Das Jahr 1848 in Sindelfingen:
Die Bürgerwehr – Ein Schritt zur Demokratisierung
Autorin: Barbara Otto
Neben zahlreichen politischen Forderungen gehörte auch die Volksbewaffnung zu dem Demokratisierungsprozeß der Revolution. Das stehende Heer, das als Machtinstrument der Fürsten diente, wurde durch die Bewaffnung der Bürger abgelöst. In Sindelfingen bestand bereits 1835 eine Bürgergarde, der zunächst 40 Mann angehörten, die jedoch bis zum Jahre 1847 auf nur noch 6 Männer zusammengeschrumpft war.
Aufgrund der Teuerungen und Mißernten wuchs die Unruhe unter der Bevölkerung, die sich in Krawallen und Tumulten entlud. So kam es in Ulm und Stuttgart beispielsweise zu sogenannten Brotkrawallen, bei denen hauptsächlich Kleinhandwerker, Fabrikarbeiter und Tagelöhner ihren Unmut über überteuerte Preise an Müllern und Bäckern z. T. in Form von Handgreiflichkeiten ausließen.
In Sindelfingen kam es zwar nicht zu Krawallen, jedoch wurde festgestellt, daß die Lage der unteren und mittleren Klassen der Bevölkerung drückend und einer umfassenden Hilfe bedürftig zu werden beginne. Es wurde eine bürgerliche Sicherheitswache organisiert, die aus 200 jüngeren Bürgern bestand. Zur Bewaffnung sollten sie Gewehre und Säbel des ehemaligen Schützenkorps bekommen. Stadtschultheiß Conz glaubt Mitte 1847, daß sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebessert haben, so daß auf die Sicherheitswachen wieder verzichtet wurde.
1848 schien im März der Einfall französischer Arbeiter nach Württemberg unmittelbar bevorzustehen. Gerüchten zufolge sollten die Arbeiter sich bereits in Calw befinden. Obwohl dies am 26. März dementiert wurde, hielt man eine Volksbewaffnung für dringend geboten. Am selben Tag noch bat der Stadtrat von Sindelfingen das Innenministerium um Waffen für die Bürger. Vom Ministerium wurden 80 Pistolen angeboten.
Am 1. April 1848 wurde von der Regierung ein Gesetz verabschiedet, das alle volljährigen, selbständigen, auf eigene Rechnung lebenden Staatsbürger bis zum 50. Lebensjahr zum Eintritt in die Bürgerwehr verpflichtete.
Der damit verbundene Aufwand musste aus eigenen Mitteln bestritten werden. Mit der Organisation von Bürgerwehren war eine weitere liberale Forderung erfüllt worden.
Die Begeisterung für diese Volksbewaffnung hielt sich jedoch vor allem auf dem Land in Grenzen. Die Kosten für die Bewaffnung und Bekleidung sowie die zeitlichen und finanziellen Einbußen durch Waffenübungen ließen die Abneigung gegenüber dem Bürgerwehrdienst steigen. In den Städten dagegen war die Bereitschaft größer, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und des Eigentums eine Bürgerwehr zu bilden.
Nach verschiedenen Versuchen in Sindelfingen zunächst eine Sicherheitswache zu organisieren, wurde am 18. April 1849 ein Komitee für die organisatorischen Vorbereitungen eingesetzt. Ihm gehörten die Stadträte Summ und I. F. Leonhart, die Bürgerausschussmitglieder C. A. Leonhart und Dreher Kopp, sowie die Bürger Palm, Sautter und Klein an. Dieses Komitee wählte die drei ehemaligen Soldaten Sautter, Zeh und Braun aus, die die Leitung des Exerzierens übernehmen sollten. Als Ort dieser Übungen wurde das Eichholz ausgewählt.
Die Ausrüstung der Bürgerwehr bereitete jedoch einige Probleme. Für die Bekleidung und Bewaffnung mussten die Bürger laut Gesetz selbst aufkommen, doch wollten die Kollegien die Staatsregierung statt der 80 Pistolen um ebenso viele Gewehre bitten. Zusätzlich sollen 2 Trommeln auf Stadtkosten angeschafft werden.
Ganz offensichtlich bereiteten den Bürgern von Sindelfingen die militärischen Anforderungen einige Schwierigkeiten. Noch Mitte Mai wurde Sindelfingen vom Oberamt zu den Städten gezählt, in denen die Einrichtung der Bürgerwehr noch nicht vollendet war. Im Juni stellte dann das Komitee seine Arbeit ein, so dass die Bildung der Bürgerwehr offensichtlich abgeschlossen war. Sie bestand aus 357 Wehrmännern, die in vier Kompanien und einem Bataillon eingeteilt waren. Die Übungen mussten jedoch noch immer ohne Waffen stattfinden, da die Finanzierung ungeklärt war.
An den Exerzierübungen nahm allerdings nur ein Teil der Wehrmänner teil, während sich der andere Teil weigerte. Diesen Zustand versuchte Stadtschultheiß Conz ohne das Oberamt einzuschalten, alleine zu beseitigen, was ihm jedoch nicht gelang. Es kam soweit, dass schließlich kein einziger Wehrmann mehr an Übungen teilnahm. Diese Vorgänge in Sindelfingen kamen schließlich sogar am 18. Juli 1848 im Böblinger Boten zur Sprache. In einem Leserbrief aus Sindelfingen wird festgestellt: Mancher trüge lieber fort und fort die Kette des Sclaven, als die Waffe des freien Mannes, blos weil er sie erst führen lernen muß. Der Zerfall der Bürgerwehr war in Sindelfingen im Verlauf des Jahres 1848 immer weiter fortgeschritten. Mit der Verkündigung der Grundrechte in Sindelfingen am 17. Februar 1849 entstanden wieder politische Aktivitäten. In deren Verlauf wurde erneut eine Bürgerwehr organisiert, die nächtliche Patrouillen durchführte. Mit dem Ende der Revolution durch die Auflösung der deutschen Nationalversammlung war auch die Notwendigkeit einer Bürgerwehr nicht mehr gegeben.
Stuttgarter Bürgerwehrmänner im Jahre 1844. (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Dieter Jäger. Signatur LMZ003531)
Erstveröffentlichung: Stadt im Umbruch – Sindelfingen vor 150 Jahren. Begleitheft zur Ausstellung im Stadtmuseum Sindelfingen vom 10.10. – 29.11.1998. Texte: Barbara Otto und Horst Zecha, herausgegeben vom Stadtarchiv Sindelfingen 1998, S. 24 - 28.
Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Sindelfingen.
Zu diesem Thema finden Sie in zeitreise bb auch den Text von Host Zecha, “Sindelfingen in den Revolutionsjahren 1848/49. Der 24. März 1848 – Sindelfinger lehren ihrer Obrigkeit das Fürchten“.