Leonberg im Aufruhr des Armen Konrad
Autor: Volker Trugenberger
Herzog Ulrich von Württemberg, der Nachfolger des 1498 abgesetzten Herzogs Eberhard II., brachte das Land durch eine verschwenderische Hofhaltung an den Rand des Staatsbankrotts. Im Jahr 1514 erreichte das Haushaltsdefizit 70 Prozent der ordentlichen Einnahmen. Zur Schuldentilgung wollte der Herzog schließlich eine allgemeine Vermögenssteuer einführen, die jedoch am Widerstand der reichen und aus diesem Grund davon besonders betroffenen Vogtsfamilien scheiterte. Deshalb sollten nun die Verbrauchssteuern auf Fleisch, Wein und Getreide angehoben werden, eine Maßnahme, die die ärmeren Schichten, die Bauern und Weingärtner, viel stärker treffen musste, als dies bei der ursprünglich geplanten Vermögenssteuer der Fall gewesen wäre. Im Remstal erhoben sich daraufhin im Mai 1514 die Bauern und Weingärtner in einem gegen den Herzog, vor allem jedoch gegen die Vogtsfamilien gerichteten Aufstand, der als Armer Konrad in die Geschichte eingegangen ist.
Die Erhebung griff schnell auch auf andere Landesteile über. In Leonberg blieb es zunächst ruhig, doch gärte es in der Bevölkerung. Der Vogt ließ auf Anraten von Gericht und Rat die Bürger auf dem Rathaus zusammenkommen und forderte sie auf, sich als from, getruw und gehorsam undertan des Herzogs zu verhalten. Als Zeichen der Treue zum Herzog sollten sie durch die kleine Türe der Ratsstube hinausgehen. Doch außer den zwölf Richtern und einigen Ratsverwandten folgte dem kaum jemand. Als der Vogt seine Aufforderung wiederholte, drängten sie haufenweise zur großen Tür, und ihr Wortführer Georg Hagen genannt Schytlin rief dem Vogt zu, ob die große Tür nicht auch eine Tür sei. Schytlin schenkte den beschwichtigenden Worten des Vogts kein Vertrauen und erklärte: Man hat uns vormalls, unnd insonder, da man hertzog Eberharten vertriben, ouch gute worte geben und placebo gemacht. Damit war auch in Leonberg der Aufstand offen ausgebrochen, von wo er auch die umliegenden Dörfer erfasste. Die Aufständischen wählten eigene Rottmeister zu ihren Anführern, die in Leonberg im Hause Schytlins, ihres hauptmans, zusammenkamen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Der Hass der Menge war vor allem gegen die herrschaftlichen Amtsträger, insbesondere den Vogt, gerichtet. In Leonberg trieb man das Vieh in den Stadtgraben, dessen Nutzung dem Vogt vorbehalten war, in Höfingen musste der Vogt auf das ihm zustehende Fischrecht in der Glems verzichten. Die Leute forderten ein Regiment nach irem gevallen, der Ruf nach anderen Räten, Amtleuten und Schultheißen wurde laut.
Herzog Ulrich von Württemberg (1503-19, 1534-50). Eine von ihm angesetzte Steuer war Auslöser für den Aufstand des Armen Konrad. (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Robert Bothner. Signatur LMZ 020081)
Angesichts der revolutionären Situation im Land sah sich der Herzog gezwungen, einen Landtag auf Ende Juni nach Tübingen einzuberufen. Schon der Tagungsort zeigte an, dass hier in erster Linie ein Ausgleich mit der Ehrbarkeit gefunden werden sollte, um danach der Aufständischen Herr werden zu können. In Tübingen war es nämlich bisher weitgehend ruhig geblieben, außerdem war dort einer der führenden Köpfe der Ehrbarkeit, Konrad Breuning, Vogt. Auf dem Tübinger Landtag vertraten ausschließlich Männer der städtischen Ehrbarkeit die Interessen der Städte und Ämter. Man einigte sich deshalb relativ rasch, und bereits am 8. Juli 1514 kam ein Vergleich zwischen dem Herzog und den Landständen zustande, der sog. Tübinger Vertrag, der zum Grundpfeiler der altwürttembergischen Verfassung werden sollte. Die Landstände verpflichteten sich, zur Schuldendeckung des Herzogs beizutragen. Dagegen erhielten sie das Steuerbewilligungsrecht und die Zusage, dass der Herzog Hauptkriege künftig nur mit ihrer Zustimmung führen durfte. Darüber hinaus wurden den Untertanen ordentliche Gerichtsverfahren garantiert und der freie Zug, das heißt die Freizügigkeit, zugestanden.
