Dätzingen in der Böblinger Oberamtsbeschreibung von 1850
„der einzige katholische Ort des Bezirks“
Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850.
Dätzingen, ein 3 Stunden nordwestlich von Böblingen gelegenes Pfarrdorf, der einzige katholische Ort des Bezirks mit 640 Einwohnern, worunter 5 evangelische.
Der nicht große, reinliche Ort, durch den die Poststraße von Böblingen nach Calw führt, liegt in dem engen, wiesenreichen Thale des Altbachs, dessen meist kultivirten Gehänge ziemlich hoch, aber nicht besonders steil sind. Die schöne, freundliche Kirche, das ansehnliche, dem Grafen von Dillen gehörige Schloß mit seinen Gartenanlagen und einige hübsche Häuser an der Landstraße verleihen demselben ein freundliches Aussehen und zeichnen ihn vor andern Orten des Bezirks vorteilhaft aus. Vortreffliches Trinkwasser spenden fünf Rohrbrunnen und überdieß fließt der nie vertrocknende Altbach, welcher in den gräflich Dillenschen Anlagen zu einem Weiher geschwellt wird, mitten durch das Dorf. … Die Luft ist etwas rauh und trocken; die Sommernächte sind mehr kühl als warm und Frühlingsfröste nicht selten. Die Ernte tritt um 8 Tage später als in dem nur eine Stunde entfernten Weil der Stadt ein und beinahe 14 Tage später als im Unterland. …
An der nördlichen Seite des Orts liegt auf einer etwas erhabenen Stelle die im modernen Rundbogenstyl gehaltene Pfarrkirche zum heiligen Leonhard, welche König Friedrich im Jahr 1812/13 auf Staatskosten erbauen ließ. Sie ist in ihrem Innern hell und sehr geräumig, mehrere Oelgemälde, …, zieren die freundliche, durchaus weiß getünchte Kirche. …
Das 1814 auf Staatskosten erbaute Pfarrhaus liegt von allen Seiten frei, unweit der Kirche und befindet sich in gutem baulichen Zustande. … Das an der Hauptstraße mitten im Ort gelegene Schulhaus mit Rathsstube und Lehrerwohnung wurde 1819 auf Kosten der Gemeinde beinahe ganz neu erbaut. An der Schule unterrichtet ein Lehrer und ein Lehrgehilfe. Den Winter über besteht eine Industrieschule für die weibliche Schuljugend.
Beinahe in der Mitte des Dorfs liegt das sehr ansehnliche gräflich von Dillen’sche Schloß; … Schöne, geschmackvolle Gartenanlagen umgeben das Schloß auf drei Seiten, währen an der Rückseite ein großer Hofraum, in welchem die Oeconomiegebäude und Wohnungen der Dienerschaft stehen, sich anlehnt. Vor dem Schloß ist ein kreisrunde Bassin mit Springbrunnen angebracht. Das Ganze ist mit einer hohen Mauer umfriedigt. An der westlichen Seite dieses Complexes führt eine schattige Lindenallee und scheidet denselben von dem eigentlichen Lustgarten. …
Die Ortseinwohner sind im Durchschnitt hager, schlank, meist blaß und erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit: Epidemien kommen selten vor und gehen schnell vorüber; unter die häufigsten Krankheiten gehören: Entzündungen, Zehrfieber, Lungenschwindsucht, in höherem Alter aber Schlagflüsse und Wassersuchten. Leute von hohem Alter gibt es ziemlich viele. Die Tracht der Dätzinger ist mehr eine städtische, welche bei den Männern die dreieckigen Hüte, Lederhosen etc. und bei den Frauen die sogenannten Weil der Städter Häubchen beinahe ganz verdrängt hat. Letztere kleiden sich nach französischer Mode, meist etwas buntfarbig. Seit etwa 10 Jahren haben die Volksbelustigungen so abgenommen, dass sie gegenwärtig beinahe ganz verschwunden sind,. Im Allgemeinen findet man bei den Ortsangehörigen Heiterkeit im Umgang, Dienstfertigkeit und ein städtisches Benehmen, überhaupt theilen sie die Sitte aller jener Orte, in welchen adelige Herrschaften sich befinden. Sie sind mit wenigen Ausnahmen unbemittelt und ernähren sich meist vom Feldbau; einige handeln mit Holz, das sie in dem 5 bis 6 Stunden entlegenen Schwarzwalde aufkaufen und in Stuttgart wieder absetzen.
