Grenzsteine erzählen Geschichte(n)
Der Stein mit dem Turmwappen bei Sindlingen
Autor: Klaus Philippscheck
Auf dem Gebiet des kleinen Sindlingen haben sich erstaunlich viele Grenzsteine erhalten. Praktisch alle stammen aus dem Jahr 1814, als die neue Besitzerin des Schlossguts, Fürstin Philippine Karoline von Colloredo-Mansfeld, das Recht erwarb, Sindlingen zu einer eigenen Markung zu machen. Ein einziger Stein fällt allerdings aus der Reihe. Er steht im Norden Sindlingens direkt am Waldrand und dokumentiert den Verlauf der Grenz wie er bis 1805 Bestand hatte. Er ist also viel älter als die anderen Steine und trägt als Erkennungszeichen das Wappen eines stilisierten Turms mit drei Zinnen.
Auf der Suche nach der Geschichte, die sich hinter diesem eindrucksvollen steinernen Zeugen der Vergangenheit verbirgt, sollte man einen Blick in die kleine Sindlinger Maurituskirche werfen. Dort befindet sich der Epitaph des Siegfried von Bernerdin zum Bärentum (oder Pernthurn) aus dem Jahre 1782. In dem dort abgebildeten Wappen findet sich nämlich auch genau der Turm mit den drei Zinnen wieder, der auf dem Grenzstein abgebildet ist. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Stein kurz nach 1640 gesetzt wurde, als die Familie Bernerdin in den Besitz Sindlingens gekommen war.
Die Bernerdins waren eine der vielen aus Glaubensgründen aus Kärnten geflohenen Adelsfamilien, die sich im ebenfalls protestantischen Herzogtum Württemberg ansiedelten. Nachdem große Teile der Habsburger Lande nach der Reformation protestantisch geworden waren, kämpften die Habsburger seit Beginn des 17. Jahrhunderts mit härtesten Mitteln um eine Rekatholisierung ihrer Stammlande. Deshalb flohen Tausende in die protestantischen Länder im Norden. Das waren die sogenannten „Exulanten“ – ihre Ziele waren das Frankenland und Württemberg. Im Jahre 1629 kam so auch der Freiherr Andreas von Bernerdin, der im Dreißigjährigen Krieg schwedischer Obristleutnant gewesen war, nach Württemberg. Er konnte schon 1640 dem Herzog das Gut Sindlingen abkaufen. Nicht weit weg waren die Leiningen – auch eine Exulantenfamilie – zu finden. Sie hatten sich auf dem Ihinger Hof bei Renningen niedergelassen. Der erwähnte Baron Siegfried Ehrenreich von Bernerdin starb 1782 und war der letzte männliche Nachkomme der Familie. So kam Sindlingen an Franziska von Leutrum, geb. Bernerdin (1748-1811). Trotz ihrer Abstammung aus niederem Adel lebte sie unter dem Namen einer Reichsgräfin von Hohenheim zunächst als Favoritin an der Seite Carl Eugens, bis sie schließlich nach ihrer Scheidung und dem Tod seiner ersten Frau die zweite Ehefrau des berühmten württembergischen Herzogs wurde.
Grenzstein mit Turmwappen in Sindlingen. Er dokumentiert als einziger Stein noch den Verlauf der Grenze bis 1805. (Foto: Klaus Philippscheck)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Autor, Klaus Phlippscheck, war Lehrer in Sindelfingen und gehört zu den Mitbegründern des zeitreise-BB-Projektes. Seine Interessensschwerpunkte sind die Sindelfinger Stadtgeschichte, insbesondere die Webereigeschichte, sowie die Wiederentdeckung vergessener Sindelfinger Persönlichkeiten. Daneben arbeitete er auch zur Geschichte der Mühlen und der Grenzsteine im Landkreis BB.