Das Herrenalber Gebetbuch von 1484
Ein Auftrag aus Merklingen
Autor: Dr. Karl Maier
„Auf Veranlassung und Bitten des Laienbruders Ludwig von Bruchsal, der in Merklingen das Amt eines Prokurators innehatte, wurde dieses Gebetbuch von Johann Zürn aus Neibsheim (bei Bretten), Mönch und Kantor unseres Klosters Herrenalb vom Jahre 1482 an geschrieben und im Jahre 1484 sorgfältig beendet.“
M it diesen Zeilen auf der letzten Seite des Gebetbuches wird der Leser mit seinem Auftraggeber, dem Konversen1 und Prokurator2 des herrenalbischen Klosterhofs in Merklingen, Ludwig von Bruchsal, bekannt gemacht. Ludwig war wohl der herrenalbische Amtmann oder Keller … vom ganzen Merklinger Klosteramt gewesen. Sein Schreiber stellt sich als Johann Zürn aus Nyposheim (Neibsheim bei Bretten) vor. Er bezeichnet sich als Kantor in unserem Kloster Herrenalb“ und schreibt, dass er die Herstellung der Handschrift im Jahre 1484 sorgfältig beendet habe. (Ein Kantor war ein Pater, der insbesondere die Gestaltung der Gottesdienste durch Gebete und Gesänge leitete. Nach der Ordnung der Zisterzienser unterstanden dem Kantor aber auch die Schreibermönche, die meist Laienbrüder waren.)
In einem mittelalterlichen Scriptorium wurde harte und schwere Arbeit geleistet. Meistens blieb der Schreiber anonym. Er hatte sich zur Ehre Gottes hinter sein Werk zu stellen. Als Tagesleistung galten meistens 6 – 10 Seiten. In größeren Scriptorien wurden die anfallenden Arbeitsvorgänge bei der Handschriftenherstellung von mehreren Beschäftigungsgruppen vollzogen, die Hand in Hand arbeiteten. Eine Gruppe von Mönchen stellte aus Kalbs-, Lamm- oder Ziegenhäuten das wertvolle Pergament her, eine andere versah die beschnittenen Blätter mittels eines Bleigriffels mit Linien. Dann begannen die Schreiber (Kalligraphen) mit Federkiel und Tinte ihre Schreibarbeit. Schließlich schmückten Buchmaler die Anfangsbuchstaben zu Initialen aus und bebilderten die Texte mit Miniaturen.Die überkommenen Handschriften künden noch heute von dem Fleiß und Idealismus der Schreibermönche, die ihre mühsame Arbeit auch als Seelsorge auffassten. Ein belgischer Schreibermönch des 14. Jahrhunderts sagt hierzu: Diese Aufgabe ist ein unvergängliches Werk. Sie ist den Mönchen eigen, die das Wort Gottes, das sie nicht mit dem Mund verkünden können, mit ihren Händen predigen.“
Erste Textseite des Herrenalber Gebetsbuches. Die lateinische Überschrift lautet: Incipiunt horae canonicae de passione domini. Ad matutinas…- Es beginnen die Stundengebete über das Leiden des Herrn. Zur Matutin…. (Foto: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Lizenz: Creative Commons by-nc-sa-3.0)
Das Herrenalber Gebetbuch enthält insgesamt 30 Miniaturen, davon einige auch in Farbe. Sie stellen meist Szenen aus der Passion dar, von Christus am Ölberg“ bis zur Auferstehung“. Diese Miniaturen können nicht als Neuschöpfungen der Herrenalber Buchmaler angesehen werden, denn es wurde viel nach Vorlagen gearbeitet. So hält man diese 30 Buchmalereien der Herrenalber Handschrift auch für Nachgestaltungen nach Originalen, die in einer neuen Technik geschaffen wurden: der Kunst in Kupfer zu stechen! Einer der Begründer und Meister dieser Kunst war der 1445 in Colmar geborene Martin Schongauer. Er und andere Meister lieferten die Originale für die 30 Herrenalber Buchmalereien.
Der Kantor Johann Zürn erwähnte noch am Schluss des Herrenalber Gebetsbuches, dass sein Auftraggeber Ludwig von Bruchsal die Fertigstellung des Buches nicht mehr erlebte.
Christus am Ölberg. Die erste der insgesamt 30 Miniaturen des Herrenalber Gebetsbuches. (Foto: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Lizenz: Creative Commons by-nc-sa-3.0)
Erstveröffentlichung: Zur Geschichte von Merklingen an der Würm, Selbstverlag, o. J.
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Karl-Heinz Maier und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Das Herrenalber Gebetbuch im Online-Katalog der Staatbibliothek zu Berlin
Die meisten Miniaturen dieses Gebetbuchs entstanden nach Kupferstichen des oberrheinischen Künstlers Martin Schongauer, wahrscheinlich auch eines Straßburger Meisters ES, eines “Karlsruher Meisters von 1446″ und des oberrheinischen Meisters WB. “Ausdrucksvolle Gestalten, mit Geschick für lebendige Zeichnung der Derbheit und Grobheit, nicht aber für den Ausdruck des Erhabenen und Anmutigen: Christus ein alter hässlicher Mann mit schwarzem Haar, die Weiber ehrsam und hausbacken, aber in der Teufelei von Volk und Schergen ist Laune„, urteilte Valentin Rose 1903.
Näheres über das Gebetbuch und seine Wiederauffindung im Jahre 1980
Wilfried Schwenk: Das Herrenalber Gebetbuch, 1482 – 1484. Seine Wiederentdeckung 1980 in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Bad Herrenalb 1983.Felix Heinzer: Andacht in Wort und Bild – Zum Herrenalber Gebetbuch von 1482/84 (Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. theol. qt. 9), in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 62 (2003), S. 85-99.
Paula Väth: Das Herrenalber Gebetbuch, in: Peter Rückert / Hansmartin Schwarzmaier (Hg.), 850 Jahre Kloster Herrenalb. Auf Spurensuche nach den Zisterziensern (Oberrheinische Studien 19), Stuttgart 2001, S. 89-107.