Adolf Friedrich Heim und die Heiligenquelle in Hildrizhausen
Geplatzte Träume vom Kurort
Autorin: Brigitte Popper
Wahrscheinlich muss von auswärts einer kommen, der die Idee aufbringt, das Wasser, das schon seit Jahrhunderten die Hildrizhausener versorgt, als Heilwasser zu verkaufen. Denn die gute Qualität der Heiligenquelle, die in reichlicher Fülle westlich vom Dorf in mehreren starken Quellen entspringt, ist bekannt. Die Quellen versorgen schließlich zuverlässig den sechsröhrigen Brunnen und noch fünf weitere Schöpf- und Pumpbrunnen mit vortrefflichstem Trinkwasser. Auch eine Trinkhalle und ein Kurhaus mit Badebetrieb sowie ein Kurhotel stehen zur Diskussion und werden ernsthaft geplant – Bad Hildrizhausen! Daraus wird dann doch nichts. Die anfängliche Euphorie zerstören Kriege und chemische Analysen. Ein öffentliches Freibad bleibt den Hildrizhausenern. Es ist das zweite im Amtsbezirk Herrenberg, 1935 eingeweiht, in den Jahren 1960 und 1994 grundlegend erneuert.
Adolf Friedrich Heim (1836-1912) kommt 1864 als Junglehrer und Amtsweser ins Dorf und unterrichtet bis 1868 die Kinder von Hildrizhausen. Regelmäßig vor dem Glockenläuten trinkt er das Wasser des Heiligenbrunnens und spürt mit der Zeit den Rückgang seines Kropfes. Nach seiner Pensionierung befasst er sich mit der wirtschaftlichen Nutzung des Wassers. Er schließt am 4. Juni 1908 mit der Gemeinde einen Vertrag, der ihm als einzigem erlaubt, unbegrenzt Wasser zu einem niedrigen Pachtzins von 50 Reichsmark zu entnehmen und nach auswärts zu verkaufen. Auch das Wasser für ein geplantes Kurhaus wird ihm zugesichert. Zwei Jahre später nimmt Heim den Karlsruher Kaufmann Karl Winnewetter mit ins Boot. Ein neuer Vertrag wird geschlossen, der die Entnahme von 3000 l pro Tag zu einem jährlichen Pachtzins von 10.000 Mark festschreibt. Übersteigt die Entnahme 500.000 Liter jährlich, fallen zusätzlich 1,5 Pfennige pro Liter an.
Trotz kaufmännischer Unterstützung floriert das Geschäft nicht. 1912 löst die Gemeinde den Vertrag, der eigentlich auf vierzig Jahre abgeschlossen war, weil Heim seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Er und seine Frau behalten jedoch das Recht, lebenslang unentgeltlich Wasser zu beziehen. Am 25. August stirbt Heim, seine Frau Anna Maria kann dieses Recht noch bis zu ihrem Tod 1931 in Anspruch nehmen.
Adolf Friedrich Heim ist eher der Typ des schwäbischen Tüftlers als der eines Schulmeisters. Kaufmännische Fähigkeiten gehen ihm vollends ab. Der Sohn eines Metzgers wird am 28. April 1836 in Bissingen an der Enz im Gasthaus Sonne in der Brückenstraße geboren. Er zeigt früh Interesse am Handwerklichen, ergreift dann aber den Lehrerberuf. In 23 Orten übt er seinen Beruf aus. 1872 heiratet er in Dürrwangen, Kreis Balingen Anna Maria Dreiz, mit der er sieben Kinder zeugt. Die jüngste Tochter lebt bis 1964 im obersten Stock des Hildrizhausener Pfarrhauses.
