Die Burg Kalteneck in Holzgerlingen
Autor: Kurt Franke
Zu den ältesten Gemeinden des Kreises Böblingen zählt der Schönbuchort Holzgerlingen. Seine erste urkundliche Erwähnung geht auf das Jahr 1007 zurück, doch menschliche Spuren finden sich schon in der Mittleren Steinzeit. Auch die Kelten, Römer und Alamannen schätzten dieses Fleckchen Erde zu beiden Seiten der Aich, sicherten es auf ihre Art gegen äußere Feinde, erschlossen und bebauten es, ließen Erfahrungen zurück, die andere bewogen, das Begonnene weiterzuführen, zu verbessern, umzugestalten, auszubauen oder etwas Neues zu setzen.
Letzteres traf 1363 für das „Bürgle“, eine kleine Burg im Südostteil des Ortes zu. Ihr Aussehen ist nicht bekannt, von einem Wassergraben nirgendwo die Rede. Doch denkbar wäre ein solcher im Blick auf die heutige Wasserburg Kalteneck, dem ältesten Bauwerk des Dorfes, deren gotische Fundamente mit den Strebepfeilern dies fast beweisen. Vermutlich trug die Steinmauer schon seit der Zeit nach 1363 das Fachwerk des West- und Südflügels ohne Wehrturm und Bergfried, das 1623 baufällig gewesen sein muss. Wann und wer dann die erforderliche Sanierung vorgenommen hat, liegt im Dunkeln. Doch zeugt das damals aus Eichenholz gezimmerte Fachwerk noch heute von großer Güte und handwerklichem Können.
Die Schießscharten und die im Untergeschoss gelegene Dürnitz1 sprechen für einen Wehrbau, der in Notzeiten den Bauern als Stätte des Rückhalts und der Zuflucht zur Verfügung gestanden haben dürfte und ständig von den Herren oder Vögten von Holzgerlingen bewohnt wurde. Die niederen Räume über dem Untergeschoss, das übrigens unmittelbar durch eine Außentür an der Westseite betreten werden konnte, beherbergten möglicherweise Mägde und Knechte der Herrschaft, hatten administrative Aufgaben zu erfüllen, könnten auch Wirtschaftsräume für die darüber wohnende Familie des jeweiligen Vogtes gewesen sein, deren Wohnräume sich gegenüber denen der gemeinfreien Bauern in der Stockwerkshöhe beträchtlich unterschieden.
So hob sich auch der Burgbau in seiner Wehrhaftigkeit und Mehrstöckigkeit von den Anwesen der anderen Dorfbewohner ab und wies auf Stand und Stellung der darin Wohnenden hin, die als Mittelfreie im Dienst der Grafen von Tübingen, später in dem des Hauses Württemberg standen. Ob jemals zu „Kalteneck“ eine Vorburg gehörte, ist nicht mit Bestimmtheit auszumachen. Bei näherer Betrachtung der Kieser’schen Forstkarte aus dem Jahr 1683 könnte eine solche bestanden haben.
Rundherum von Wasser umgeben: Burg Kalteneck in Holzgerlingen. An der Westseite führte einst eine Außentür ins Untergeschoss des Gebäudes. Der Zugang ist heute vermauert. (Foto: S. Kittelberger)
Der an der Ostseite sichtbare weiße Streifen lässt vermuten, dass dieser von einer nicht allzu festen Mauer umgeben war und Scheunen, Stallungen, andere Wirtschaftsgebäude und den Burggarten beherbergte. Im Verein mit der wehrhaften Mauritiuskirche und dem dahinterliegenden Pfarrhaus lässt sich Kaltenecks Bedeutung in unruhigen Zeiten gar nicht hoch genug einschätzen. König Heinrich II. (1002 – 1029) wusste darum. Vielleicht war er sogar der Bauherr des 1363 abgängigen „Bürgles“.
