Antwort auf das Hindenburg-Denkmal?
Der Luther-Gedenkstein in Kuppingen
Autor: Hans-Diether Frauer
M artin Luther zählt fraglos zu den großen Männern der Geschichte: mit der Reformation hat er „die Welt in Brand gesetzt“ (Luther-Zitat) und sie nachhaltig verändert. Er ist bis heute unvergessen: das zeigten die Vielzahl der Veranstaltungen zur 500-jährigen Wiederkehr seines mutmaßlichen Thesenanschlages. Das Gedenken ist freilich nicht einheitlich: bei Katholiken galt er lange als „Erzketzer“ (tatsächlich ist seine Verdammung durch den Papst bis heute formal gültig), Evangelische priesen ihn dafür als Gottesmann oder Glaubensheld und feierten Gedenkjahre schon mal mit einem „Reformationsjubelfest“ oder mit der Herausgabe von Jubiläumsmünzen. Auch an Luther-Denkmalen hat es nie gefehlt. Sie haben oft ihre ganz eigene Geschichte. Das zeigt sich etwa an dem Luther-Gedenkstein in Kuppingen, der – wenig beachtet – vor dem Gebäude Hemmlingstraße 18 direkt gegenüber dem Bezirksamt steht.
Der etwa zwei Meter hohe Stein wurde 1933 gesetzt, als sich der Geburtstag von Martin Luther zum 450. Mal jährte. Die Idee dazu hatte offenbar Martin Reinhardt, der damalige Bürgermeister von Kuppingen. Er ließ den massigen Gedenkstein in zentraler Lage vor einem (heute nicht mehr existierenden) Gasthaus „Ochsen“ aufstellen, berichtet der Kuppinger Martin Lohrer. Später habe man den Gedenkstein aber auf das Grundstück seines elterlichen Hauses eben an der Hemmlingstraße versetzt; das habe sein Vater Fritz Lohrer veranlasst. Dieses schmucke Fachwerk-Haus stammt aus der Zeit der Reformation: das war möglicherweise ein Grund für den jetzigen Standort.
Luther-Gedenkstein aus dem Jahr 1933 in der Kuppinger Hemmingstraße. (Foto: S. Kittelberger)
Der Stein hatte anfangs eine Aufschrift, die auf Martin Luther und seine Lebensdaten hinwies. Er hat aber seit 1933 erheblich an Schönheit verloren: die einst eingedübelten Bronze-Buchstaben auf dem Stein seien so nach und nach verloren gegangen – wobei wohl auch Dumme-Jungen-Streiche mit im Spiel gewesen sein könnten, mutmaßt Lohrer. Heute weist auf dem Stein nur ein fast ärmlich wirkendes Mini-Schild darauf hin, dass der Stein 1933 zur Wiederkehr des 450. Luther-Geburtstages gesetzt worden sei. Dieses Schildchen ist zu allem optisch so ungünstig angebracht, dass es wirklich kein Blickfang ist und wohl die meisten Passanten achtlos daran vorüber gehen. Von einer pfleglichen Erinnerungsstätte kann man hier wohl kaum sprechen.
Lohrer kann nicht sagen, warum Kuppingen damals – 1933 – dieses Luther-Denkmal errichten ließ und warum es so stiefmütterlich behandelt wurde (und wird). Mit dem Luther-Stein verbindet sich aber möglicherweise ein stilles Stück Widerstand gegen die ab März 1933 über Deutschland hereinbrechende Huldigungsorgie für Hindenburg und Hitler. So kann der Kuppinger Luther-Stein eine Antwort auf den Gedenkstein für einen dort zeitgleich gesetzten Gedenkstein für Hindenburg sein.
Schrifttafel zum Kuppinger Luther-Gedenkstein. (Foto: S. Kittelberger)
Er steht – jetzt ohne jede Aufschrift – am Haslacher Weg, Ortsausgang Richtung Jettingen. Anfangs stand er auf der anderen Straßenseite und wurde im Zusammenhang mit Straßenbauarbeiten versetzt. Er soll nach Erinnerung von Martin Lohrer einmal eine prächtige Bronzebüste getragen haben. Sie ist verschwunden. Von Pracht und Schönheit kann heute keine Rede mehr sein: In seinem Äußeren entspricht der Stein derzeit wohl eher dem tristen Bild, das von interessierter Seite heute von Hindenburg in der Öffentlichkeit gezeichnet wird.