Adolf Friedrich Heim im Alter von 39 Jahren mit Ehefrau Anna Maria geb. Dreiz, der ältesten Tochter Anna und seiner Schwiegermutter. (Foto: Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen)
Zur Nutzung des Heilwassers entwickelt Heim eine Flaschenabfüllmaschine, die er sich 1903 mehrfach patentieren lässt. Diese Maschine soll in der Lage sein, innerhalb von 10 bis 15 Minuten bis zu 99 Flaschen von außen und innen zu reinigen, zu füllen und durch Druck zu verschließen. Gebaut wird diese Abfüll- und Reinigungsmaschine nicht. Sie ist eine der letzten von Heims zahlreichen Erfindungen, die ihn eine Menge Geld kosten, aber ausnahmslos nicht realisiert werden. Dabei sind seine Erfindungen durchaus praktisch und suchen Lösungen für die Probleme der Zeit. Unter dem Eindruck des deutsch-französischen Krieges hat er 1872 eine Defensivwaffe für die Infanterie erfunden, die aus einem Schild aus Gusseisenblech bestehen und Soldaten vor Kugeln schützen sollte.
Der beginnende Automobilverkehr 1885 fährt der erste Benz über Mannheimer Straßen inspiriert ihn zu einem Apparat zur Verhütung des Staubs bei Automobilfahrten. Auch ein Patent über Elastikersatz für Pneumatik für Fahrräder und Motorwagen soll das neue Reisen bequemer machen. Zwischen 1908 und 1910 korrespondiert er mit den Hüttenwerken Wasseralfingen wegen dem Bau eines Unterseebootes.
Eine Erfindung beschäftigt ihn sein Leben lang: das lenkbare Luftschiff. 1881 meldet er seine Idee zum Patent an, siebzehn Jahre vor Ferdinand Graf Zeppelin. Man kann darüber spekulieren, was Heim an der Luftschifffahrt fasziniert. Möglicherweise sind Kriegsberichterstattungen der Anlass. Dem französischen Minister Gambetta war es nämlich 1870 gelungen, mittels eines Freiballons aus dem von deutschen Truppen umzingelten Paris zu entkommen. Versuche zur Eroberung des Luftraums hat es schon zahlreiche gegeben: Im Jahr 1783 unternahmen die Brüder Montgolfier eine erfolgreiche Fahrt mit dem Heißluftballon. 1852 stieg Henri Giffard in Paris zum ersten Mal mit einen von Dampfkraft getriebenen Luftschiff auf.
Der Grundgedanke von Heims Konstruktion besteht aus einer Gondel, die durch einen Propeller fortbewegt wird, Richtungsänderungen sollen Seitenruder leisten und Luftpumpen einen Antrieb bewirken. Ob das Luftschiff jemals fliegen würde, ist fraglich. Vieles ist zu der Zeit technisch nicht umsetzbar. Aber ohne Frage fehlt es Heim an den entsprechenden Investoren, seine Erfindungen umzusetzen.
Zeichnung (Detail) Heims zur Patenturkunde vom 19.August 1903 für eine Vorrichtung zum Reinigen, Füllen und Verschließen von gefüllten Flaschen. (Foto: Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen)
Die Vermarktung des guten Wassers ist mit Heims Rückzug aus dem Geschäft keinesfalls gestorben. Als Pächter und Vertreiber des Quellwassers tritt nun die Familie Volz in Erscheinung. Augustin Volz schließt am 13. März 1912 mit der Gemeinde einen neuen Nutzungsvertrag. Ab 1933 treten die beiden Töchter Berta Volz und Elsa Braitmayer die Nachfolge an. Die vertraglichen Vereinbarungen über Preis und Abnahmemenge ändern sich im Lauf der Jahre ständig. Doch aus allen Verträgen wird das Bemühen der Gemeindeverwaltung deutlich, die Gemeindebewohner am Nutzen und Erfolg des Wassers teilhaben zu lassen. So beziehen z.B. alle Einwohner und Touristen bis ins Jahr 1936 das Heilwasser unentgeltlich. Danach kostet die Flasche 5 Pfennig. Auch darf die Wasserentnahme nie zum Nachteil der Allgemeinheit geschehen. Bei großer Trockenheit reduziert sich die Wassermenge, wie z.B. im Sommer 1964. Die Qualität und der Reichtum an Wasser bieten der Gemeindekasse also beständige Einnahmen.