Besonders als Waldvögte spielten die Holzgerlinger Lehnsleute der Grafen von Tübingen und von Württemberg eine gewichtige Rolle. Ob es über das Jahr 1485 noch Vögte in Holzgerlingen gegeben hat, konnte bisher nicht ausgemacht werden. Auch ist es bis auf den Tag nicht bekannt, in welchem Jahr die Pfalzgrafen von Tübingen Besitzer der Burg geworden sind. 1363 wird berichtet, dass die Gemahlin Graf Eberhards von Württemberg, die Gräfin Elisabeth von Hennenburg, die Burg von ihrer Schwägerin Gräfin Katharina von Württemberg erworben hat. 18 Jahre später ging ganz Holzgerlingen in den Besitz der Württemberger über.
Rätsel umranken im Jahr 1412 die pfandweise Überlassung der Holzgerlinger Veste an Ulrich Mayer von Wasseneck, die ein knappes Jahrzehnt später (1420) von der Gräfin Henriette von Württemberg ihm käuflich überlassen wurde. Sie führte nach dem Tod ihres Mannes, Graf Eberhard IV. die Regierung für ihre unmündigen Söhne Ludwig und Ulrich. – Fehden und Streitigkeiten mit dem Verwandtschaftsrat scheinen sie veranlasst zu haben, sich von dem Holzgerlinger Besitz zu trennen, der aber nach dem Tod des Käufers an Württemberg 1448 zurückfiel, das im gleichen Jahr als Verkäufer für Wilhelm Zimmerer auftritt. Nach dessen Tod ging das Anwesen mit Scheunen, Gärten und Bepflanzungsrecht im Schönbuch an Claus Steinmarn von Jesingen. Leider lässt sich auch hier nichts über die Größe der landwirtschaftlich genutzten Flächen erfahren, die von den Herren vermutlich bewirtschaftet worden sind. Ob die Steinmarns sich lange Kaltenecks erfreuen durften, muss angezweifelt werden, denn 1623 spricht der Chronist wieder einmal von einem alten Burgstall.
Bei dem Verkauf im Jahr 1821 löste die Ortsverwaltung mit 38 Morgen2 Wald die bisherige Holzgerechtigkeit von 12 Klaftern (= 40,46 Raummeter) samt Reisignutzung ab. Als fünf Jahre später die Gemeinde Kalteneck kaufte und wieder veräußerte, erfolgte dies ohne das besagte Waldstück. Der Name „Bühlerwald“ erinnert noch heute an den damaligen Besitzer Karl von Bühler.
Etwas verfremdet hat sich 1849 die Nordseite des Burggrabens durch das Färbereigebäude, das heute zu Wohnzwecken genützt wird. Seine einstige Bedeutung für die ortsansässigen Weber ist unverkennbar, bezeugt, so lange es steht, zwei Handwerke, die längst ausgestorben sind.
Große Verdienste um die Erhaltung der Wasserburg hat sich das Ehepaar Burkhardt erworben. … Äußerst schwer haben sie sich 1987 aus Altersgründen von ihrem geliebten Domizil getrennt und es in gute Hände gelegt. Die Gemeinde Holzgerlingen ist jetzt Eigentümer.
Ein Holzsteg führt zum Eingang der Burg. (Foto: S. Kittelberger)
Quelle: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag Sindelfingen 1990
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Franke und der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung
Die Burg Kalteneck ist heute ein über die Ortsgrenzen hinaus bekannter Anziehungspunkt. Das Kulturprogramm wird vom Arbeitskreis „Kultur in der Burg“ betreut, darüber hinaus kann das historische Gemäuer auch für Tagungen und private Feiern angemietet werden.
Literaturhinweis:
Holzgerlingen: Von der Schönbuchsiedlung zur Stadt, Sönke Lorenz, u.a., WEGRAhistorik-Verlag, Stuttgart, 1995. (Gemeinde im Wandel: Bd. 2).
ISBN 3-929315-04-1