Die Gedenksteine für Hindenburg und für Luther sind sich auffallend ähnlich: gleiche Steinart, gleiche Größe, gleiche Beschaffenheit. Auch mit dem Hindenburg-Stein ist man stiefmütterlich umgegangen und auch er steht nicht mehr am ursprünglichen Platz, ist schwer zu finden und fristet sein Dasein fast im Verborgenen.
Auf die Frage, wie zwei sehr ähnliche Gedenksteine nahezu gleichzeitig und ausgerechnet nach Kuppingen kommen, gibt es derzeit keine voll befriedigende Antwort. Stadtarchivarin Couzinet-Weber erinnert daran, dass nach der Machtergreifung Hitlers Hindenburg in zahlreichen Gemeinden urplötzlich zum Ehrenbürger avancierte – so auch in Herrenberg. Hier erging ein entsprechender Beschluss am 24. März 1933. In Kuppingen kam es ebenfalls zu Ehrungen: am 19. Mai 1933 wurden Hindenburg, Hitler und andere NS-Größen zu Ehrenbürgern, Lindenbäume wurden nach Hindenburg und Hitler benannt, mehrere Straßen erhielten neue Namen und in diesem Zusammenhang kam es dann zum Gedenkstein für Hindenburg. Er ist in der über 1000-jährigen deutschen Geschichte der erste – und bis jetzt einzige – Staatspräsident, das direkt vom Volk gewählt wurde: und das sogar zwei Mal. Die nach 1933 einsetzenden Ehrungen für ihn galten freilich eher dem Sieger von Tannenberg und dem verklärt gesehenen Heroen des Ersten Weltkriegs. Das wäre auch eine Erklärung für die 1933 allgemein einsetzende Huldigungsorgie.
Der Martin-Luther-Gedenkstein kann aber auch als stiller Protest eben gegen diese Huldigungsorgie gesehen werden. Aus der Ortschronik Kuppingen lässt sich herleiten, dass der Gedenkstein von der Kirchengemeinde als eine Art Gegenreaktion zu eben der erwähnten Huldigungsorgie angeregt wurde. Der bürgerliche Gemeinderat hat dies wohl nicht erkannt. Er hat vielmehr am 19. November 1933 dem Luther-Stein zugestimmt, und die Gemeinde beteiligte sich zu einem Drittel an den Kosten für Bildhauer, Buchstaben und das Aufstellen.
Eine wichtige Rolle bei beiden Steinen spielte offenbar Bürgermeister Martin Reinhardt. Ohne ihn würde es den Luther-Stein mit Sicherheit nicht geben und ohne ihn hätte sich die bürgerliche Gemeinde auch nicht an den Kosten beteiligt. Reinhardt lenkte Kuppingen halbwegs angepasst und listig durch die Jahre des „Dritten Reiches“: so hielt er sich einerseits vom Gottesdienst fern und er galt deshalb bald als kirchendistanziert. Andererseits musste er so nichts gegen den Pfarrer unternehmen, denn er hatte ja nichts gehört. Auch setzte er sich dafür ein, dass der kirchliche Krankenpflegeverein erhalten blieb und nicht der Parteiorganisation ausgeliefert wurde. So hat er dazu beigetragen, dass Kuppingen halbwegs gut und friedlich durch das „Dritte Reich kam. Sein zeitbedingtes Lavieren wird heute aber in Kuppingen unterschiedlich beurteilt.
Gedenkstein für Hindenburg an der Jettinger Straße in Kuppingen. Heute erinnert nichts mehr an seine ursprüngliche Bedeutung. (Foto: S. Kittelberger)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Autor, Hans-Diether Frauer, ist Historiker und Publizist. Er lebt in Herrenberg und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Geschichte und Kirchengeschichte. Er hat mehrere Bücher verfasst und ist ein gefragter Vortragsredner.