binsdorf wird staatliche Hilfe notwendig sein und wäre es sehr zu wünschen, wenn auch private Tätigkeit sofort einsetzen würde. In dieser dringenden Not wird sich wohl der wohltätige Opfersinn der württembergischen Bevölkerung betätigen und angebracht dürfte auch hier sein: Wer schnell gibt, gibt doppelt. Jede Gabe ist willkommen. Ein jeder hat die moralische Pflicht, so große Not, so großes Elend nach seinen Kräften zu lindern. Die erste Frage wird nun sein, auf welche Weise kann den Abgebrannten am schnellsten geholfen werden und ist auch hier, wie bei den letzten großen Brandfällen anzunehmen, daß Baracken errichtet werden, wo nach vorläufiger Schätzung die zirka 60 obdachlosen Familien Unterkunft finden.
Die ganze Nacht hindurch wurden die Löscharbeiten fortgesetzt. Um ¼ 11 Uhr mußte die Berufsfeuerwehr bei solchen an dem in unmittelbarer Nähe der Brandstätte befindlichen Kirchturm eingreifen, welcher schon mittags stark gefährdet war.
Ein Kind des Bauern Strohm, welcher auch abgebrannt ist, wird leider vermißt, ob es in den Flammen umgekommen ist, muß erst festgestellt werden.