Königliche Hofjagd bei Dätzingen im Jahre 1810
Autor: Siegfried Greiner
Die meisten der württembergischen Landesherren waren leidenschaftliche Jäger. Das Jagdrecht auf das Großwild stand seit Ende des Mittelalters fast ausschließlich dem Landesherren zu. Vielfach wurde in einem Waldgebiet mehrere Jahre überhaupt nicht gejagt, damit bei der Jagd möglichst viel Wild auf einmal erlegt werden konnte.
Der Reiz einer Hofjagd bestand nicht nur an der Lust am Jagen, Essen und Trinken für den Fürsten und die geladenen Gäste, sondern auch in dem besonderen gesellschaftlichen Ereignis. (…)
Das Wild wurde in weitem Umkreis herangetrieben und in ein festungsartiges, aus Balken errichtetes offenes Gebäude gescheucht, das mit Pforten und Kammern versehen war. Der Anblick der immer dichter sich zusammendrängenden Wildherde muss ein eigenartiges, schaurig-schönes Bild gewesen sein. Die verängstigten Tiere wurden mit Fanfarenstößen und einer laut schmetternden Musikkapelle empfangen, so dass die Aufregung noch gesteigert wurde.
An einer geeigneten Stelle war für den Fürsten der sogenannte „Schirm“ errichtet: ein pavillonartiges Gebäude, das mit Geweihen geschmückt und mit aller notwendigen Bequemlichkeit ausgestattet war; es diente dem Landesherrn als Abschussplatz, hier speiste er auch an einem üppig gedeckten Tisch. Das Abschießen der Tiere wurde so lange fortgesetzt, wie es dem Jagdherrn gefiel; das überlebende Wild wurde in die Freiheit gelassen.
Ein Augenzeuge soll uns über die Hofjagd berichten, die am 25. Juni 1810 auf Anordnung des dicken Königs Friedrich zwischen Dätzingen und Ehningen stattfand. Der Fürst kam mit großem Gefolge nach Dätzingen. Dort übernachtete er im Schloss, das er vor wenigen Monaten dem Generalleutnant Ludwig Freiherr von Dillen geschenkt hatte. Dieser hohe Offizier stand sehr in der Gunst seines Herrn, denn einige Wochen zuvor war der König mit einem Gefolge von 80 Mann zum Geburtstagsfest des späteren Grafen in Dätzingen erschienen.
Der Augenzeuge, Gottfried Ferdinand Staelin, stammt aus einer der vornehmen Calwer Handelsfamilien. Er war Angestellter und später Teilhaber bei seinem Bruder Jakob Friedrich Staelin, dem führenden Kopf der Calwer Holzhandelkompanie.
„Festinjagen“ im Schönbuch. Das sog. Dianenfest bei Bebenhausen am 12. Nov. 1812 war Höhepunkt der Festlichkeiten zum Geburtstag König Friedrichs I. Bild von J. B. Seele (Forstdirektion Tübingen)
G. F. Staelin schreibt in einem Brief an einen Freund:
„An diesem Tag (25. Juni 1810) war große Jagd zwischen Dätzingen und Ehningen, die drei Wochen lang täglich 4-5000 Menschen beschäftigte. Nicht nur die ganze hiesige Noblesse, … sondern beinahe alles aus der umliegenden Gegend … und sogar mehrere Gesellschaften von je 20 – 30 Personen von Stuttgart fanden sich ein, so dass die Gerüster, die für die zuschauenden Honoratioren errichtet wurden, beinahe nimmer alle fassen konnten. Alles was zu Wagen oder zu Pferd kam, führte seine eigene kalte Küche nebst dem erforderlichen Weine bei sich, so dass es um die Mittagszeit aussah, als wäre man in einem Lager, denn alles machte sich von den Gerüstern herunter ins Freie, um zu essen und zu trinken. Während dies geschah, ließen wir unsere bisherigen Standpunkte durch Landreiter bewachen, um den herandringenden zahlreichen Pöbel davon zurückzuhalten.Die Jagd selbst war sehenswürdig; es wurden über 60 Hirsche, sehr viele wilde Schweine, Rehböcke usw. erlegt … und der König schien sehr vergnügt gewesen zu sein. Um sechs Uhr abends war der Spaß vorbei; nun ging’s wieder nach Dätzingen zurück, wo abends Theater war. Ehe dieses aber geöffnet wurde, machte der Akteur Vincens verschiedene lustige Farcen; er ritt z.B. … in roten Strümpfen und einer Perücke, die einen ungeheuer großen Haarbeutel hatte, in den Anlagen herum, wobei letzterer durch das schnelle Reiten immer in der Luft schwebte, worüber auch der gleichmütigste Zuschauer herzlich lachen musste… .Wie nun die Komödie beendet war, und der König bereits an der Tafel saß, supplicierte (bat) Vincens schriftlich bei ihm um eine Belohnung…. Der König nahm das Memorial (Bittschrift) auf, las es durch, äußerte aber, er möge jetzt für den Augenblick das Dekret nicht ausfertigen lassen, weil er nicht gerne von der Tafel aufstehen möchte. Vincens ließ ihm aber keine Ruhe, bis solches geschrieben wurde; … .Um dem König die Bequemlichkeit zu verschaffen, dieses Dokument unterschreiben zu können, ohne aufstehen zu müssen, bot ihm Vincens den Rücken dar, auf dem er alsdann seinen „Friedrich“ darunter setzte …“. Die hier beschriebene „große Jagd“ (sog. „Festin-Jagd“) sollte eine der letzten dieser Art in Württemberg sein. Im Verfassungskampf des Jahres 1815 stand als wichtigster Punkt in der Beschwerdeschrift der Landtagsabgeordneten der Wildschaden und die ungebührlichen Jagdfronen der Untertanen. König Friedrich trat den stärksten Auswüchsen der Riesenjagden entgegen und bestimmte:
1. Der Wildbestand in allen Forsten des Königs soll der Waldfläche so angepasst sein, dass kein Wild mehr genötigt sei auf den Güter der Untertanen Nahrung zu suchen. Alles Wild, das außerhalb des Waldes angetroffen wird, soll ohne Rücksicht auf die Jahreszeit abgeschossen werden. 2. Das Schwarzwild, das sich auf keine Waldungen beschränken lasse und deshalb auch in geringer Zahl schädlich sei, soll – außer in den Waldtiergärten – gänzlich ausgerottet werden. 3. Jede rechtlich unzulässige Beanspruchung der Untertanen zu Jagdfronen (was bei großen Jagden nicht zu vermeiden war) soll streng bestraft werden. Damit waren Hofjagden in dieser Form nicht mehr möglich, und die Mehrzahl der Einwohner Württembergs freute sich über den Beschluss des Königs.
Der „dicke Friedrich“ in vollem Ornat. Gemälde von J. B. Seele aus dem Jahre 1806. Friedrich I. regierte Württemberg zunächst als Herzog (1797-1803), als Kurfürst (1803-05) und als König (1805-16) (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg) © Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Dieter Jäger. Signatur: LMZ003976)
Erstveröffentlichung: „Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten“, 9/1963
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.