Die Vision vom Kurort Bad Hildrizhausen ist auch nicht aufgegeben. Im Jahr 1922 beschließt der Gemeinderat, 70 Hektar Land zum Bau eines Kurhauses zur Verfügung zu stellen. Als Investor tritt Karl Glaser auf. Er lebt zu der Zeit in Stuttgart und bezeichnet Hildrizhausen als seinen Heimatort. 1928 bekräftigt der Gemeinderat erneut seinen Beschluss von 1922. Glaser hat inzwischen einen Architekten mit der Bauplanung beauftragt. Doch die Realisierung liegt weiterhin auf Eis. Sicherlich durchkreuzt die Weltwirtschaftskrise, die durch den Absturz der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 ausgelöst wird, die Pläne zum Kurhaus. Zwar bekräftigt Karl Glaser 1936, der nun in der Finanzmetropole New York lebt und arbeitet, seine Pläne in Hildrizhausen. Das Kurhaus wird dennoch nicht gebaut.
1937 lehnt der Landesfremdenverkehrsverband Württemberg-Hohenzollern die Anerkennung als Kurort ab, da die entsprechenden Einrichtungen fehlen. 1939 beginnt mit dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg. 1940 verbietet das Landratsamt Böblingen die Bewerbung des Hildrizhausener Wassers als Mineralwasser. Die Reichsstelle für Bodenforschung in Stuttgart kann in einer chemischen Untersuchung keine nennenswerte Konzentration von Mineralien feststellen. Der Begriff „Brunnen“ darf nicht mehr verwendet werden. Das Wasser von Hildrizhausen sei schlicht Tafelwasser, wenn auch von reiner und hervorragender Qualität.
Dieses Gutachten ist das Aus für Bad Hildrizhausen. Kein Heilwasser, kein Kurhaus, kein Kurhotel, kein Kurort. Ganz so überraschend ist dieses Ergebnis chemischer Analysen jedoch nicht. Schon frühere Untersuchungen haben keine besondere Wasserqualität festgestellt. Das erste Gutachten von 1893 spricht von einem reinen, aber harten Wasser ohne nennenswerte Bestandteile, zum Waschen und Kochen gut geeignet, zum Trinken für empfindliche Mägen allerdings nicht. 1909 ist es als durchschnittliches, reines Quellwasser eingestuft. 1959 darf das Wasser als „Tafelwasserquelle Heiligenbrunnen“ abgefüllt werden, bis 1988 als Sprudel.
Ein Projekt wird realisiert, das im Zusammenhang mit der Vision von „Bad Hildrizhausen“ steht: das Freibad. Am 30. Juni 1935 eingeweiht, kann sich die verhältnismäßig kleine Gemeinde Hildrizhausen rühmen, das zweite Freibad im Oberamt nach Herrenberg zu haben.
Hildrizhausener Heiligenquelle Wasserflasche mit der Aufschrift „Erstklassiges Tafel- und Gesundheitswasser. (Foto aus: 900 Jahre Hildrizhausen, Hildrizhausen 2015, S. 51)
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin, der Gemeinde Hildrizhausen und des Stadtarchivs Bietigheim-Bissingen
Literaturhinweise
Helmut Orth, Adolf Friedrich Heim aus Bissingen. Lehrer, Erfinder, Dichter. In: Blätter zur Stadtgeschichte, 5/1986, S.133140.
Petra Stroh-Mayer, Adolf Friedrich Heim – das „Cleverle“ vom Enzufer (1836 – 1912). In: Die Holzkloben, Bietigheim-Bissingen 2009, S. 59 64.
Zum 900jährigen Ortsjubiläum erschien 2015 die reich bebilderte Ortschronik 900 Jahre Hildrizhausen – Reise durch 900 Jahre lebendige Geschichte unserer Gemeinde, Hg.: Gemeinde Hildrizhausen, Text: Brigitte Popper, Redaktion: Marcello Lallo (ISBN 978-3-00-047637-2)