„Ich bin sehr schön logiert“
Schillers Mutter in Leonberg
Autorin: Ute Schönwitz
Eine Tafel am Leonberger Schloss weist daraufhin, dass Schillers Mutter einige Jahre hier wohnte, sie verschweigt jedoch, dass auch Schillers Schwester Louise drei Jahre hier verbrachte. Die beiden Frauen waren nach dem Tod des Vaters hierher gezogen, da sie sich auf der Solitude einsam fühlten.
Auf der Solitude wechselten sich je nach Kriegslage französische Besatzungstruppen und österreichische Verbündete ab, die dort ein großes Feldspital betrieben. Jahrelang fürchteten sich die Einheimischen vor Seuchen, die von den kranken Soldaten eingeschleppt wurden, und auch die Familie Schiller blieb nicht verschont. Die jüngste Tochter Nanette starb im März 1796 an Typhus. Vater Schiller hatte schon vorher den Umzug nach Leonberg geplant, aber nach dem Schicksalsschlag erkrankte auch er und starb im September des gleichen Jahres.
In ihren Briefen erwähnt Elisabetha Dorothea Schiller immer wieder, dass ihr während der schweren Krankheit des Ehemannes niemand beistand, während sie in Leonberg “viele Bekannte und Freunde“ hat. So liegt es nahe, nach Leonberg zu ziehen, wo sie als Witwe eines Hofbeamten mit der unverheirateten Tochter unentgeltlich im Schloss wohnen kann. Friedrich Schiller erfährt brieflich von dem Umzug: “Ich bin sehr schön logiert, nur fehlt die Küche, doch wir können uns doch behelfen, den ganzen Tag haben wir Sonne und können ins Grüne sehen.“ Sie haben zwei Zimmer, eine große Kammer, noch eine Speisekammer, eine Holzlege und einen Keller. Der Holzvorrat nimmt leider schnell ab, da die Räume im Schloss hoch und schlecht zu heizen sind.
Neben dem Kummer um ihren Mann plagen die Witwe zwei große Sorgen: Die Ungewissheit, wann endlich die herzogliche Pension ausgezahlt wird, und die Verheiratung der Tochter Louise. Seit Jahren ist Louise mit dem Gerlinger Vikar Johann Gottlieb Frankh befreundet, der sich aber nicht fest binden will, solange er keine Pfarrstelle hat. Elf lange Jahre bleibt er Vikar, bis er von seinem Traum ablässt, eine Stelle in der Nähe von Stuttgart zu bekommen. Er übernimmt die Pfarrei in Cleversulzbach, und endlich können die beiden am 13. Oktober 1799 in der Leonberger Stadtkirche heiraten. Stolz zählt Mutter Schiller in einem Brief an den Sohn auf, welche Aussteuer sie der Tochter mitgegeben habe: “Viel Leinwand, 3 ganze Betten, ein Sofa, 9 Sessel, 2 Kommoden, 3 Tische, auch anderen Hausrat.“ Doch von nun an ist Frau Schiller auch in Leonberg viel allein. Die Reise nach Cleversulzbach dauert dreizehn Stunden und kostet sechzehn Gulden Fuhrlohn – zuviel für ihre schmale Pension.
Elisabetha Dorothea Schiller, geb. Kodweiss. Portrait eines unbekannten Künstlers. (Bild: Deutsches Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar)
Es hat fast ein Jahr gedauert, bis endlich die Pension regelmäßig eintraf, aber schließlich bekommt die Witwe des Obristwachtmeisters 100 Gulden im Jahr ausgezahlt. Obwohl die Wohnung nichts kostet, sind 100 Gulden zum Leben zu wenig, deshalb weist der berühmte Sohn seinen Verleger Cotta an, der Mutter vierteljährlich 30 Gulden von seinem Honorar auszuzahlen. Überhaupt wird Cotta ein wichtiges Bindeglied zwischen Jena/Weimar und Leonberg. Schiller legt seinen Briefen an den Verleger in Tübingen häufig ein Schreiben an die Mutter bei, um das Porto zu sparen. Da der Mutter die Unterstützung des Sohnes zunächst nicht recht ist, lässt sie aus selbstgesponnenem Flachs Leinwand weben, um sie der Schwiegertochter als Dank nach Thüringen schicken zu können.
Elisabetha Dorothea Schillers Briefe aus dem Schloss entwerfen ein eindringliches Bild von den Alltagssorgen der Leonberger Bevölkerung in der Zeit der Jahrhundertwende. Jahrelang herrscht durch die napoleonischen Feldzüge ein kriegsähnlicher Zustand, der zu drückender Not führt. Plünderungen sind an der Tagesordnung. Fremde Soldaten werden zwangsweise einquartiert und müssen verköstigt werden. Vor allem verlangen sie nach Wein, den sich die Einwohner selbst nicht leisten können. Frau Schiller hat im Keller des Schlosses noch zwei Eimer Wein liegen, den sie sorgsam hütet. Da ein Maß Wein (knapp zwei Liter) einen Gulden kostet, ein württembergischer Eimer aber 294 Liter fasst, hat sie ein kleines Vermögen im Keller. Kein Wunder, dass sie den Wein wie “Hofmannische Tropfen“ behandelt. Sie selbst trinkt inzwischen Obstmost mit Wasser und streckt den Morgenkaffee mit gelben Rüben. Jeder spart, wo es nur geht, denn selbst von der kärglichen Pension wird noch eine Kriegssteuer abgezogen.
