Im Jahre 1959 feierte der Ort sein 250jähriges Bestehen
Zur Geschichte von Lehenweiler
Autor: Karl Heß
250 Jahre ist es her, dass Herzog Eberhard Ludwig zwei ehemaligen Soldaten seiner Gardereiter auf ihr Gesuch je 15 Morgen1 Feld von den Lehen auf Markung Aidlingen zuteilen ließ. Das ist der Anfang des Ortes Lehenweiler, der noch heute die jüngste und kleinste Siedlung des Kreises Böblingen ist.
Die Aidlinger Lehen
Der 30-jährige Krieg hatte eine ungeheure Entvölkerung zur Folge. So sind im Kirchenbuch von Aidlingen allein für das Jahr 1635 310 Todesfälle an Pest und Hunger verzeichnet. Das muss mindestens der dritte Teil der ganzen Einwohnerschaft gewesen sein. Es werden keine zweihundert Einwohner gewesen sein, die übriggeblieben sind. Dieser zusammengeschmolzenen Bevölkerung war es unmöglich, die ganze weite Feldmarkung zu bebauen. So beschränkte sie sich darauf, die näherliegenden Felder zu bearbeiten. Die entfernteren blieben unbebaut liegen.
Dies galt in erster Linie für die sogenannten Lehen, den nördlichen Teil der Markung Aidlingen gegen Dätzingen. … Es sollen damals 24 Lehen gewesen sein, die in ebenso viele Bauernhöfe in Aidlingen gehörten. (…)
Herrschaftliche Siedlungspolitik
Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg versuchte um 1700 mit aller Macht, sein Land wieder stärker zu bevölkern und wirtschaftlich empor zu bringen. So hat er in den Jahren 1699/1700 den Waldensern eine Zuflucht geboten und sie in neuen Dörfern angesiedelt (z. B. Perouse). Wenig später hat er den riesigen Schlossbau von Ludwigsburg begonnen und dabei eine Stadt als neue Residenz begründet. In gleicher Richtung liegt auch das Bestreben, ehemalige Soldaten auf dem verlassenen Lande anzusetzen. Entgegen dem Willen der Markungsgemeinden sind so auf ihrem Grund und Boden neue Siedlungen entstanden.
Gardereiter und Soldaten – die ersten Siedler
Wie die beiden ausgedienten Gardereiter gerade auf die Aidlinger Lehen für ihre Niederlassung verfielen, wird immer ungeklärt bleiben. Sie kamen zwar etwa aus demselben Landstrich zwischen Remstal und schwäbischem Wald, Hans Jerg Heinz aus Kallenberg bei Backnang und Sebastian Weiß aus dem Weiler Schönhardt Gemeinde Iggingen bei Schwäbisch Gmünd. Aber während der erstere evangelisch war und eine Schweizerin zur Frau hatte, war Weiß als ehemaliger Gmünder Untertan katholisch und seine einzige Tochter hat wieder einen Katholiken, Bartholomäus Haiß, aus Jungingen bei Hechingen geheiratet.
Stein mit eingemeisselter Ortsbezeichnung Lehenweiler. (Foto: S.Schmidt)
Das Bild der Siedler wird aber noch bunter, wenn wir die weiter ankommenden Familien hinzunehmen. Da ist Karl Gotthard aus Nancy in Lothringen, „gewesener Gardereiter“, dessen Frau allerdings aus Aidlingen stammt; Konrad Finger aus Frankenberg in Hessen, der eine Stähle aus Böblingen zur Frau hatte; weiter ein Wendel Pfeifflen aus Oberstenfeld, Hans Jerg Koch aus Winterlingen, Hanns Jacob Krauß aus Hallwangen, Georg Lindenmeyer aus Deckenpfronn – alles in allem also eine recht bunt gemischte Gesellschaft. Dazu kam noch ein preußischer Invalid, Johann Andreae, …, und zwei Familien Luz aus Oberböbingen bei Gmünd, von denen der Böblinger Vogt 1719 berichtete, „sie seien nichtswerte Leute, welche nicht schaffen mögen, sondern allein dem Bettel nachgehen und sich in die Lehener begeben, dass sie nur sagen können, woher sie seien.“
Sicher war es eine schwere Arbeit, den teilweise sehr dürftigen und von Wald überwucherten Boden wieder urbar zu machen. Die ersten beiden Siedler Heinz und Weiß und einige andere hatten je 15 Morgen Land zugewiesen erhalten. Andere Siedler erhielten nur einige Morgen zugewiesen. Trotzdem hatten 1719 nur Weiß und Heinz ihr ganzes Land umgebrochen und besaßen rechtgebaute Wohnhäuslein. Einige andere wohnten noch in behelfsmäßigen Baracken „aus Stein, Laimen, Laub und Holzwerk zusammen gekloibt“. Aber aus den zwei Familien von 1709 sind 1716 schon dreizehn Familien mit 55 Köpfen geworden; 1719 sind 80 Morgen, im Jahr 1729 226 Morgen Land in Benutzung genommen. (…)
Lehenweiler contra Aidlingen – die Siedler behaupten sich
Die Aidlinger Gemeinde, die in keiner Weise über die Neugründung befragt wurde, hat wohl von Anfang an scheel zu diesem Werk fürstlicher Willkür gesehen. So ist es ihren Bürgern nicht zu verdenken, wenn sie sich zur Wehr setzten, als sie glaubten, einen Anhaltspunkt für die Wahrung ihrer Interessen zu sehen. Im Jahre 1713 war nämlich für zwei Siedler die Bedingung ausgesprochen worden, sie dürften nur Baracken auf dem zugewiesenen Land erstellen, bis sie dieses urbar gemacht hätten und müssten dann ihre endgültigen Behausungen bei dem Flecken Aidlingen errichten. So wollten nun die Aidlinger ums Jahr 1719 die neuen Siedler sämtlich zwingen, die neue Niederlassung aufzugeben, ihre Häuser abzubrechen und in Aidlingen wieder zu errichten. Das wäre bei den bescheidenen Hilfsmitteln der Siedler das Ende ihrer Existenz gewesen. Sie konnten sich aber erfolgreich behaupten.
Schon innerhalb zwei Jahrzehnten seit Niederlassung der ersten Ansiedler hatten sie einen eigenen Schulmeister, was sicher erheblich dazu beitrug, die Selbständigkeit zu behaupten.
Freilich war es von da noch ein langer und wechselvoller Weg bis in die Gegenwart. … Viele mussten hinausziehen, um sich anderwärts ihr Brot zu verdienen, und die Zahl der Auswanderer aus dem kleinen Ort ist verhältnismäßig groß.
Erst das 20. Jahrhundert hat mit Wasserleitung (1922/23) , elektrischer Stromversorgung (1924/25) und Verkehrsanschluss (1909) zeitgemäße Lebensbedingungen geschaffen und damit eine neue Periode für die junge Generation eingeleitet. (…)
Lehenweiler um 1747 (Plan: Helmut Keck 1987/88)
Erstveröffentlichung: Karl Heß, 250 Jahre Lehenweiler (1709 – 1959) – Festschrift anlässlich des 250-jährigen Bestehens, Döffingen 1959.
Mit freundlicher Genehmigung der Familie Heß und des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.
Der Text wurde gekürzt
Literaturhinweis:
Daniel Wesely
Zur Gründung von Lehenweiler
In: Gemeinde Aidlingen (Hrsg.): Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte, Aidlingen 1999, S. 379-390
Referenz
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