Zur sozialen und wirtschaftlichen Situation Haslachs im 19. Jahrhundert
„Mittelbesitz“ statt Kleinwirtschaft
Autor: Walter Gerblich
An der landwirtschaftlichen Struktur unseres Dorfes ist beachtlich, dass im Gegensatz zu weiten Teilen des Landes, … „Haslach allein der Kleinwirtschaft bis jetzt mit ziemlichem Erfolg widerstanden hat; es weist ihr nur 25 Prozent landwirtschaftlichen Areals zu, 17 andere Orte des OA Herrenberg 40 Prozent. Wir zählen aber immerhin nur 7 Markungen, welche nach den ländlichen Begriffen entschieden größeren Besitz von 10 und mehr Hektar 30 Prozent Areals und darüber vorbehalten„. Haslach und Pfäffingen stehen mit 40 Prozent obenan und behaupten also nach damaliger Wertung „Mittelbesitz“.1
Und trotzdem, so stellt Prof. Heitz, Hohenheim, [1883] weiter fest, basiert die Ehe gemäß dem altwürttembergischen Güterrecht auf dem Grundsatz der Errungenschaftsgemeinschaft. Was in diese Ehe gebracht und während derselben erworben oder ererbt ist, wird Gesamtgut der Eheleute, fällt aber mit dem Tode des einen Ehegatten, falls nicht Nutznießung vorbehalten ist, auseinander, um alsbald realiter geteilt zu werden. Die Teilung erfolgt dann entweder frei nach unter den Erben vereinbarten Sätzen oder – was bei minderjährigen Erben geschehen muss – nach einem Anschlag, welchen das Waisengericht, eine Abteilung des Gemeinderats, auf Grund der laufenden Preise vorzunehmen hat, zuletzt durch öffentliche Versteigerung.
Die nächste Folge des ehe- und erbrechtlichen Systems ist die Notwendigkeit einer Rekonstruktion des Besitzes durch jede Familie. Jedes Ehepaar fängt mit den wenigen Grundstücken an, welche ihm, wenn irgend möglich, von beiden Seiten her als Aussteuer gegeben werden, und muss nun allmählich durch Zukauf anderer Feldstücke auf den Bestand der ursprünglichen elterlichen Wirtschaft („mittlere Größe“) wieder zu gelangen suchen. Und wirklich gelingt das bei der ausgesprochenen Vorliebe für die Anlage des Vermögens in Grund und Boden verhältnismäßig leicht, wenn nur die ökonomischen Regeln eingehalten werden. …
Die Umwandlung des Landbesitzes wie die beginnende Industrialisierung bringt eine Verminderung des Nebenverdienstes, stärkere Abwanderung wegen der lohnenderen Arbeit in den Städten, aber auch weitere Auswanderung mit sich. Die Sitten lockern sich, die Armut steigt, obwohl man noch 1880 von einer „vermöglichen geordneten Bauerngemeinde mit Licht- und Schattenseiten“ spricht, wobei das fremde Gesinde sich nicht zum Vorteil der Sittlichkeit erweise. Zuvor bereits hatte der Pfarrbericht von 1862 von einer „Geldaristokratie“ gesprochen, die gegenüber Armen und Auswärtigen nicht frei von Stolz und Übermut sei.2
1840 wird nur die halbe Ernte gemeldet. Die [Zehnt-]Ablösungsschwierigkeiten kommen hinzu. Im genannten Jahr wird außerdem von einer länger andauernden Nervenfieber-Krankheit berichtet, die nur sechs Häuser verschont habe.
Während man anfangs sich immer noch mit Besuchen, Plaudereien und Spinnen „zum Licht im Haus„, später bei Petroleumlampen bei einem Nachbarn versammelte und so die langen, dunklen Stunden vor allem des Winters verbrachte, wächst die Trunksucht, die man 1880 in 5 (!) Gastwirtschaften befriedigen kann. Früher gab es nur eine, später zwei.
Schon 1840 war Konrad Kohler zum „Trinkgeschirr-Visitator“ bestimmt worden, um jährlich 2 bis 3mal zu unbestimmten Zeiten unter Aufsicht des Accisors3 Jakob Ulmer mit Zuziehung eines Gemeinderats-Mitglieds bei dem Wirt das Geschirr zu überprüfen. – Am 23. 12. 1846 beschloß der Gemeinderat: Da der Bürger und Bäcker Joh. Martin Koch trotz wiederholter Mahnung vor dem Gemeinderat und Arrest immer wieder volltrunken sei, Frau und Schwiegermutter bedrohe, bestehe die Gefahr des Säuferwahns. Der Hirschwirt Schneider dürfe ihm nichts mehr zu trinken geben.
Im allgemeinen herrscht wenig gesellschaftliches Leben; seit 1896 gab es einen Kriegerverein.
Die nächsten Jahrzehnte prägt die Persönlichkeit von Schultheiß August Reichert (seit 22. 10. 1896) das Ortsgeschehen. Er ist „militärisch geschult, kirchlich gesinnt“. Die Jugend zeigt weiter ein „läppisches Wesen“ (1888) und bei ihrem „Herumziehen Mangel an Ehrerbietung“.
Quelle: Walter Gerblich, 1200 Jahre Haslach. Geschichte eines schwäbischen Dorfes im Oberen Gäu. Hrsg.: Stadtverwaltung Herrenberg, Herrenberg 1976. (Veröffentlichungen des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V., Band 12), S. 53-54.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Herrenberg und des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.