Elisabetha Dorothea Schiller, geb. Kodweiß, auf einem Gemälde der württembergischen Malerin Ludovike Simanowiz. (Bild: Wikimedia Commons)
Im Dezember 1798 schreibt Elisabetha Dorothea an den Sohn, dass im Schloss noch bis zum Frühjahr gebaut werde. Ein Baumeister für Wasserwesen richtet im Schlosshof einen Brunnen ein, der 2000 Gulden kosten soll. Für die Bewohner des Schlosses ist damit die lästige Plage des Wasserholens endlich beseitigt, wofür Frau Schiller extra ein Laufmädchen beschäftigte.
Als im Sommer 1800 die Not der Bevölkerung unerträglich wird und Louise im ruhigen Cleversulzbach ein Kind erwartet, schickt der Schwiegersohn eine Kutsche, um die Mutter zu holen. Ihre wenigen Wertsachen hat sie für die Zeit ihrer Abwesenheit in einem Behälter in der Wand eingemauert. Dem Schwiegersohn bezahlt sie während ihres Aufenthalts Licht und Seife, um nur ja nicht zur Last zu fallen. Gemeinsam lesen sie den “Wallenstein“, den Cotta geschickt hat.
Ende November kehrt Elisabetha Dorothea Schiller nach Leonberg zurück, da es ihr im dörflichen Cleversulzbach zu langweilig ist. Außerdem muss sie sich um ihre Einkünfte kümmern. Die Leute, die von ihr ein Grundstück gepachtet haben, können nicht zahlen. In Leonberg hat inzwischen fast jedes Haus Einquartierung, nur das Schloss bleibt verschont, weil sonst die 24 Schneider, die dort Uniformen montieren sollen, keinen Platz hätten. Im Frühjahr 1801 schreibt sie an Friedrich Schiller in Weimar: “Es ist alles besetzt in unserm Land, o bester Sohn es ist zu verwundern, wie es noch auszuhalten ist, was alles zu bezahlen hat, da es jetzt so nahe am Frieden. … O Gott was ist es um einen solchen Krieg, der uns doch nichts angeht.“
Im Herbst 1801 erkrankt Elisabetha Dorothea Schiller, und Nachbarinnen kümmern sich um sie, bringen ihr Wein und Essen. Die Verordnungen des Oberamtsarztes Reinhardt hält sie für falsch, aber auch der junge Arzt, Practicus Lechler, ist mit den Unterleibsblutungen überfordert. Die Leonberger Freunde drängen sie, den Hofmedicus Jacobi in Stuttgart aufzusuchen. Sie verlässt am 20. Dezember 1801 Leonberg mit der Hoffnung, bald zurückzukehren. Doch auch in Stuttgart kann ihr nicht geholfen werden. Sie berichtet dem Sohn, dass sie zur Abwechslung “Daß Madiche von Orlian“ lese.
Der Friedhof in Cleversulzbach mit den Gräbern der beiden „Dichtermütter“ Schiller und Mörike. (Bild: Die Gartenlaube 1874 / Wikimedia Commons)
Ihr Zustand verschlimmert sich immer mehr. Am 11. Februar 1802 kommt deshalb Louise mit der eigenen Kutsche aus Cleversulzbach, um die Mutter zu holen und selbst zu pflegen. Der Schwiegersohn, der bisher immer recht abweisend wirkte, hat sein Studierzimmer geräumt und geheizt, damit es für die Kranke bequem ist. Louise hat einen hölzernen Badezuber anfertigen lassen und bereitet ihr direkt neben dem Bett warme Sitzbäder, die ihre Schmerzen lindern. Doch der Arzt Dr. Hehl aus dem nahen Neuenstadt stellt als erster eine klare Diagnose, die keine Hoffnung lässt: Die Mutter ist an Gebärmutterkrebs erkrankt und wird sich nicht mehr erholen.
Am 29. April 1802 stirbt Elisabetha Dorothea Schiller geborene Kodweiß im Alter von 69 Jahren in Cleversulzbach. Am gleichen Tag bezieht Friedrich Schiller mit seiner Familie sein neues Haus in Weimar. An Goethe schreibt er darüber: “Aus einem Brief, den ich vor einigen Tagen erhielt, erfuhr ich, daß an demselben Tag, wo ich mein neues Haus bezog, die Mutter starb. Man kann sich nicht erwehren, von einer solchen Verflechtung der Schicksale schmerzlich angegriffen zu werden.“
Elisabetha Dorothea Schiller wird am 1.Mai 1802 auf dem Friedhof von Cleversulzbach beerdigt. Am 8. Mai trifft die Tochter in Leonberg ein, um den Tod der Mutter anzuzeigen. Da die Wohnung geräumt werden muss, veranstaltet sie am 12. Mai eine Auktion der Einrichtung. Der Erlös der Auktion von 157 Gulden wird dem Inventar zugerechnet. Die weitere Inventur und Teilung des mütterlichen nachlasses übernimmt dem Gesetz entsprechend das Waisengericht Leonberg.
Vom Fenster des Pfarrhauses in Cleversulzbach kann Louise Frankh den Grabhügel der Mutter sehen. Doch im Jahr 1805 wird Pfarrer Frankh mit seiner Familie nach Möckmühl versetzt. Das Grab der Mutter Schillers gerät in Vergessenheit. Erst dreißig Jahre später wird sich ein anderer Pfarrer, Eduard Mörike, wieder daran erinnern.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Der Artikel erschien erstmals unter dem Titel “Schillers Mutter in Leonberg“. In: Aus Schönbuch und Gäu 1995, Heft 2/3. Für zeitreise-bb hat ihn die Autorin leicht verändert und um einige Hinweise ergänzt.