Sagen und Geschichten aus dem Landkreis Böblingen
Der Häseltrog
Eine Sage aus Holzgerlingen
Zu Holzgerlingen im Schönbuch liegt unfern der Burg Kalteneck ein steinern Brunnenhaus, der Häseltrog genannt. Aus ihm entspringt ein starker Quell, der sich bald mit dem Wasser des Kirchbrunnens vereinigt; beide zusammen bilden das Wasser Aich, das an der Stadt Waldenbuch vorüberfließt und bei Nürtingen in den Neckar mündet.
In uralten Zeiten war allda eine offene Quelle, daraus die kleinen Kindlein kamen. In ihren tiefen Grund hinab führte ein Weg, mit Silbersand bestreut, auf dem ihr am Ende in den geheimnisvollen Kindleinteich kommen konntet; wer aber hinabsteigen, wollte, der mußte, das rechte Wort wissen, das ihm die Tür zur Brunnenstube aufschloß.
Um die Quelle her stehen von je her Haselbüsche, von denen auch der Brunnen seinen Namen hat. Die Hasel war einst der Frau Berchta, der Kindleinmutter, heilig. Als nun vor mehr als tausend Jahren der alte Glaube abkam und die Christenleute die Heidengötter hinab ins dunkle Mittelreich verbannten, da ward der Quell verschlossen und in einen Steinernen Trog gefaßt. Seitdem heißt der Brunnen der Häseltrog.
Es geschieht aber dann und wann in hundert Jahren, daß ein Sonntagskind am Abend vor St. Johannis Tag aus dem Häseltrog trinkt. Und solch einem wird darin im Traum der Johannisnacht eine der wunderbaren Geschichten der Frau Berchta kund und offenbar. Was darin erzählt ist aus alten und jungen Tagen, das ist alles geschehen unter dem Himmel unserer Heimat, der sich über Gäu und Schönbuch wölbt, und unter den Wolken, die sich im Häseltrog spiegeln.
Frau Berchta oder Frau Perchta ist eine mythologische Gestalt, in der sich vermutlich keltische, germanische und slawische Wurzeln mischen. Mit „Frau Holle“ ist sie eng verwandt. Wie diese belohnt sie Fleiß und Hilfsbereitschaft und bestraft Faulheit und Verstöße gegen das Festspeisegebot. In unserem Zusammenhang ist wichtig, dass ihr Name auch immer wieder mit Brunnen und Teichen in Verbindung gebracht wird, in denen sie die noch nicht geborenen Kinderseelen hütet; die Sage vom Häseltrog erwähnt ebenfalls den „geheimnisvollen Kindleinteich“. Normaler Weise tritt Perchta vor allem in der Zeit der Wintersonnwende auf. In diesem Text wird dagegen die Johannisnacht erwähnt, die im Zusammenhang mit der Sommersonnwende steht.
Unter dem Titel „Der Häseltrog – Sagen und Geschichten aus Schönbuch und Gäu“, gab der Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu e.V. im Jahre 1950 seine erste Publikation heraus. Gesammelt und bearbeitet wurden die Sagen von Eberhard Benz, die Illustrationen stammen von der Grafikerin Waltraut Jasper. 1993 brachte der Verlag des Böblinger Boten eine Faksimile-Ausgabe heraus, die ebenfalls vergriffen ist.
Erstveröffentlichung: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Böblinger Post, Nr. 6/1949, S.22.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.