Politik und Presse – Theodor Körner (1863-1933)
Autor: Roman Janssen
Eine der einflußreichsten Persönlichkeiten in Herrenberg und dem Gäu, ja in Württemberg war im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts Theodor Körner: ein engagierter Politiker im rechtskonservativen Spektrum, Landtags- und Reichstagsabgeordneter und in Herrenberg vor allem Besitzer des „Gäu- und Ammertalboten“, den er in den Dienst seiner politischen Ambitionen stellte. Denn Körner wußte um Macht und Bedeutung der Presse.
Theodor Körner wurde am 21. Dezember 1863 in Lauffen am Neckar als erster Sohn des Johann Christian und der Christiane Körner geb. Wenzel geboren und wuchs seit 1864 in Stuttgart auf, wo der Vater eine Schreinerei und Glaserei betrieb, sich in seinen späteren Jahren auch als Bauunternehmer betätigte. Der Sohn absolvierte eine kaufmännische Lehre, besuchte die kaufmännische Fortbildungsschule, war kurzfristig in der Firma eines Wilhelm Wiedemann beschäftigt und siedelte, 1883 vom aktiven Militärdienst befreit, nach Immenstadt/Allgäu um, wo er in der Bindfadengroßfabrik Hagenauer & Denk Arbeit fand.
Bereits 1885 gründete Theodor Körner zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Berthold Bender in Stuttgart ein „Graphisches Institut“, verbunden mit Galvanoplastik und Vernicklung. Am 31. Juli 1888 heiratete er Klara Ziegler, Tochter des Stuttgarter Seifensieders August Ziegler, der im 70er Krieg durch Armeelieferungen zu einigem Wohlstand gelangt war. Schon im folgenden Jahr erlitt das Gemeinschaftsunternehmen Schiffbruch; Körner führte nun das Geschäft, nämlich „Xylographie und Klischeefabrikation“, allein fort und scheint sich schon bald darauf zugleich als Buchdrucker betätigt zu haben. Es waren bescheidene, um nicht zu sagen schwierige Anfänge, doch entwickelte Körner in diesen Jahren die ihn zeitlebens kennzeichnende zielstrebige Zähigkeit, mit der er Hindernisse und Rückschläge anzugehen pflegte.
Im Februar 1893 gehörte Theodor Körner zu den württembergischen Vertretern auf der Berliner Gründungsversammlung des „Bundes der Landwirte“, der im folgenden Monat eine besondere Abteilung für Württemberg erhielt und als eine Interessenorganisation mit dem Ziel entstand, die von Reichskanzler v. Caprivi betriebene Freihandelspolitik mit der Lockerung der landwirtschaftlichen Schutzzölle zu revidieren. Zum 1. Oktober 1895 wurde eine Geschäftsstelle im Hause Körners errichtet, ihm selbst die Geschäftsführung übertragen und der Auftrag erteilt, ein Bundesblatt herauszugeben, das die Mitglieder statt des bisherigen in Berlin erscheinenden Bundesorgans beziehen sollten.
Die Aktivitäten Theodor Körners im Dienste des „Bundes der Bauern und Weingärtner“, wie es bald hieß, wären einer eigenen Abhandlung wert. Hier bleibt festzuhalten, daß er entschieden die Presse als Mittel zum Zweck einzusetzen gewillt war und dazu seinen Verlag langsam, aber stetig ausbaute. Die wichtigsten Erzeugnisse waren in der Folge „Der schwäbische Landmann“ mit illustrierter land- und hauswirtschaftlicher Beilage – bald schon eine Wochenschrift -, der Kalender „Der württembergische Bauernfreund“ (ein Kalender, aufbewahrt und immer mal wieder gelesen, besitzt besondere Werbewirkung), die „Süddeutsche Schäferzeitung“ ab 1911 und sodann namentlich die 1913 nach Einstellung der „Deutschen Reichspost“ gegründete „Schwäbische Tageszeitung“, die zum Hauptorgan des Bundes wurde. Und für diesen zog Körner 1907 in den Landtag ein.
Das politisch-publizistische Konzept ging jedoch noch weiter. Um die politische Arbeit zu intensivieren, sollte gewissermaßen zweigleisig gefahren – und in Ergänzung und im Zusammenspiel mit den zentralen Veröffentlichungen – auch auf lokaler Ebene Fuß gefaßt werden. Aufgrund solcher Überlegungen übernahm Körner 1908 den in Schrozberg in württembergisch Franken in eine Krise geratenen „Fränkischen Volksfreund“, welcher als Kopfblatt der „Deutschen Reichspost“ erschien und dessen Fertigungsbetrieb bis 1914 zu einer Filiale ausgebaut werden konnte.Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte empfindliche Rückschläge, innerbetrieblich zunächst insofern, als die den vielbeschäftigten Senior entlastenden vier Söhne eingezogen wurden und die Töchter einspringen mußten. Hinzu kamen Anfeindungen wegen der scharfen Bekämpfung der Zwangswirtschaft, der strengen Erfassung landwirtschaftlicher Produkte durch die Behörden, und mit Kriegsende schließlich noch die Erkenntnis, daß der Filialbetrieb bei den herrschenden Verhältnissen und auch wegen der Entfernung zur Zentrale nicht aufrecht erhalten werden könne.