Nach Abschluss des Landtags kam der Herzog persönlich auf den Engelberg, um mit den dort versammelten Aufständischen des Leonberger Raums zu verhandeln, die ihm schließlich huldigten. Einige Forderungen der Aufständischen wurden noch im Juli, offensichtlich als Ergebnis dieser Verhandlungen, erfüllt. So ließ der Herzog am 26. Juli der Stadt Leonberg von den zwei Scheiben Salz, die die Stadt an den Jahrmärkten dem Vogt zu geben hatte, eine nach und gestand den Bürgern zu, den Stadtgraben, der bisher ausschließlich vom Vogt genutzt werden durfte, zwischen 0berem und Unterem Tor mit ihrem Vieh an der waid … zu nutzen. Anderen Forderungen kam der Herzog zumindest teilweise Ende August entgegen, indem er etwa den Bauern angesichts der Wildplage auf ihren Äckern gestattete, Wildschweine zu schießen und das Rotwild wenigstens zu vertreiben. Vögte und Schultheißen sollten bei den Urteilsverhandlungen der Gerichte künftig in denjenigen Fällen nicht mehr dabei sein, in denen sie als Ankläger auftraten oder aus anderen Gründen befangen waren. Bei den obrigkeitlichen Visitationen sollten die Gemeinden nur noch die zuständigen Beamten bewirten müssen, nicht mehr deren Begleitung und Gäste.
Bereits Anfang August war es Ulrich gelungen, durch den Einsatz von Truppen den Aufstand auch im Remstal zu beenden. Dort wurde gegen die Rädelsführer ein blutiges Strafgericht gehalten, während die Anführer des Aufstandes im Leonberger Raum relativ glimpflich davonkamen. Es wurden offensichtlich nur diejenigen verfolgt, die wie Jörg Schytlin und drei Mitglieder des Leonberger Rats sich vor oder nach der Huldigung auf dem Engelberg außer Landes begeben hatten. Trotz der erwähnten Zugeständnisse an die Aufständischen waren die eigentlichen Gewinner des Aufstands des Armen Konrad die Vogtsfamilien, die durch den Tübinger Vertrag ihren Einfluss wesentlich gefestigt und ausgebaut hatten.
Herzog Ulrich ging in den Jahren nach 1514 gegen die Vogtsfamilien vor, indem er ihre führenden Köpfe hinrichten ließ. Dadurch behielt er nach wie vor sehr viele Anhänger gerade beim gemeinen Mann in Stadt und Amt Leonberg. Dies sollte sich 1519 zeigen, als Ulrich im Frühjahr von den Truppen der im Schwäbischen Bund zusammengeschlossenen benachbarten Territorien und Reichsstädte aus seinem Herzogtum vertrieben wurde. Leonberg scheint sich nämlich nur widerwillig dem siegreichen Schwäbischen Bund ergeben zu haben, so berichtet zumindest ein zeitgenössischer Chronist. Und als Ulrich im August 1519 den Versuch unternahm, sein Land zurückzuerobern, öffnete ihm auch die Stadt Leonberg die Tore, nachdem ein gewisser Christian Brög von Eltingen gerufen hatte, wenn die Leonberger den Herzog nicht einließen, wolle er der erste sein, der die Sturmleiter an die Stadtmauer anlege und hineinsteige.
Indessen, der Rückeroberungsversuch Herzog Ulrichs scheiterte rasch, der Schwäbische Bund behauptete sich und trat das Herzogtum an Österreich ab. Für die Unterstützung des vertriebenen Herzogs im August 1519 musste das Amt Leonberg zusammen mit den Ämtern Böblingen und Herrenberg insgesamt 5000 Gulden Strafe zahlen.
Schriften und Flugblätter dokumentieren bis heute das Wirken des Armen Konrad. (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg)
Erstveröffentlichung: „Der Leonberger Raum an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit“. In: Leonberg - Eine altwürttembergische Stadt und ihre Gemeinden im Wandel der Geschichte. Von Wilfried Setzler, Hansmartin Decker-Hauff, Joachim Fischer, Andrea Hähnle, Hans-Georg Hofacker, Fritz Oechslen, Benigna Schönhagen, Ingo Stork und Volker Trugenberger, WEGRAhistorik-Verlag Eberhard Hartenstein und Partner Stuttgart, 1992, S. 106-108.
Die Veröffentlichung des Beitrages in zeitreise-bb verzichtet auf die Wiedergabe der archivalischen Belege. Bitte greifen Sie hierfür auf die Printversion zurück.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Eberhard Hartenstein und Partner Stuttgart.
Der Autor, Dr. Volker Trugenberger, studierte Geschichte, Germanistik und Latein in Tübingen und promovierte bei Prof. Hansmartin Decker-Hauff. Er stammt aus Eltingen und ist Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen.
Literaturhinweis: