Der Herrenberger Dekan Heerbrandt war ein Gegner der Kalenderreform
Evangelische zählten die Tage anders
Autor: Hans-Dieter Frauer
Nach der Reformation zählte man in Württemberg die Tage anders, da man die Kalenderreform von 1582 nicht mitmachen wollte. Sie war vom Papst verfügt worden, der damals – es ist die von gegenseitiger Polemik gekennzeichnete Zeit in den Jahrzehnten nach der Reformation – für die Evangelischen als der Antichrist schlechthin galt. Wollte der Papst etwas, so war allein das schon Grund genug, es auf evangelischer Seite abzulehnen. Das zeigt sich anschaulich an der Kalenderreform. Jakob Heerbrandt, erster Dekan in Herrenberg, stand an der Spitze des Widerstandes gegen die in seinen Augen „päpstliche Schändlichkeit“, in der er „ein Werk des Teufels und Antichrists, des Lügners und Menschenmörders“ sah. Heerbrandts Polemik ist es mit zuzuschreiben, dass die Evangelischen fast 200 Jahre ihren eigenen Kalender hatten und die Konfessionen fast beziehungslos neben einander her lebten.
Ab dem Jahre 1534 war das damalige, etwa 280.000 Einwohner zählende Herzogtum im Sinne des neuen Glaubens umgestaltet worden. Was man als Missbrauch empfand, wurde beseitigt, dafür erhielt das Land eine Pfarrerschaft, die als die anerkannt beste im gesamten deutschsprachigen Raum galt und ein vorzügliches Schul- und Bildungssystem. Württemberg – mit 17jähriger Verzögerung nach dem Thesenanschlag für den neuen Glauben gewonnen – wuchs rasch in eine protestantische Führungsrolle hinein. Das war mit das Verdienst von Jacob Heerbrandt.
Er wurde 1521 – also vier Jahre nach dem Thesenanschlag von Martin Luther – geboren; er gehört damit bereits der zweiten Generation evangelischer Theologen an. Die wachsen bereits mit dem evangelischen Glauben auf und ihnen ist es wichtig, den wahren (evangelischen) Glauben festzuschreiben um die reine Lehre unverkürzt zu erhalten. Das nennt man die lutherische Frühorthodoxie und Heerbrandt ist einer ihrer wichtigsten Vertreter.
Der Handwerkersohn aus der damaligen Reichsstadt Giengen a.d. Brenz studierte von 1538 bis 1543 in Wittenberg bei Martin Luther und Philipp Melanchthon Theologe; er fiel schon damals auf als hochbegabt, fleißig und fromm. Schon als Kind hatte er die ganze Bibel durchgelesen. Melanchthon schätzte ihn hoch, dank seiner Empfehlung wurde er 1544 Diaconus (zweiter Pfarrer) in Tübingen.
1550 wurde er – zwischenzeitlich zum Dr. theol. promoviert – erster Dekan des neu entstandenen Dekanats Herrenberg, das man vom übergroßen Kirchenbezirk Nagold abgetrennt hatte. Hier betraute man ihn mit ungemein wichtigen Aufgaben. So hat er während seiner Amtszeit in Herrenberg am Konzil in Trient teilgenommen. Er war einer der Begleiter von Johannes Brenz, als dieser im März 1552 nach Trient reiste, um dort den ersten (und letzten) ernsthaften Versuch zu unternehmen, die zerbrochene Glaubenseinheit doch wieder herzustellen. Die Evangelischen wurden aber nicht einmal offiziell angehört.
Ab 1556 hat Heerbrandt in der damaligen Markgrafschaft Baden-Durlach die Reformation eingeführt, 1557 wurde er in Tübingen Professor der Theologie. Er war ein kluger Kopf, ein sehr selbständiger Denker und er hat ungezählte und viel beachtete wissenschaftliche Veröffentlichungen vorgelegt. Dabei war er ein unabhängiger und sehr selbständiger Denker: so war er ein mutiger Gegner der damals üblich gewordenen Hexenverfolgungen. Heerbrandt im In – und Ausland hoch angesehen, er blieb aber seiner schwäbischen Heimat verbunden und er hat durchaus ehrenvolle und finanziell höchst attraktive Angebote etwa aus Heidelberg, Jena und Marburg ausgeschlagen. In Tübingen wurde ihm 1561 die erste Predigerstelle an der Georgskirche und die Superintendentur am Stift übertragen; acht Mal bekleidete er das Rektorat. 1590 wurde er zum Kanzler der Universität und zum herzoglichen Rath ernannt. 1598 – nach über vier Jahrzehnten angestrengter wissenschaftlicher Arbeit – legte er alle seine Stellen und Würden nieder, am 22. Mai 1600 starb er.