Titelsignet des Gäu- und Ammertalboten in den 30er Jahren
Infolgedessen suchte Körner in den Oberämtern Leonberg und Herrenberg nach einem neuen Standort für den Filialbetrieb. Die Wahl war bereits auf Bondorf gefallen, als das Angebot des Verlegers Gustav Fischer eintraf, den in Herrenberg erscheinenden „Gäu- und Ammertalboten“ zu übernehmen, der aus dem 1838 von dem Reutlinger Drucker Andreas Braun gegründeten Amts- und Intelligenzblatt hervorgegangen war. Am 18. Dezember 1918 war der Kauf perfekt und Körner seit dem 1. Januar 1919 Besitzer einer etablierten Zeitung mit fester und wachsender Leserzahl, dazu ansässig im Zentrum einer landwirtschaftlich geprägten Region, wo er ein seinen Zielvorstellungen geneigtes Publikum erwarten konnte.
Der „Gäubote“ wurde umgehend in den Dienst des Bauern- und Weingärtnerbundes gestellt, was symbolisch durch ein in den Kopf gerücktes Emblem mit landwirtschaftlichen Motiven zum Ausdruck kam, und wandelte sich damit zu einem Interessen- beziehungsweise Parteiorgan, das nunmehr als Tageszeitung erschien; und schon bei den Wahlen am 19. Januar 1919 zahlte sich die Agitation gegen „Sozialdemokratie und Demokratie, gegen die Zwangswirtschaft und Zwangserfassung, gegen die Riesengewinne aus den Kriegsgesellschaften, gegen die Verantwortlichen für die verfehlten Maßregeln der Reichsregierung im letzten Jahr“, wie es in einer Anzeigenkampagne hieß, deutlich aus.
Der Inhaber, Vorsitzender des Bundes, der sich in diesem Jahr als Partei konstituierte, und seit den Maiwahlen 1920 auch Reichtagsabgeordneter, übertrug die Schriftleitung seiner am 5. Dezember 1898 geborenen Tochter Helene, die sich schon während des Weltkrieges im Stuttgarter Betrieb ins Metier eingearbeitet hatte. Die technische Leitung übernahm der Faktor August Jedele, der von Schrozberg übersiedelte. Am 7. Juli 1922 erhielt dann der künftige Schwiegersohn Karl Merz, kurz vor seiner Hochzeit mit Helene Körner, die Schriftleitung des Blattes, dessen technische Grundlagen – so durch Anschluß an die Elektrizität – weiterhin verbessert wurden und das mit zwei Beilagen: „Sonntagsglocken“ und „Feld und Garten“, seine Leser erreichte.
Daß die Demokratie sich nicht verwurzeln konnte, daß sie – ungewohnt und ungelernt – auch im Organ des rechtsstehenden Bauern- und Weingärtnerbundes einen schweren und manchmal keinen Stand hatte, ist heute als bekannt vorauszusetzen, und folglich nimmt eine völkisch-kämpferische Tonart mit einem ersten Höhepunkt im Krisenjahr 1923 durchaus nicht wunder. Aber die Zeitung war keineswegs uniform. Es lohnt sich, genauer hinzusehen, und zwar auf beide Körnerschen Tageszeitungen. Der Verleger selbst gestaltete mit, war direkt etwa durch kommentierende „Briefe aus dem Reichstag“ und Leitartikel präsent, indirekt immer wieder durch die Berichterstattung über die zahlreichen Veranstaltungen, an denen er teilnahm. Stets klar und entschieden, dazu deutlich ein Gespür für die Stimmung der „Basis“ verratend, war seine Einstellung im ganzen mäßigend und ausgleichend. Die Schriftleiter, voran sein gleichnamiger ältester Sohn in Stuttgart, agierten indessen um einiges radikaler. Beides half im Jahr der Inflation über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, als man – nicht unangefeindet, aber auch nicht unüblich – vom Sommer bis zum Höhepunkt im November (eine Zeitung: 30 Milliarden Mark) den Geldwert der Blätter in Getreide nahm, weil man nicht zu solchen Betrieben gehöre, „die mit russischem Geld arbeiten“ sollten, und als man nach etlichen Abbestellungen in Herrenberg übrigens den ersten „Schaukasten“ einrichtete. Und es führte vor allem zum Erfolg der Wahl des Jahres 1924, als deren Ergebnis der Bauern- und Weingärtnerbund mit Zentrum und Bürgerpartei eine Koalition bilden konnte und Theodor Körner für vier Jahre Landtagspräsident wurde und maßgeblichen Einfluß auf die Regierungspolitik nahm.
Dem Mann, dessen Ansehen nun seiner Höhe entgegenging, bescheinigten die Zeitgenossen nicht zuletzt große Hilfsbereitschaft. Ein Beispiel besonderer Art findet sich hierfür am 10. April 1923 im „Gäuboten“: Es wurde zu einer Spendenaktion aufgerufen für einen aus Unterjettingen stammenden mittellosen Greis, dessen Familie durch einen Justizirrtum, den sein fälschlich der Brandstiftung bezichtigter Vater in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts erlitten hatte, in dauernde Not geraten war.
