Gärtringen in der Herrenberger Oberamtsbeschreibung von 1855
„… fleißig, sparsam und zum Theil wohlhäbig…“
Quelle: Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Herausgegeben von dem königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1855.
Gärtingen, Gemeinde II. Klasse, mit 1582 Einwohnern, worunter 4 Katholiken. – Evangelische Pfarrei; die Katholiken sind nach Altingen eingepfarrt.
Auf der weitgedehnten Muschelkalkebene (Gäu) liegt mit einer Erhebung von 1677 Fuß über die Meeresfläche, an einem ganz sanft gegen Süden geneigten Abhange, das ansehnliche, ziemlich regelmäßig gebaute Pfarrdorf, dessen Wohnungen meist ein wohlhäbiges Aussehen haben und in einem ächt ländlichen Styl, aus Holz mit steinernen Unterstöcken, erbaut sind. Breite, meist gekandelte Straßen durchziehen den Ort, der mit seiner im östlichen Dorftheil gelegenen, sehr ansehnlichen Pfarrkirche und deren hohem Thurme weithin sichtbar ist und von mehreren Seiten eine freundliche Ansicht darbietet. …
Die Pfarrkirche ist von dem frühgermanischen1 Styl in den germanischen Styl des 16. Jahrhunderts geändert und in demselben ziemlich rein erhalten. Der hohe, viereckige, ganz massive Thurm, dessen Mauern eine Dicke von 10 Fuß2 haben, besteht aus vier Stockwerken und trägt ein einfaches Satteldach mit abgestutzten Giebelecken. … Das großartige, mit schönem Netzgewölbe gedeckte Langhaus, wird von Strebepfeilern, …, unterstützt. Die Gewölbegurten, wie die Kreuzungspunkte derselben sind nach alter Weise bemalt und die Wände enthalten Fresken, die Propheten und Evangelisten vorstellend, welche übrigens keinen artistischen Werth haben. …
Um die Kirche lag der gegenwärtig noch ummauerte Begräbnißplatz; der neue Begräbnißplatz wurde im Jahr 1731 am westlichen Ende des Dorfs angelegt und mit einer Mauer umfangen. Die freiherrliche Familie von Hiller besitzt auf dem alten Kirchhofe einen eigenen Begräbnißplatz, wofür der im Jahr 1854 gestorbene Freiherr Hiller (gewesener Landvogt) dem Ortsheiligen 100 fl.3 entrichtete.
Das nicht ferne (nördlich) der Kirche gelegene sehr ansehnliche Pfarrhaus wurde in den Jahren 1845 – 46 von der K. Hofdomänen-Kammer in einem ansprechenden, modernen Styl massiv erbaut.
Ganz nahe (westlich) der Kirche steht das große, zweistockige Schulhaus, das 1824 namhaft erweitert wurde; an der Volksschule, neben welcher seit 1838 eine Industrieschule besteht, sind zwei Lehrer nebst einem Lehrgehilfen angestellt, welche in dem Schulgebäude wohnen.
Das Rathhaus steht auf einem freien Platz im westlichen Theil des Dorfs; es ist gut erhalten und wurde vor etwa zehn Jahren renovirt.
Das dem Freiherrn Hiller von Gärtringen als Bestandhteil seines Ritterguts gehörige, ansehnliche Schloß ist im Jahre 1728 in einem einfachen Styl erbaut worden; hinter demselben liegen einige zugehörige Neben- und Oeconomiegebäude und gegenüber zwischen dem Pfarr- und dem Schulhause befindet sich der ummauerte Schloßgarten. … Außerdem gehören zu diesem adeligen Besitz 120 bis 130 auf der Markung zerstreut liegende, gegenwärtig durch einen Pächter bewirthschaftete Feldgüter und gegen 250 Morgen4 Waldungen.
