Der Marktplatz von Weil der Stadt
Autor: Dr. Siegfried Schütz
Die Geschichte des Marktplatzes von Weil der Stadt beginnt schon zur ottonischen Zeit im 10. Jahrhundert. Angenommen wird, dass der ursprüngliche Dorfmittelpunkt 300 Meter südlicher am heutigen Stadtausgang bei der Wendelinskapelle lag, am Kreuzungspunkt der Linie Herrenberg – Pforzheim mit dem alten Brühlweg an der Strecke Cannstatt – Leonberg – Calw. Nach dem Jahre 1220 unter dem Staufer Friedrich II wurde dann das Zentrum auf die höher gelegene und für die Ummauerung der Stadt geeignete Rossbachseite verlegt. Die dominierende Rolle der Märkte für die Wirtschaft ihrer Ländereien haben die Staufer auch für Weil und sein Umland klar erkannt.
Der frühere staufische Platz war vermutlich kleiner, in sich geschlossen, wurde von der zwischen Juden- und Badetor verlaufenden Ost-West-Achse nur tangiert und von über 30 eng aneinander gekuschelten Fachwerkhäusern, vermutlich auch mehreren Einraumhäuschen, umsäumt. Die Namen der damaligen Hausbesitzer sind noch in den Spitallagerbüchern von 1533 erhalten.
Dieses einstens wenig auffallende Zentrum wurde einmal vom Steinhaus (heutiges Schirott-Reitersche Haus), einem viergeschossigen Massivbau mit Walmdach an der Nordseite überragt, der nach einer staufischen Periode als städtisches Gerichtshaus, kurze Zeit auch als Rathaus diente. Unmittelbar am Steinhof gelegen zählte es in alamannisch-fränkischer Zeit zum wichtigsten der vier dörflichen Urhöfe und war in der fränkischen Zeit Fron- und Meierhof für den Dorfältesten.
Nur langsam während des 15. Jahrhunderts streifte der Platz seinen spätromanischen Charakter ab. Schlusspunkt war der Renaissancebau des neuen Rathauses mit Rundbogenlauben an der östlichen Stirnseite des Platzes, der 1582 fertiggestellt wurde. Er beinhaltete schon immer die Amtszimmer des Magistrats, den Ratssaal, das städtische Gericht, im ersten Stock zeitweilig auch den Saal der großen Weiler Tuchmacherzunft und seit 1910 das erste Heimatmuseum der Stadt. Heute nimmt das Haus die meisten Diensträume der Würmtalmetropole auf.
Blick in nordöstliche Richtung über den Marktplatz von Weil der Stadt mit seinen beiden Brunnen und dem Keplerdenkmal. Der Renaissancebau des neuen Rathauses wird überragt vom Turm der gotischen Stadtkirche St. Peter und Paul
Der große Stadtbrand von 1648 bedeutete für den Platz eine weitere grundlegende Neugestaltung. Große Häuser mit weiträumigen Grundflächen traten an die Stelle der alten. So entstand neben dem Steinhaus am westlichen Ende der Nordseite im Rahmen der Barockisierung das dreigeschossige ehemalige Gallsche und heute Speidelsche Haus an Stelle von zwei gotischen Giebelhäuschen. In einem davon wurde der Linzer Bischof Josef Anton Gall, ein Zeitgenosse von Kaiserin Maria Theresia, geboren.
Das Giebelstück dort zeigt die Initialen des Bauherrn und ehemaligen Bürgermeisters Johann Baptist Gall. Den zunächst spätbarocken Entwurf änderte Baumeister Koeßler im klassischen Sinne ab. Zusammen mit dem alten Esslinger Rathaus gilt es als einer der wenigen Zeugen des österreichischen Spätbarocks in Schwaben.
An der Ostseite des Steinhauses steht das zweigeschossige Haus des heutigen Stadtmuseums aus dem 18. Jahrhundert.
Auch noch zum Marktplatz gehört das einstöckige und einfache Geburtshaus von Johannes Kepler, in dem heute das Keplermuseum untergebracht ist.
Die Hausreihe an der Südseite des Platzes beginnt am östlichen Ende mit einem dreigeschossigen, schmalen, giebelständigen, verputzten Fachwerkbau, dem Gasthaus zum Engel, der in seinem Kern wohl auf das 16. Jahrhundert zurückgeht und der früher einmal von Großvater und Onkel des Astronomen, Sebaldus und Ludwig Kepler, als Schildwirte betrieben wurde. Daneben befindet sich das Hotel Krone-Post mit einem rundbogigen Eingang. Es ist der erste Gasthof der Stadt mit großer Tradition.