Die Tübinger Universität war wenige Jahrzehnte nach der Reformation zum Hort der lutherischen Orthodoxie (=Rechtgläubigkeit) geworden, sie wahrte nach Kräften die „reine Lehre“ und wehrte alles ab, was diese zu gefährden schien. So wurde sie – dank Heerbrandt – auch zum Wortführer gegen den 1582 eingeführten Kalender, weil dieser von einem Papst stammte. Auf Heerbrands Wüten gegen diese „papistische Schändlichkeit“ ist es mit zurückzuführen, dass Evangelische und Katholische in Deutschland ihre Tage nach einem jeweils anderen Kalender zählten. Die Kalenderentscheidung wurde zur Glaubensfrage hochstilisiert; das hatte zur Folge, dass in Deutschland – besonders ausgeprägt in dem territorial stark zersplitterten süddeutschen Bereich – Evangelische und Katholische schließlich völlig beziehungslos nebeneinander her lebten.
Bei der Kalenderreform wurde der von Julius Caesar im Jahre 46 vor Christus eingeführte „Julianische Kalender“ durch den – besseren – Gregorianischen ersetzt, der Sonnestand und Mondumlauf neu aufeinander abstimmte – was für die Berechnung des Osterfestes ungemein wichtig war. Vom bisherigen Kalender fielen elf Tage aus, ferner wurden die Schaltjahre neu geordnet. Der Gregorianische Kalender wird erst in 3.300 Jahren eine Zeitverschiebung von einem einzigen Tag gegenüber dem Sonnenstand bringen, so genau ist er. Dennoch gab es im damals evangelischen Bereich von Anfang an Widerstände gegen ihn, weil er als Werk des Papstes verschrien war. Geistiges Zentrum der Kalendergegner war die Universität Tübingen.
Dort beschimpfte Heerbrand den neuen Kalender als „Werk des Teufels und Antichrists, des Lügners und Menschenmörders“. Gemeint war damit der Papst, der – so Heerbrand – mit dem Kalender seine durch die Reformation verloren gegangene Herrschergewalt heimtückisch wieder erlangen wollte. Kein Argument war zu abwegig, um nicht gegen „den Kalender des Papstes“ ins Feld geführt zu werden. Deshalb gab es in Deutschland bald zum konfessionellen Flickenteppich auch einen des Kalenders mit schwerwiegenden Folgen.
Da die Katholiken auf ihrer neuen Zeitrechnung ebenso entschieden beharrten wie die Protestanten auf der alten, gab es bald kaum noch gegenseitige Berührungspunkte. Die damals besonders wichtigen Markttage fielen auseinander, der Handelsverkehr war auf das empfindlichste gestört, unerträgliche Spannungen entstanden im konfessionellen Grenzgebiet und hier wieder in den gemischtkonfessionellen Dörfern, Städten und Herrschaften. So gehörte etwa Altingen damals zur Hälfte zum (evangelischen) Württemberg, zur andern Hälfte zum (katholischen) Hohenberg/Vorderösterreich. In einem Ort galten zwei Kalender. Neben Bondorf begann mit Hailfingen katholisches Gebiet, wo man die Tage anders zählte.
An hohen evangelischen Feiertagen wie dem Karfreitag oder dem Reformationsfest störten die Katholiken nach Kräften die Ruhe, indem sie ausgerechnet dann Bäume fällten oder Holz hackten; umgekehrt misteten die Evangelischen besonders gerne ihre Ställe dann aus, wenn am Fronleichnamsfest die Prozession gerade bei ihnen vorbeikam. In konfessionellen Grenzgebieten waren deshalb oft zwei Kalender im Gebrauch; Briefe wurden mit einem evangelischen und einem katholischen Datum geschrieben.
Erst der aufgeklärte Preußenkönig Friedrich der Große setzte durch, dass 1776 der mittlerweile in ganz Europa gültige Gregorianische Kalender auch in den letzten protestantischen Gebieten übernommen wurde. An die Zeit der getrennten Kalender erinnert aber bis heute die noch immer gebräuchliche Redewendung von „der Zeit zwischen den Jahren“. Da das evangelische Jahr dem katholischen immer hinterherhinkte, hat es einst diese Zeit zwischen verschiedenen Jahren tatsächlich gegeben. Auch die Bauernregeln sind noch zu Zeiten des alten Kalenders entstanden und gehen deshalb nach. Wer sich auf sie verlassen will, muss die wegen der Kalenderreform davongelaufenen Tage dazurechnen.
Jacob Heerbrand, erster Dekan in Herrenberg, später Professor für Theologie an der Universität Tübingen. Holzschnitt von 1596 von Jacob Lederlein nach einem Gemälde von Hans Ulrich Alt (1557-1611). (Bild Wikimedia Commons/Public domain)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Autor, Hans-Dieter Frauer, ist Historiker und Publizist. Er lebt in Herrenberg und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Geschichte und Kirchengeschichte. Er hat mehrere Bücher verfasst und ist ein gefragter Vortragsredner.