Am westlichen Ende des Orts befindet sich ein laufender Brunnen, der gutes Wasser liefert, übrigens in trockenen Sommern sehr nachläßt; außer diesem sind noch 20 Zieh- und Pumpbrunnen vorhanden, so daß nur in außergewöhnlichen heißen Sommern Mangel an Wasser entsteht und der Bedarf in dem ¼ Stunde südöstlich vom Ort gelegenen, sog. faulen Brunnen geholt werden muß. …
Die kräftigen, gut gewachsenen Einwohner sind mit wenigen Ausnahmen fleißig, sparsam und zum Theil wohlhäbig, der Mehrzahl nach aber in mittelmäßigen öconomischen Verhältnissen. Ihre Haupterwerbsquellen sind Ackerbau und Viehzucht. Abgesehen von dem Besitzthum des Freiherrn Hiller beträgt der größte Güterbesitz 40 – 50 Morgen. … Die Luft ist gesund, jedoch etwas scharf; …
Die Gewerbe dienen meist nur den örtlichen Bedürfnisse. Früher wurde die Zeugles-, Bänder- und Leinenweberei ziemlich eifrig betrieben, auch die Wollespinnerei beschäftigte einige Personen. Neben einer Schildwirthschaft5 sind zwei Bierbrauereien mit Ausschank vorhanden.
Ein Gemeindebackhaus wurde vor 14 Jahren errichtet und ein Gemeindewaschhaus besteht schon längst. …
Gärtringen, ursprünglich pfalzgräflich-tübingisch, kam den 10. Februar 1382 mit Herrenberg an Württemberg. … Der Ort hatte seinen eigenen, ursprünglich unter den Pfalzgrafen von Tübingen stehenden Adel. …
Die Besitzer des hiesigen adeligen Guts, mit welchem übrigen die der Herrschaft Württemberg zustehende hohe und niedere Gerichtsbarkeit nie verbunden gewesen, waren seit der Mitte des 16. Jahrhunderts: Hans Harder bis 1559, hierauf nach, zum theil neben einander, Sebastian von Wobidezki ein Böhme, Gemahl der hinterlassenen Witwe Hans Harders. Mich. von Dachenhausen, Franz Kurz, Kammersekretär, Melchior Jäger von Gärtringen, württ. Geh. Rath, Hans Jacob und Eberhard von Worbidezki, Alexander Schäfer und Freyling und Dachsberg, Wolfgang Eberhard von Dachenhausen, Wilhelm Fetzer von Ockenhausen, Johann Christ. von Remchingen, Joh. Heinrich v. Hiller, württ. Oberhofgerichtsrath ( 1689). …
Die von Johann Heinrich v. Hiller besessenen Güter zu Gärtringen gingen, … durch ein Testament zunächst auf seinen minderjährigen Neffen, den nachmaligen herzoglich württembergischen Geheimem Rath und Reichstagsgesandten Johann Hiller ( 1715) über (welchem Kaiser Leopold I. im Jahr 1703 unter Erneuerung dieses Adels das Recht sich „von Gärtringen“ zu schreiben verlieh), sodann auf dessen ältesten Sohn und von diesem in ununterbrochener Reihenfolge auf den jetzigen Besitzer Freiherrn Friedrich Rudolf, K. Kammerherrn und vormaligen fürstlich hechingischen Oberjägermeister. …
Zur Geschichte des Aberglaubens gibt die Teufelsaustreibung, welche Pfarrer Enslin im Jahr 1766 hier vornahm, einen Beitrag (Württ. Jahrb. 1825, 182).
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Bissinger-Verlags Magstadt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret des württembergischen Königs Wilhelm I das „königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 wurden dort genaue Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden erarbeitet. Als 34. Band erschien im Jahre 1855 die Beschreibung des Oberamts Herrenberg. Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt.
Referenz
↑1 | frühgotischen |
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↑2 | Längenmaß, seit 1806: 1 Fuß = 10 Zoll = 28,65 cm |
↑3 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
↑4 | 1 württ. Morgen = 31,52 Ar. |
↑5 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt. |