Notgrabung im Sommer 1959 weist 27 Bestattungen nach
Das keltische Gräberfeld von Nebringen
Autor: Werner Krämer
Das Dorf Nebringen ist wahrscheinlich eine alamannische Gründung des frühen Mittelalters auf der welligen Hochfläche des Oberen Gäus, die hier dank fruchtbarer Böden und des verhältnismäßig milden Klimas schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt war.
Das latènezeitliche1 Gräberfeld fand sich südöstlich des Dorfes auf einer flachen Anhöhe, die einen weiten Ausblick zum Schönbuch und zur Alb bietet (Flur Baumsäcker).
Im Sommer 1959 wurde hier, dicht beim Bahnhof Nebringen, beim Bau einer Umgehungsstrecke der B 14 Erde für die Aufschüttung des Straßendammes abgeschoben. Als man dabei auf menschliche Skelette stieß, bewährte sich die Organisation der Bodendenkmalpflege: Herr Oberlehrer Brosi aus Nebringen verständigte sofort das Landratsamt in Böblingen. Landrat Hess ließ die Planierarbeiten vorläufig einstellen und unterrichtete das Amt für Denkmalpflege in Stuttgart, welches sofort eine Notgrabung in die Wege leitete. Dem Gang der Bauarbeiten entsprechend musste die Untersuchung der Gräber jeweils in großer Eile erfolgen, wobei der steinhart ausgetrocknete Lößboden in dem heißen Sommer 1959 die Grabung erheblich erschwerte. …
Von den Ausgräbern sind 25 Gräber gezählt worden. Außerdem fanden sich Reste einer Frauenbestattung, und als Streufund wurde auf dem Baugelände ein Schwertbruchstück aufgelesen, das aus einem zerstörten Männergrab stammt, so dass insgesamt 27 Bestattungen nachweisbar sind. …
Wenn man alle verfügbaren Anhaltspunkte berücksichtigt, ergibt sich folgendes Bild: 10 der Bestatteten waren Männer oder Knaben, 11 Frauen oder Mädchen und 6 nach dem Geschlecht nicht mehr zu bestimmen. … Die Verteilung der Geschlechter und der Altersaufbau der kleinen auf dem Friedhof bestatteten Menschengruppe sind aus der Tabelle ersichtlich. …
Der Nebringer Friedhof hat zu einer kleinen Siedlung gehört, vielleicht zu einem einzelnen Hof. Nähere Angaben über Einwohnerzahl und die Belegungsdauer des Friedhofes zu machen, ist fast unmöglich, weil das Fundmaterial kaum eine zeitliche Differenzierung erkennen lässt, geschweige denn absolut-chronologische Daten bietet. … Vermutlich ist der Nebringer Friedhof keine hundert Jahre lang vielleicht sogar nur erheblich kürzere Zeit belegt worden.
Ein Blick auf den Friedhofsplan zeigt, dass die Körperbestattungen etwa 6 Gräbergruppen bilden, die durch mehr oder minder große Zwischenräume voneinander getrennt sind. Die Brandgräber (15, 21 und 7) liegen isoliert in den freien Flächen zwischen diesen Körpergrabgruppen. … Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich vier der Gräbergruppen ihrerseits um die mittlere Gruppe I mit dem Häuptlingsgrab 11 gruppieren. Nicht ganz in dieses Bild passt die etwas nach Nordosten abgesetzte Gruppe VI, deren Lage es auch möglich erscheinen lässt, dass die Grabgruppen insgesamt von Nordosten nach Südwesten an einem Weg aufgereiht waren. In jeder Grabgruppe liegen Männer und Frauen bestattet, soweit mehr als drei Gräber beobachtet sind auch Kinder. In allen Gruppen finden sich reicher ausgestattete Gräber, so dass die Gruppierung nicht soziale Differenzierung widerspiegeln kann. Es scheint, dass engere Verwandte gruppenweise beieinander bestattet wurden. …
Zu den spektakulärsten Funden der Ausgrabung in Nebringen gehört dieser nahtlose Eisenhelm aus Grab 11, dem sog. Häuptlingsgrab. Die Funde befinden sich heute im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart. (Foto: Landesdenkmalamt BW)
Von den 25 beobachteten Gräbern des Nebringer Friedhofes waren 21 Körperbestattungen und 4 Brandgräber. Die Körpergräber waren in der Regel von Süd nach Nord ausgerichtet und so angelegt, dass der Tote nach Norden oder genauer gesagt Nordosten blickte. Eine Ausnahme machen die Kriegergräber 2, 5 und 11 und das Kindergrab 20, die ostwestlich gerichtet sind, so dass die Toten nach Westen blickten. Was diese Abweichung vom hier üblichen Ritus bedeutete, ist kaum zu ergründen. …
Die Toten sind in der Regel auf dem Rücken liegend bestattet. Nur im Frauengrab 4 lag die Tote mit dem Gesicht nach unten. Vor allem bei einigen Frauengräbern lagen die Arme angewinkelt auf dem Leib. Der Krieger in Grab 2 hatte die linke Hand auf dem Gesicht liegen.
