Das Kruzifix der Gültsteiner Peterskirche
Autoren: Jürgen Kresin / Andrea Gackenheimer
Als besonderes Kleinod der Peterskirche gilt das große Kruzifix, welches heute über dem Südportal an der Wand hängt. Lange Zeit wusste man nichts über dieses Kreuz, man vermutete sogar, dass es erst nach dem Brand von 1784 in die Kirche kam, eventuell sogar aus einer anderen Kirche stammte. Erst durch den Restaurator Karl Schmid aus Mössingen konnte 1985 das Geheimnis um das Alter der Holzschnitzarbeit gelüftet werden.
Bei seinen Untersuchungen entdeckte der Restaurator auf der Rückseite des Querbalkens die Jahreszahl 1598 sowie Buchstaben auf der Rück- und Vorderseite des Kreuzbalkens. Damit war zumindest das Alter des eichenen Kreuzes geklärt (Maße: 2,34 m x 1,98 m). Ob nun der Korpus zur gleichen Zeit wie das Eichenkreuz geschaffen wurde, musste durch Freilegungsproben bewiesen werden.
Es stellte sich heraus, dass die aus Lindenholz geschnitzte Skulptur außer der originalen Bemalung mit sechs weiteren Malschichten versehen worden war. Die erste Fassung, ein grünliches Inkarnat (Fleischesfarbe) mit dunklem Blut, wurde direkt ohne Grundierung auf das Holz gebracht. Dies deutet auf eine handwerklich sehr gute Arbeit hin. Eine zweite Fassung, helles rosa Inkarnat mit dunklem und hellem Blut, wurde schließlich 1777/1778 durch eine bräunliche Fassung mit sattem, rotem Blut abgelöst.1 Restaurator Schmid entschied sich zur Freilegung dieser drittältesten Fassung ,da sie eine Harmonie zwischen farbiger Fassung und plastischer Formgebung darstellt und einen markanten Blutverlauf zeigt. Einige Zehen und Finger mussten von ihm bildhauerisch ergänzt werden, da sie vermutlich bei der Rettung des Kreuzes aus der brennenden Kirche 1784 abgeschlagen wurden.
Die nächsten vier Fassungen, die bei der Restaurierung abgenommen wurden, bestanden aus satten, einfachen Anstrichen des Körpers, die der ausdrucksvollen Schnitzarbeit nicht gerecht wurden. So wurde die Skulptur sechs Jahre nach dem Brand einfach bräunlich angestrichen ohne irgendwelche Blutspuren. Die nächsten drei Erscheinungsbilder ändern sich von hellgrauer Bemalung mit wenig grellrotem Blut, über eine gelbliche Fassung mit wenig dunklem Blut (um 1900) bis hin zur letzten Fassung der 50er Jahre, einem durchgehend weißen Anstrich mit rötlich gelber Lasur.2
Das über 230 cm hohe Kruzifix über dem Südportal in der Gültsteiner Peterskirche stammt aus dem Jahre 1598. Angesehene Bürger stifteten die Skulptur nach dem Ende einer Pestepidemie.
Nach Abschluss der Untersuchungsarbeiten konnte man schließlich mit Gewissheit behaupten, dass die Figur und das Kreuz zu keiner Zeit voneinander getrennt waren und deshalb beide auf das Jahr 1598 datiert werden können. Auch für die INRI-Tafel waren keine Spuren einer späteren Anbringung erkennbar. So ist das große Holzkruzifix zu einer Zeit entstanden, aus der in unserer Gegend nur wenige künstlerische Zeugnisse bekannt sind, zumal in dieser Größe. 1597 war in Gültstein nämlich die Pest ausgebrochen. Vor allem Kinder und ältere Menschen fielen ihr zum Opfer. Als die Pestwelle 1598 endlich vorüber ging, ließen angesehene Bürger das große Kruzifix zum Dank errichten. 1598 bezeichnet also das Stiftungsjahr und die Buchstaben stellen die Initialen der Stifter dar. Leider konnten nur zwei Inschriften aufgelöst werden:
Auf der Vorderseite des Kreuzes unterhalb der Füße finden wir den Namen des damaligen Pfarrers: „MIS“= Magister Johannes Schweizer, Pfarrer von 1589 bis 1621. Auf der Rückseite des Kreuzes sind die Initialen „MF“, Martin Frick, damaliger Schultheiß eingeschnitzt.3
Es ist anzunehmen, dass das Kreuz ursprünglich frei im Chor gestanden hat, vermutlich an der Stelle des Hochaltars.4 Seinen heutigen Platz erhielt das Kruzifix 1790, wie in den Kirchenbüchern zu lesen ist:
„Math. Schweickhardt, Maurer, hat ferner das bei dem Brand gerettete Cruzifix und 1 Epitaphium wiederum gepuzt und mit Oelfarbe frisch angestrichen und solche mit eisernen Kloben aufgenagelt.“
Detailaufnahme des Christuskopfes. Der Restaurator entschied sich für die Farbfassung aus dem Jahre 1777/78 mit bräunlicher Hautfarbe und sattroten Blutspuren. (Aus: Die Peterskirche in Gültstein, Herrenberg, 1991)
Quelle: Die Peterskirche in Gültstein. 1091 – 1991, hrsg. von der Ev. Kirchengemeinde Gültstein, Herrenberg 1991.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der Kirchengemeinde Gültstein.
Referenz
↑1 | In der Heiligenrechnung dieser Zeit ist zu lesen: „das Kruzifix mit guten Oelfarben zur Eindunklung gemahlt, auch die Umschürzung an dem Kruzifix verguldet“. |
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↑2 | Das besonders schöne Lendentuch hatte durch alle Zeiten eine gleiche Fassung, nur auf jeweils andersfarbigen Untergründen: eine Glanzvergoldung. Der Kreuzbalken hatte insgesamt vier verschiedene Fassungen und die geschnitzte INRI-Tafel fünf. |
↑3 | Nicht aufgelöst sind die Initialen „BH“ auf der Vorderseite (der Künstler?) und die beiden Kombinationen „MH“ und „PL“ auf der Rückseite (ev. Namen von Mitgliedern des Gültsteiner Rats). |
↑4 | Dafür spricht, dass sowohl die Christusfigur als auch das Kreuz auf der Rückseite voll ausgearbeitet wurden und die erwähnten Inschriften tragen. Außerdem sind keine Spuren von Befestigungen zu erkennen. Folglich kann das Kruzifix weder im Chorbogen, schon in Anbetracht seiner Größe, noch an irgendeiner Seitenwand gehangen haben. Schnittstellen und Farbreste jüngerer Fassungen beweisen, dass der Kreuzbalken nach dem Brand von 1784 gekürzt wurde. |