Dr. Otto Elben war die treibende Kraft in der Eisenbahnfrage
Als die Gäubahn Böblingen Dampf machte
Autor: Erich Kläger
Als am 31. August 1879 der erste Zug im Bahnhof Böblingen einlief, hatte die Schwarzwaldbahn, später Gäubahn genannt, eine Reise hinter sich gebracht, die länger war als die kurze Distanz zwischen Stuttgart und Böblingen vermuten ließe. Genau genommen war die Eisenbahn fast 18 Jahre unterwegs, in Gang gesetzt durch eine Eingabe der Städte Böblingen, Herrenberg und Freudenstadt beim Finanzministerium Stuttgart im Jahre 1861. Dass es danach doch noch so lange gedauert hat, bis das Ziel erreicht werden konnte, weist auf erhebliche Widerstände hin.
Wie noch heute bei Verkehrsprojekten, hat es schon vor mehr als einhundert Jahren oft ganz erheblicher Anstrengungen bedurft, sie durchzusetzen: gegen Konkurrenzlinien, gegen politische Manöver und natürlich auch gegen eine Reihe sachlicher Hindernisse. Obwohl von Friedrich List bereits 1824 angeregt, verfügte König Wilhelm von Württemberg erst 1843 nach Anhörung “unseres Geheimen Rates und unter Zustimmung Unserer getreuen Stände“, d.h. der damaligen Volksvertretung, es werden auf Staatskosten Eisenbahnen erbaut“, von denen die erste zwischen Cannstatt und Untertürkheim verkehrte.
An eine Verbindung der westlichen Landesteile mit einer Linienführung über Böblingen dachte in Stuttgart lange Zeit niemand. Zunächst wurde eine ganze Reihe anderer Streckenabschnitte gebaut. Die politischen Kollegien der Stadt, Gemeinderat und Bürgerausschuss, hat dies nicht gleichgültig gelassen. Bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts hat sie die “Eisenbahnfrage“ ständig beschäftigt. Man empfand sie geradezu als Lebensfrage angesichts der Bedeutung des Verkehrs für die Weiterentwicklung der zaghaften gewerblichen und industriellen Ansätze in unserem Raum und Böblingen selbst. Insbesondere fürchtete man, durch die geplante Obere-Neckartal-Bahn in den Verkehrsschatten zu geraten, nachdem schon eine Linie von Stuttgart Richtung Schwarzwald an unserem Raum vorbeigeführt wurde. In dieser Lage entstand die Forderung nach einer Schwarzwaldbahn von Stuttgart über Böblingen/Sindelfingen, Herrenberg nach Freudenstadt. Dies wurde gemeinsam von den berührten Städten verfochten, mit großem Nachdruck auch vom Stuttgarter Oberbürgermeister.
Dr. Otto Elben (1823 – 1899). 1874 verlieh ihm die Stadt Böblingen das Ehrenbürgerrecht. (Foto: Stadtarchiv Böblingen)
Indes hatte sich die “bekannte Eifersucht der ländlichen Abgeordneten gegenüber der Hauptstadt“ zu einem lang hinhaltenden Widerstand formiert. Den wir hier aus seinen Erinnerungen zitieren, ist der Stuttgarter Dr. Otto Elben von 1868-1882 Landtagsabgeordneter des Bezirks und von 1871-1876 unser Vertreter im Reichstag. Er nahm sich schon vor seiner Zeit als Abgeordneter der Eisenbahnfrage an und warb für die Schwarzwaldbahn in seiner Zeitung, dem “Schwäbischen Merkur“ (vom Großvater 1785 gegründet und vor ihm von seinem Vater geleitet). Darin erschien eine Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema. Als Abgeordneter machte er sich zum ersten Vorkämpfer für dieses Projekt, dem er nach Jahren intensiver Überzeugungsarbeit in und außerhalb des Parlaments zum Erfolg verhelfen konnte. “Mir war eine Herzenssache gewonnen“, bekannte er in seinen Erinnerungen.
Otto Elben war die treibende Kraft, die mit Denkschriften, Petitionen und durch ständiges Antichambrieren das Interesse wach hielt und um Unterstützung warb. Die Stadt Böblingen tat das ihre, indem sie mit dem Oberamt zusammen u. a. eine Gewerbeausstellung organisierte, die im Hinblick auf das Bahnprojekt den unwiderleglichen Beweis für den volkswirtschaftlichen Wert dieses Landesteiles liefern sollte.
Allein, auf dem Weg zum Ziel waren noch viele Niederlagen und Rückschläge zu überwinden. Elben klagt in seinen Erinnerungen denn auch, die “anfängliche Ungunst lastete bis zuletzt auf der Böblinger Bahn“, der kurz zuvor noch die Leonberger Linie vorgezogen wurde.
Die „Eisenbahnfrage“ schrieb auch ein weiteres Kapitel in dem historisch bewegten Nachbarschaftsverhältnis zwischen Böblingen und Sindelfingen, schließlich deckte sich die Interessenlage nicht vollständig. Beide strebten eine möglichst enge an ihre Stadt und einen eigenen Bahnhof an. Auch eine Kompromisslinie zwischen den beiden wurde diskutiert. Schließlich setzte sich Böblingen durch. Dabei war vor allem der hohe Bedarf der Böblinger Zuckerfabrik an Steinkohle maßgeblich, deren Bahntransport erleichtert werden sollte.
Als endlich 1874 das Gesetz über die Gäu- und Schwarzwaldbahn zustande kam, war dies für Böblingen Anlass genug, ein Siegesfest abzuhalten. Otto Elben wurde zum Ehrenbürger ernannt. 1905 hat ihm die Stadt auf dem Elbenplatz ein Denkmal gesetzt, das nach dem zweiten Weltkrieg dem Verkehr weichen musste. Die Verdienste Elbens um die Stadt Böblingen, die durch den Anschluss an die Eisenbahn einen spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung erhalten hatte, sind so dauerhaft, dass das einhundertste Jubiläum im Jahre 1979 von der Stadt zum Anlass genommen wurde, Otto Elben einen neuen Gedenkstein in den Anlagen des Unteren Sees zu setzen und das Gedächtnis an ihn durch dieses Zeugnis zu bewahren.
Erstveröffentlichung: Böblingen - Geschichte in Gestalten. Von den Anfängen bis zum Ende der Ära Brumme, Ameles Verlag, Böblingen 2003, S. 32
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Durch die Eröffnung der Bahnlinien nach Weil im Schönbuch (1919), Sindelfingen (1914), Renningen (1915) und Schönaich (1922) wurde Böblingen zu einem regionalen Bahnknotenpunkt.
Literaturhinweis:
Böblingen - Vom Mammutzahn zum Mikrochip. Im Auftrag der Stadt Böblingen herausgegeben von Sönke Lorenz und Günter Scholz, Böblingen 2003, S. 295 - 297
Einen kurzen Überblick über die Eisenbahngeschichte im heutigen Landkreis Böblingen mit Links zu weiteren Eisenbahnthemen auf www.zeitreise-bb finden sie hier.