Schwester Anna Grüninger verhindert die Gleichschaltung des Weil im Schönbucher Kinderschüle
„Ich bleibe nach wie vor meinem Mutterhaus treu“
Autorin: Dr. Helga Hager
Zu einer erfolgreichen Abwehr der Gleichschaltung der Kinderschulen haben je nach Ort wohl sehr unterschiedliche Faktoren beitragen. Ein reges kirchliches Leben war dabei keine unabdingbare Voraussetzung. In Weil im Schönbuch beispielsweise, wo im März 1933 die Kommunistische Partei noch 25% der Stimmen errang und der Kirchenbesuch vergleichsweise schwach war, behauptete die Großheppacher Schwester1 dennoch ihre Stellung:
„Die energische, fröhliche, etwas derbe Schwester Anna Grüninger ist gerade die Richtige für die 70-120 Kinder, die die Eltern so gerne der Kinderschwester überlassen. (…) Der Versuch des Ortsgruppenleiters und NSV2-(Amts-)Walters, die Kinderschwester zum Übergang in die NSV zu bewegen, scheiterte an ihrer Treue zu Großheppach. Zunächst ist in der Kinderschulsache hier keine Entkonfessionalisierung zu befürchten“.3
Nicht nur im Jahre 1937 – über das der Pfarrer Bornhak hier berichtet -, sondern auch später scheiterten die Eingliederungsversuche an der Standhaftigkeit Anna Grüningers (1899-1981): „Ich bleibe“, so habe sie dem Bürgermeister gesagt, „nach wie vor meinem Mutterhaus treu“ – woraufhin die Angelegenheit auf bestimmte Zeit wieder einmal erledigt“ gewesen sei.4 Ihre Weigerung war wohl von größerer Tragweite als jene ihrer Kolleginnen in anderen Dörfern, da die Kinderschule auf eine lokal verwurzelte, angesehene evangelische Stiftung („Paulinenpflege“) zurückging und per Satzung zur konfessionell gebundenen Erziehung verpflichtet war. Deshalb stand der Bürgermeister wohl auch unter einem besonderen moralischen Druck, die Schwester als konfessionelles Alibi für die NSV zu gewinnen. „Mein Herr Bürgermeister war der Ansicht“, so Anna Grüninger, „das sollte doch zusammengehen, N.S.V u(nd) Mutterhaus“.5
Die Gemeinde richtete jedoch letztendlich einen zweiten Kindergarten ein, der allerdings mit dem alten nicht zu konkurrieren vermochte. Das moderate Klima zwischen Pfarrhaus und Rathaus zumindest in der Amtszeit des Bürgermeisters Knöll (bis Februar 1937) dürfte zu dieser einvernehmlichen Lösung mit beigetragen haben. Allem Anschein nach bildete aber auch die Persönlichkeit der Diakonissin, ihre Autorität eine natürliche Widerständigkeit: Wie die Charakterisierung des Pfarrers vermuten lässt, war sie eine soziale Institution im Ort, die Respekt einflößte, die allein in ihrem äußeren Erscheinungsbild, in ihren Konturen das Dorfbild prägte. Nicht nur das religiöse Moment der Erziehung dürfte ihr den Platz gesichert haben, sondern auch die Kontinuität des Bewährten, die Bildkraft eines autonomen Gemeindemitglieds.
Anna Grüninger versah ihren Dienst noch bis zu ihrem Ruhestand im Jahre 1961, so dass die Geschicke der Kleinkindererziehung über 30 Jahre lang in ihren Händen lagen.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Die Autorin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Helga Hager war Kreisarchivarin des Landkreises Böblingen.
Erstveröffentlichung: „Widerständigkeit und Alltag im Dritten Reich„. In: Widerständig – streitbar – revolutionär. Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte und Alltagsgeschichte der letzten drei Jahrhunderte im Landkreis Böblingen. Herausgegeben von der Frauenbeauftragten des Landkreises Böblingen, Böblingen 1999, S. 121-143.
Literatur:
Walter Hahn: Heimatbuch Weil im Schönbuch – Breitenstein – Neuweiler, Weil im Schönbuch 1988, S. 220-221.
Zu diesem Thema finden Sie in zeitreise-bb noch folgende Artikel:
Hitlers Griff nach der Jugend
Zwischen Kirche und NS-Ideologie – Der Konflikt um den Weltanschauungsunterricht in Dagersheim
Referenz
↑1 | In Großheppach (Remstal) gründete Wilhelmine Canz 1856 eine evangelische Kleinkinderpflegerinnenschule und ein Mutterhaus für Kinderschwestern. |
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↑2 | Nationalsozialistische Volksfürsorge |
↑3 | Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKA) Alt.Reg.OA, Pfarrbericht Weil im Schönbuch 1937, S. 4 |
↑4 | Archiv Großheppacher Schwesternschaft Weinstadt, Brief Anna Grüningers an den Ortspfarrer und an die Mütter vom 16. 10. 1941 |
↑5 | Ebd. |