Gipsmüllereien im Oberamt Herrenberg
„Spärliches Auskommen“
Autorin: Regine Zennß
Die landwirtschaftliche Produktionsweise, von der im 18. Jahrhundert noch der weitaus größte Teil der Bevölkerung in Württemberg lebt und die den Alltag der Menschen prägt, ist seit Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmen Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung geworden. (…) Seitens der Behörden wird nach neuen, die landwirtschaftliche Produktivkraft steigernden Konzepten gesucht. (…)
So war es auch Johann Friedrich Mayer (1719-98), Pfarrer zu Kupferzell und „Bauernaufklärer“, ein Anliegen, vor allem die Ernährungsgrundlage seiner Gemeindemitglieder durch Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge zu heben. Er stellte Versuche zur Melioration (Verbesserung) des Bodens an und veröffentlichte seine Ergebnisse 1768 in der Schrift: „Die Lehre vom Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu allen Erd-Gewächsen auf Aeckern und Wiesen, Hopfen- und Weinbergen“. (…) Meyers leidenschaftliches Eintreten für die Gipsdüngung bleibt … nicht ohne Folgen. Das Für und Wider der Gipsdüngung … findet in den verschiedensten Schriften Beachtung. (…)
In insgesamt 10 Orten des Oberamts Herrenberg werden in den Oberamtsbeschreibungen aus dem Jahre 1855 Gipsbrüche erwähnt: So in Breitenholz, Entringen, Gültstein, Kayh, Kuppingen, Mönchberg, Mötzingen, Nufringen, Unterjesingen und Rohrau.
In 18 Gipsmühlen wird der gebrochene Stein1 zu feinem, pulverisierten Düngergips gemahlen. Kayh stellt dabei mit seinen sechs Mühlen, die ebenso wie die meisten, bis auf die Gültsteiner Mühle, mit Pferdekraft angetrieben werden, eine Drittel des Mühlenkontingents. In Rohrau werden bis dahin von den Familien Kienzle und Süßer die beiden Gipsmühlen betrieben. Da in Nufringen die Gipsvorkommen nicht von Bedeutung sind, wird dort das Gipsbrechen bis 1855 wieder eingestellt. (…)
Titelblatt der 1768 erschienenen Schrift: „Die Lehre vom Gyps als einem vorzüglich guten Dung zu allen Erd-Gewächsen auf Aeckern und Wiesen, Hopfen- und Weinbergen, beschrieben von Johann Friedrich Mayer“ (Aus: Von Bauern, Gipsmüllern und Sandhändlern, Gärtringen, 1988)
Die im Oberamt angelegten Gipsbrüche konzentrieren sich entlang dem Schönbuchrand, wo vor allem Keupergips gebrochen wird. Der Gips wird nicht nur für den eigenen Bedarf an Dünger gebrochen, sondern wird per Handel in die nähere und weitere Umgebung abgesetzt.
Neben den Gipsbrüchen sind auch Sandsteinbrüche, die Sand unterschiedlicher Qualität liefern, vorhanden. So wird zum Beispiel in Hildrizhausen und Altdorf Silbersand gewonnen, welcher zum Teil bis in die Schweiz verkauft wird. Ansonsten sind die Sand- und Gipshändler Rohraus mit ihren Wagen in Richtung Schwarzwald und Schwäbische Alb längere Zeit unterwegs. Übrigens, auch in der Rohrauer Amtsstube kommt Hildrizhausener Löschsand2zur Anwendung.
Im Oberamt Herrenberg befinden sich bei weitem nicht die einzigen Produzenten von Düngergips. „Das Königreich Württemberg, eine Beschreibung von Land, Volk und Staat, 1884“ nennt noch zahlreiche weitere Gipssteinbrüche, die entsprechend der weit verbreiteten Keuperformationen im ganzen Land verstreut liegen, und immer wieder werden ergiebige Lager neu entdeckt.
Zwar wird der Gipsabbau in den Gemeinden des Herrenberger Oberamtes längst nicht so intensiv betrieben wie andernorts, doch bringt dieses Gewerbe den Familien den notwendigen Zweitverdienst zur Sicherung ihres eigentlichen Lebensunterhalts aus der Landwirtschaft. Die Oberamtsbeschreibung spricht von einem spärlichen Auskommen. (…)
Gipsbruch Kayh im Jahre 1964 (Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Hans Steinhorst. Signatur: LMZ023318)
Erstveröffentlichung: Von Bauern, Gipsmüllern und Sandhändlern – Aspekte zur Geschichte Rohraus im 19. Jahrhundert, Herausgeber: Gemeinde Gärtringen, 1988
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Gärtringen
Referenz
↑1 | Gips ist eine schwefelreiche Verbindung (CaSO4 2H2O, ein Dihydrat des Kalziumsulfats), die in ihrem SO3-Gehalt an die später üblichen Handelsdüngermittel heranreicht. Der Gips als ein in der Natur gesteinsbildendes Mineral ist weit verbreitet und findet sich hauptsächlich zusammen mit Steinsalz im Zechstein, Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper. |
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↑2 | Löschsand wurde zum Trocknen von Tinte benötigt; der Sand wurde auf das Schriftstück gestreut um die Feuchtigkeit aufzunehmen und dann weggeblasen. |