Zwei daneben anschließende zweieinhalbstöckige, verputzte Fachwerkhäuser, die ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert stammen, wurden vermutlich auf den Plätzen von vier ehemaligen Markthäuschen neu erbaut. Beide waren bis 1950 und 1973 Gasthäuser („Zum Schwarzen Adler“ und „Zur Kanne“).
Das stattliche, auf das 16. Jahrhundert zurückgehende, in seinem Erscheinungsbild jedoch vom 19. Jahrhundert geprägte Haus des ehemaligen Goldenen Adler an der Südwestecke des Platzes mit einem südlich daran anschließenden Mansardenbau gilt mit dem Steinhaus, dem Rathaus, dem Speidelschen Haus und dem Gasthof zur Krone-Post als fünfter Schwerpunkt des Platzes. Die mit neuzeitlicher Feldbemalung versehene Frontseite wird durch Fensterreihen in allen Stockwerken harmonisch aufgegliedert und trägt im Giebel eine Adlerfigur mit dem ersten urkundlich genannten Datum nach dem Stadtbrand vom Jahre 1648.
Das Haus hat eine reiche Geschichte und stand bei den fünf Kaiserbesuchen wahrscheinlich im Mittelpunkt, auch als Quartier einiger Landesfürsten, bei den regelmäßigen Besuchen Speyrischer Bischöfe, während eines Reichstags und bei den diversen kleinadeligen Konspirationen. Auch der junge Hermann Hesse vom nahen Calw verbrachte hier bei seinem Schulfreund einmal die Ferien.
In einem der nächsten Fachwerkhäuser war bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts eine weitere Wirtschaft untergebracht; im stilistisch variablen Eckhaus dieser Westseite mit seiner rückwärts gelegenen schönen gotischen Scheune, einstmals das Gasthaus zum römischen König.1 Insgesamt 8 der übrigen 33 Wirtslokale Weils befanden sich also auf dem Marktplatz, dem wichtigen Zentrum dieser Reichs-, Markt- und Wirtschaftsstadt. Noch im Jahre 1854 setzte man hier bei den monatlich stattfindenden Krämer- und Viehmärkten etwa 3650 (= 5480 Zentner) Scheffel, Dinkel, 226 Scheffel Gerste, 1280 Scheffel Haber zu einem Gesamterlös von rund 19.500 Gulden ab. Und nicht nur der Liebenzeller Müller mit seinen 20 Lasteseln verlud auf dem Weiler Marktplatz seinen gesamten Getreidebedarf.
Rekonstruktionszeichnung (Ausschnitt) des Weil der Städter Marktplatzes vom 16.-18. Jahrhundert. (Aus: Siegfried Schütz/Wolfgang Schütz, Das alte Weil – Ein Streifzug mit Tusche und Feder durch die ehemalige Reichsstadt, 3. Aufl., Weil der Stadt 1983, S. 65)
Seit den Jahren 1537 und 1603 schmücken den Platz zwei Marktbrunnen im barocken Stil, der obere mit dem Standbild Kaiser Karls des V. (?), der der Stadt ihre alten Privilegien erneuerte und außerdem das Wegegeld verliehen hat. Den unteren Brunnen ziert eine Löwenfigur mit dem reichsstädtischen Adlerschild.
Das Keplerdenkmal in der Mitte des Platzes, im Jahre 1870 erstellt und von Kreling entworfen, zeigt auf dem Piedestal den Astronomen als Hauptfigur. Bei den vier Sockelfiguren handelt es sich um Michael Mästlin, Keplers Tübinger Lehrer, Kopernikus, den Entdecker des heliozentrischen Systems, Tycho Brahe, Keplers Prager Mitarbeiter, und Jobst Byrg, Keplers Gehilfe bei der Konstruktion seines Fernrohrs. Zwei große Tafeln zu beiden Seiten des Denkmals erinnern an die Einführung des 17-jährigen Keplers durch seinen Lehrer Mästlin in die Universität Tübingen sowie an den wissenschaftlichen Disput zwischen Brahe und Kepler über ihre abweichenden Ansichten im heliozentrischen System in Prag unter Beisein von Kaiser Rudolf II. und Wallenstein.
Das Speidelsche Haus, das Steinhaus (heute Haus Schirott & Reiter) und das Schützsche Haus (heute Stadtmuseum) auf der Nordseite des Platzes waren im 18. Jahrhundert im Besitz des Bürgermeisters Anton Gall.
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen.Röhm Verlag, Sindelfingen 1990
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung
Referenz
↑1 | Das Gasthaus war im Besitz der Großeltern des in Tiefenbronn geborenen Phrenologen und Gehirnanatomen Dr. Franz Gall, dessen Vetter, der Freiburger Pathologe Professor Josef Laumeyer, auch hier geboren ist. |
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