Die „Goldenen Zwanziger“, jenes halbe Jahrzehnt von 1925 bis 1929 mit wirtschaftlicher Besserung zwischen Inflation und Deflation, sind als der Höhepunkt des „alten“ Gäuboten anzusehen. Es ist natürlich überspitzt formuliert, kennzeichnet aber zutreffend den Stellenwert, den das Blatt in diesen Jahren gewann: „Im Gäu dachte man wie in Herrenberg, und in Herrenberg dachte man wie der Gäubote“ – freilich nur jene große Mehrheit, welche im Blatt die Interessen der Landwirte und des Mittelstandes, so eine Selbstanzeige, handfest vertreten fand und zudem mit dem demokratischen Volksstaat nichts im Sinn hatte, sich mit der Weimarer Verfassung nicht abfinden konnte.
Die Landtagswahl des Jahres 1924 hatte den Bauern- und Weingärtnerbund zwar zur zweitgrößten Partei gemacht, er war jedoch in etwa an die Grenzen seines Wählerpotentials gestoßen, vornehmlich deswegen, wie wohl Körner selbst unmittelbar darauf im „Gäuboten“ schrieb, weil das Zentrum, die jetzt stärkste Partei, die katholische Bauernschaft band. Der neue – deutschnationale – Staatspräsident Dr. Wilhelm Bazille, zuvor Fraktionsführer der Rechtsparteien und öfter Autor im „Gäubote“, stand den Anschauungen des Landtagspräsidenten und Verlegers, der nunmehr die Geschäftsführung des Bundes an seinen ältesten Sohn übergab, nahe, und die Koalitionsdisziplin ließ in der landespolitischen Berichterstattung gerade auch dem Zentrum gegenüber manche Rücksicht nehmen. Auf Reichsebene blieb die Tonart weniger konziliant, war jedoch in erster Linie entschieden gegen die Linke gerichtet. Körners Beziehungen als – deutschnationaler – Abgeordneter des Reichstags, dem er bis 1928 angehörte, führten dem „Gäuboten“, der 1927 übrigens erstmals Photographien reproduzierte, in diesen Jahren manchen namhaften Gesinnungsfreund als Gastschreiber zu.
Was sich auf der äußersten Rechten tat, wurde darüber – wie so meist – übersehen. Bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 in München war man um Integration der verschiedenen völkischen Richtungen bemüht gewesen, danach galt Hitler als jemand, der sich selbst als ungefährlich entlarvt hatte. In der Folge durchweg Schweigen. Das änderte sich mit der Weltwirtschaftskrise ab 1930 und besonders im Umfeld der Wahl vom 14. September 1930. Schon vom 25. Mai datierte in der „Schwäbischen Tageszeitung“ ein Abwehrartikel Körners, im letzten Wahlaufruf berief sich der Bauern- und Weingärtnerbund auf Bismarck, und nachdem sich die nationalsozialistischen Wähler im Oberamt verzehnfacht hatten, brachte der „Gäubote“ am 27. September einen zwar nicht gezeichneten, doch, wenn nicht alles täuscht, aus Körners Feder stammenden Artikel über die „Bewegung“. Er reklamierte nicht nur den Verdienst der Rechtsparteien einschließlich des Bauernbunds als „Gegner der Verfassung von Weimar“, sondern warf den neuen Gegnern vor allem „Größenwahn“ und eine unausgegorene Verbindung ausgesprochen bürgerlicher und sozialistischer Gedanken vor. Kritik wie auch eine schärfere Berichterstattung über die „Politik der Straße“ kamen in der Folge häufiger – Anfeindungen umgekehrt auch, besonders 1932 im Zeichen der NS-Wahlerfolge. Spaltungstendenzen im Bund selbst und mangelnde oder halbherzige Unterstützung des Vorsitzenden und des Geschäftsführers durch den Vorstand, nicht zuletzt persönlich eingegangene finanzielle Risiken der Familie im Dienst der über drei Jahrzehnte betriebenen Sache begannen, die letzten Lebensjahre des kränkelnden Verlegers und Politikers zu überschatten.
Nachdem er noch den Beginn der „Machtergreifung“ hatte erleben müssen, starb Theodor Körner am 29. April des Jahres 1933, stets ein entschiedener Verfechter des von ihm als richtig Angesehenen, ein Mann, der beachtliche Erfolge erzielt und ebenso herbe Enttäuschungen hatte hinnehmen müssen. Im Nachruf auf ihn vom 2. Mai 1933 heißt es lapidar: „Die allgemeine Entwicklung der politischen Verhältnisse ging auch an seinem Lebenswerk nicht spurlos vorüber. Nun hat er ausgekämpft.“
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Stadt Herrenberg
Der Autor, Dr. Roman Janssen, leitete über 25 Jahre das Herrenberger Stadtarchiv und genießt einen ausgezeichneten Ruf als Historiker, Mittelalterspezialist und Autor.