Die Gans und der Schwan
Die Anregung, Luther zusammen mit einem Schwan darzustellen, geht auf den Reformator selbst zurück. Luther berief sich im Sinne einer geistigen Nachfolge gerne auf den böhmischen Theologen und Reformator Jan Hus (um 1370-1415), dessen Name „Hus“ auf Deutsch Gans bedeutet. Kurz bevor Hus während des Konstanzer Konzils im Jahre 1415 als Häretiker auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, soll er in Anspielung auf seinen Namen gesagt haben: „Ihr bratet jetzt eine Gans, Gott wird aber einen Schwan erwecken, den werdet ihr nicht brennen noch braten“.
Mehr als 100 Jahre später griff Luther das Bild des Schwans bewusst wieder auf und bezog es auf seine Person. Auch bei Luthers Leichenpredigt 1546 in der Wittenberger Schlosskirche hat der Reformator Johannes Bugenhagen genau auf dieses Motiv zurückgegriffen und so vermutlich entscheidend zur Entwicklung des Luther-Schwan-Bildtypus beigetragen.
Auch in Kirchen im württembergischen Raum muss das Motiv einst verbreitet gewesen sein. Die älteste bekannte Darstellung findet sich heute in der Langenbrettacher Wehrkirche St. Peter und Paul (Hohenlohekreis). Das Wandgemälde soll möglicher Weise aus dem Jahre 1591 stammen und wäre damit noch älter als das Hamburger Bild. Weitere Beispiele finden sich in Plochingen, Freiberg am Neckar-Beihingen (Lkr. Ludwigsburg), Bad Überkingen (Lkr. Göppingen), Strümpfelbach und im Weissacher Nachbarort Flacht.
Denkmal des Reformationsjubiläums 1717
Das Weissacher Wandbild entstand ziemlich sicher im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum im Jahre 1717. Damals jährte sich der berühmte Thesenanschlag zum 200. Mal und in den Kirchen des Landes finden sich ab jetzt vermehrt künstlerische Spuren des Reformationsgedenkens. In der zum Jubiläum 2017 erschienen Aufsatz „Wie Luther auf den Sockel kam – Denkmale des Reformations- und Luthergedenkens vom 17. bis 20. Jahrhundert“ ist der Denkmalpfleger Jörg Widmaier diesem künstlerischen Phänomen nachgegangen. Dabei hat er sich auch mit dem Weissacher Bild und seinem Stifter beschäftigt.
Zwischen 1714 und 1723 war Johann Jakob Steinweg, der Stifter des Lutherbildes, Pfarrer der Weissacher Ulrichskirche. Steinweg hatte in Maulbronn und Tübingen evangelische Theologie studiert. Laut Widmaier gehörte er zur lutherischen Geistlichkeit, die dem Reformationsfest große Bedeutung zumaß. Auch die beigefügte Inschrift spricht für einen Reformationsbezug. Indem Luthers Lehre hier nun gleichberechtigt neben das Wort Gottes gestellt wird, komme, so Widmaier, dem auf Luther bezogenen Glauben „eine besondere gottgegebene Qualität zu. Luther wurde als Werkzeug Gottes aufgefasst und so zu einem Symbol für den wahren Gottesglauben.“
Somit ist das Weissacher Bild nicht nur ein interessantes Zeugnis für das Reformationsgedenken, sondern auch für die immer stärker werdende Lutherverehrung, die nun selbst Züge eines Heiligenkults annahm.