Die Toten waren in ihrer Kleidung begraben und außerdem in ein Tuch oder in ein Tierfell gehüllt, ehe sie in den Sarg gelegt wurden, eine Beobachtung, die sich auch bei viele anderen Latèneflachgräbern machen lässt. …
Im ganzen gesehen müssen die Brandgräber, von denen etliche, da sie sehr seicht lagen, der Planierung des Geländes zum Opfer gefallen sein können, gleichzeitig mit den Körperbestattungen sein. Es spricht nichts dafür, dass sie eine spätere Schicht auf dem Friedhof bilden. …
Unter den zahllosen uniform ausgerüsteten Kriegergräbern der Latènestufen B und C nordwärts der Alpen, hebt sich das Grab 11 von Nebringen durch den beigesetzten Helm besonders hervor, so dass wir es hier als Häuptlingsgrab bezeichnet haben. Auch der schwere goldene Fingerring unterstreicht die Würde des Kriegers, der, nach den wenigen erhaltenen Skelettresten zu urteilen, wohl ein Mann in reifem Alter gewesen ist. Auf die verhältnismäßig zentrale Lage seines Grabes wurde schon oben hingewiesen.
Selbstverständlich kann diese Bestattung aber nicht in die Reihe der späthallstattzeitlichen und frühlatènezeitlichen Fürstengräber gestellt werden, die durch die Großartigkeit ihrer Anlage und den Reichtum der Ausstattung weit aus der Masse der gleichzeitigen Gräber herausragen und Zeugnis von einer kleinen, regierenden Herrenschicht geben. …
Der im Grab 11 von Nebringen Bestattete muss jedenfalls im Kreise freier, bäuerlicher Krieger zumindest als Primus inter pares eine hervorragende Rolle gespielt haben, die durch die Helmbeigabe unterstrichen wird.
Umso mehr wird man bedauern, dass ausgerechnet dieses Grab bei den Straßenbauarbeiten völlig zerstört worden ist, so dass mit dem Verlust von Funden gerechnet werden muss. Auch die geborgenen Beigaben, gerade auch der konische Eisenhelm, haben größtenteils Schaden erlitten. …
Es ist bemerkenswert, dass auf der Nebringer Flur schon früher Grabfunde zum Vorschein gekommen sind, die zwei weitere älterlatènezeitliche Friedhöfe in der näheren Umgebung des hier besprochenen Gräberfeldes bezeugen. … Die topographische Situation lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass die drei Friedhöfe Teile eines größeren Gräberfeldes sind. Die Funde aus den beiden anderen Gräberfeldern kann man bedenkenlos in die Latènestufe B datieren, in die sich auch das gesamte Material des Friedhofs von 1959 einfügt. … Wahrscheinlich haben hier etwa gleichzeitig drei Höfe ziemlich dicht beieinander gelegen. … Wahrscheinlich sind die Nebringer Höfe ebenso wie die dazugehörigen Friedhöfe im Verlauf der Latènestufe B neu angelegt und auch wieder aufgegeben worden.
Im Gegensatz etwa zum südbayrischen Alpenvorland und Donautal, wo die latènezeitlichen Flachgräberfelder nicht selten kontinuierliche Belegung während der Stufen B und C erkennen lassen, brechen im württembergischen Neckarland, das in der Stufe B dicht besiedelt scheint, fast überall wie in Nebringen die Friedhöfe noch in dieser Stufe ab. Diese Tatsache kann doch am ehesten durch einen Bruch der Siedlungskontinuität erklärt werden. …
Es lag nahe, dass man das Abrechen der Latènefriedhöfe im Neckarland mit der überlieferten Abwanderung der Helvetier aus Süddeutschland und der Helvetiereinöde des Ptolemäus in Verbindung brachte, umso mehr als die hier fast ganz fehlenden Gräber der Stufe C im Schweizer Mittelland, vor allem im Gebiet von Bern, so eindrucksvoll vertreten sind.
Jedenfalls hatten die durch die Flachgräberfelder bezeugten keltischen Siedlungen des Neckarlandes offenbar keinen sehr langen Bestand gehabt. Es scheint sich wie in Nebringen um einzelne Höfe oder Hofgruppen gehandelt zu haben, die von Neusiedlern angelegt und nach wenigen Generationen wieder aufgegeben wurden. Es ist offenbar nicht zur Anlage großer Friedhöfe gekommen, wie wir sie aus der süddeutschen Urnenfelderzeit, der germanischen Eisenzeit oder der späteren Völkerwanderungszeit kennen.
Erstveröffentlichung: Das keltische Gräberfeld von Nebringen. Veröffentlichungen des Staatlichen Amtes für Denkmalpflege Stuttgart, Reihe A, Vor- und Frühgeschichte, Heft 8, Stuttgart 1964.
Der Text wurde gekürzt.
Auszugsweise Veröffentlichung des Textes und der Bilder mit freundlicher Genehmigung des Landesamts für Denkmalpflege BW
Literaturhinweis:
Rieckhoff, Sabine / Biel, Jörg
Die Kelten in Deutschland
Theiss-Verlag GmbH, Stuttgart 2001. (ISBN 3 8062 1367 4)
Referenz
↑1 | Als La Tène-Zeit (450 v. Chr. Anfang 1. Jh. n. Chr. ) bezeichnet man die zweite, auf die Hallstattzeit folgende, keltisch geprägte Periode der europäischen Eisenzeit. |
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