Die Landwirthschaft ist gerade nicht im besten Zustande, was mitunter von der meist unebenen Lage der sehr klein vertheilten Felder, von dem steinigen zum Theil schlechten Muschelkalkboden und von dem Mangel an Dünger herrührt. … Feines Tafelobst wird nur in dem gräflichen Schloßgarten gezogen. Eine Baumschule, in welcher der Schuljugend die Behandlung der Obstbäume gezeigt wird, ist vorhanden. … Von den Professionisten arbeiten nur die Zimmerleute, welche namentlich für den Mühlenbau gesucht sind, nach Außen. Es befinden sich 3 Schildwirthschaften, 1 Kaufmann und 1 Krämer im Ort. …
Die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde haben sich in letzterer Zeit, namentlich durch die Bemühungen des vormaligen Schultheißen Rühle, vortheilhaft geändert. Die Gemeinde hatte noch im Jahr 1817 3600 fl. Schulden, gegenwärtig aber ein Activcapital von 2700 fl.1 …
Der große Zehenten auf der Markung Dätzingen ging zugleich mit der Commenthurei2 an die Staatsfinanzverwaltung über, wurde aber von dieser im Jahr 1812 nebst dem kleinen-, Heu-, Wein- und lebendigen Zehenten an den Grafen von Dillen verkauft. Neben diesem bezieht der Staat grundherrliche Gefälle auf der Markung.
Die älteste Schreibung des Ortsnamens ist Tatichingen (1075). Datichingen (zwischen 1143 – 1167, Trad. Reichenb. bei Kuen Coll. 2, 65), Tethechingen (1281, Urk. im Stuttgarter Staatsarchiv).
In sehr früher Zeit gehörte die Lehensoberherrlichkeit in diesem Orte wenigstens theilweise dem gräflichen Hause Achalm-Urach-Fürstenberg, wobei das gräfliche Haus Calw concurrirte. Von hiesigem Ortsadel kommt vor im Jahr 1075 Okt. 9. in der Urkunde K. Heinrichs IV. für das Kloster Hirschau Managolt de Tatichingen. … Ganz ausdrücklich als gräflich fürstenbergischer Ministerial erscheint der Ritter Ulrich von Dätzingen, welchem die Verschenkung all seines Besitzes an den Johanniterorden von seinem Dienstherrn Graf Heinrich von Fürstenberg den 19. Mai 1263 bezeugt wird. Im Jahr 1281 wird genannt Friedrich von „Detchingen“ und seine Gemahlin Adelheid, dessen Familie ihren hiesigen Besitz von den Grafen von Vaihingen, einem Zweige der Calwer Grafen, zu Lehen trug; wenigstens waren Balsan et Fridericus frater suus filii quondam Friderici milites de Tethechingen mit hiesiger Vogtei und Gütern belehnt, als am 6. Dec. 1282 Graf Konrad von Vaihingen die Oberherrlichkeit über beide an die hiesige Johannitercommende2 veräußerte.
Diese Erwerbungen von 1263 und 1282 sind die Grundlagen, auf welche hin der Johanniterorden nach und nach zum Besitz des ganzen Orts gelangte; … Gleich im 13. Jahrhundert ist Dätzingen ein Johannitercomthursitz geworden. Der letzte Comthur war Joh. Baptist Freiherr von Flaxlanden. …
Durch den Pressburger Frieden von 1805 erwarb Württemberg unter anderen Johanniterbesitzungen auch diesen Ort, worauf im März 1810 König Friedrich das hiesige Schloß dem Generallieutenant Carl Ludwig Freiherr (nachherigen Grafen) von Dillen schenkte und für ein adeliges Gut, welche Qualität auch auf alle zu erkaufenden Liegenschaften übergehen sollte, erklärte. Den Zehenten, welcher in der Schenkung nicht begriffen war, brachte Graf Dillen erst 1812 käuflich an sich. …
Ortsmitte von Dätzingen mit der 1812/13 erbauten Pfarrkirche und dem Rathaus. Das Malteserkreuz (Johanniterkreuz) ist auch heute noch Bestandteil des Dätzinger Ortswappens.
Der Text wurde gekürzt.
Eine ungekürzte Version der Beschreibung von Dätzingen finden sie auf dem Internet-Portal Wikisource.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden.
Referenz
↑1 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
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↑2 | Komtureien, bzw. Kommenden (von lat. commendare = anvertrauen) waren die kleinsten selbständigen Verwaltungseinheiten des ursprünglich in Jerusalem beheimateten Ritterordens der Johanniter. Jeder Komturei stand ein adliger Ritter vor, der sog. „Komtur“. |