Jakob Friedrich Kammerer – ein schwäbischer Erfinder
Autor: Gustav Weißhardt
Legenden verschleiern heute noch das Bild dieses Mannes. Wer war er? Ein Selfmademan, sagt sein Enkel, der Dramatiker Frank Wedekind, also einer, der aus eigener Kraft emporkam; fügen wir hinzu: ein unruhiger, grüblerischer Kopf, dem es das Leben nicht immer leicht machte, und – der Erfinder des Phosphorstreichholzes. Geboren wurde er 1796 in dem Gäudorf Ehningen als das zweitjüngste von sieben Geschwistern. Der aus dem benachbarten Holzgerlingen stammende Vater war Siebmacher und zog 1810 nach Ludwigsburg, dem schwäbischen Versailles1. Nach dem Tod des Vaters übernahm er die Siebmacherei und pachtete noch die Gastwirtschaft „zur Katharinenpläsir“, überwarf sich jedoch mit dem Besitzer und wurde – Hutmacher. Seine „sommerlichen Rosshaarkappen“, „Weiden- und Rohrhüte“, „modische Seidenhüte“, später auch die von ihm „eingeführten und so beliebten Mostpresstücher“ und „vorzüglichen Siebplatten“, nicht zu vergessen „die wasserdichten Stiefel aus Gummielastikum“ pries der „Kgl. württ. Patenthutfabrikant“ immer wieder im Ludwigsburger Wochenblatt an.
Als einer der ersten erkannte er den Wert der Annonce für das Geschäftsleben, kam zu einigem Vermögen und kaufte 1831 ein Wohnhaus in der Kirchstraße. Durch Gegentausch mit seinen Seidenhüten kam er in den Besitz mehrerer Platinazündmaschinen. Das gebräuchliche Feuerzeug waren damals Stahl, Feuerstein und Zunder. Die Chemiker bemühten sich um die Herstellung besserer Feuerzeuge; doch waren sie teuer und praktisch wenig brauchbar. Kammerer grübelte hier weiter. Nach vielen Versuchen in einem Schuppen hinter dem Haus gelang es ihm, den leicht entzündlichen und starke Hitze erzeugenden Phosphor mit Schwefel und sauerstoffspendendem Kaliumchlorat in einem Zündkopf zu vereinen. Das Phosphorstreichholz war erfunden: 1832.
Noch mit einem andern gefährlichen Zündstoff beschäftigte er sich: der Politik. Er schloss sich einer Verschwörergruppe an, deren geistiges Haupt der Stuttgarter Buchhändler Franckh war, und verbreitete revolutionäre Schriften. Der Plan, die Regierung zu stürzen, wurde entdeckt, die Verschwörer kamen als Demagogen auf den Asperg, Kammerer am 1. Juli 1833. In der Untersuchungshaft erlitt er einen schweren Blutsturz und wurde im November wieder entlassen. Er beschäftigte sich eifrig mit seinen chemischen Arbeiten, zum Missfallen der Nachbarn, die sich über „das Gezündel und die Explosionen“ sehr aufregten. Als im Dachstuhl des Kammererschen Hauses ein Brand ausbrach, verlegte er den Betrieb in ein neuerworbenes am Asperger Tor. Hier beschäftigte er 24 Personen, die täglich 600 Zündholzkistchen herstellten. Den Phosphor gewann er aus Tierknochen, die er in allen Mengen aufkaufte. Das Versandhaus Leuchs in Nürnberg vertrieb die Ware bis nach Schweden und Algier. Obwohl Kammerer durch eine Kommission feststellen ließ, dass seine Zündhölzer im Gebrauch ungefährlich seien, verboten einige deutsche Länder, z. B. Hannover, den Vertrieb und die Benützung der Streichhölzchen bei Strafe, weshalb sich Kammerer teilweise auf die Fabrikation von Wichse, Fleckenwasser, Schwefelschnitten umstellte und auch hier bahnbrechend wirkte.
In ihrer Ortsmitte hat die Gemeinde Ehningen J. F. Kammerer, dem „Erfinder der Reibzündhölzer“ ein Denkmal gesetzt. Im Jahre 1980 erhielt die Ehninger Grund- und Hauptschule den Namen „Friedrich-Kammerer-Schule“
Seine Tätigkeit fand ein jähes Ende: am 17. Februar 1838 verurteilte ihn der K. Kriminalsenat in Esslingen „wegen intellektueller Beihilfe zu einem versuchten Hochverrat“ zu zweijähriger Festungshaft. Der freiheitsliebende, tätige Mann entzog sich der Strafe durch die Flucht in die Schweiz. In dem Züricher Vorort Riesbach, „im Seefeld“, errichtete er eine Zündholzfabrik und wurde so der Begründer der Schweizer Zündholzindustrie. Die Landesbehörden holten öfters seinen Rat in diesen Dingen ein.
Die nach dem Zusammenbruch der deutschen Revolution, 1848, in die Schweiz flüchtenden Emigranten nahm er mit offenen Armen auf. Auch führende Persönlichkeiten, wie Pfau, Herwegh, Hecker, Fröbel, fanden in seinem „Württemberger Haus“ Rat und Hilfe. Fast sein ganzes, nicht unbeträchtliches Vermögen opferte er für die Flüchtlinge.
In den fünfziger Jahren zeigten sich bei ihm die Symptome einer schweren Nervenerkrankung. Man brachte ihn in die Heimat, nach Winnenden, wo er jedoch keine Heilung fand. Er starb in Ludwigsburg, 23. Oktober 1857.
Am 8. April 1934 ehrten ihn die Zündholzfabrikanten von ganz Deutschland durch die Enthüllung einer Gedenktafel an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Heilbronner Straße. Der Festredner, Dr.-Ing. Helberg-Osnabrück, würdigte abschließend seine Lebensarbeit mit den Worten: „Kammerer hat den Menschen einen in unendlichen Mühen gesuchten und allgemein notwendigen Bedarfsartikel geschenkt. Er gehört in die Reihe unserer großen Entdecker und Erfinder.“
Erstveröffentlichung: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten, 39/1952
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu e. V.
Literaturhinweis:
Hans Hartig
Jakob Friedrich Kammerer aus Ehningen – Der Erfinder der Zündhölzer
In: Aus Schönbuch und Gäu, Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, 1+2/1996, S. 4-12. (Der Erstdruck dieses Artikels erfolgte in den „Ludwigsburger Geschichtsblättern“ 1990 (Jg. 44), S. 81-116.)
Referenz
↑1 | Einer anderen Auslegung der Quellen zufolge, könnte Kammerer bereits im Jahre 1800, also bereits mit vier Jahren, nach Ludwigsburg umgezogen sein. Zur Klärung dieser Frage bitte das Stadtarchiv Ludwigsburg kontaktieren. |
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